Mr Rugoff, herzlichen Glückwunsch zur neuen Aufgabe! Waren Sie überrascht, als Sie aus Venedig hörten?
Ja, damit habe ich nicht gerechnet.
Sie bringen einige Erfahrung mit: als Kunstkritiker, Dozent und aktueller Direktor der Londoner Hayward Gallery. Wie hat sich die Kunstwelt in der vergangenen Dekade verändert?
Die kommerzielle Seite der Kunstwelt ist außergewöhnlich stark geworden. Die Top-Galerien haben Räume von der Größe kleiner Museen und können ihren Künstlern teure Projekte bezahlen, die früher nicht realisiert werden konnten. Auf der anderen Seite hat sich die Kunst mehr und mehr mit politischem Aktivismus verbündet. Und die Kunstwelt ist in den letzten zehn Jahren um einiges vielfältiger geworden, was Geschlecht, Geografie und Ethnien angeht. Viele Menschen sehen nur die Kommerzialisierung, aber nicht diese Seite.
Stehen Sie denn als Leiter einer öffentlichen Einrichtung unter zunehmenden Erfolgsdruck?
In Großbritannien wurde anders als in Deutschland die staatliche Unterstützung für Museen zurückgefahren. Wir müssen alle auf unser Budget schauen, auf unsere Besucherzahlen und Ticketeinnahmen.
Heißt das auch, dass schwierige Kunst weniger Chancen hat? Sie sind bekannt für populäre Ausstellungen wie "The Infinite Mix", in der Sie der Verbindung von Popmusik und Videokunst nachgingen, oder Einzelschauen von beliebten Künstlern wie Ed Ruscha, Martin Creed oder aktuell Andreas Gursky.
Nur weil eine Ausstellung populär ist, heißt es nicht, dass sie nicht herausfordernd sein kann. Wir müssen uns ein ausbalanciertes Programm leisten. Ich habe 2013 eine Ausstellung zur Geschichte unsichtbarer Kunst und eine zu konzeptionell arbeitenden Outsider-Künstlern kuratiert. Wir haben die Hayward Gallery in eine Schule verwandelt, bei der einhundert Künstler dem Publikum beibringen konnten, was immer sie wollten. Wir zeigten die Arbeiten von Dayanita Singh, viele junge Künstler in Gruppenausstellungen … Wenn man ein paar populäre Ausstellungen macht, denkt jeder, das sei alles gewesen.
Vielleicht führte das Statement von Paolo Baratta, dem Präsidenten der Venedig-Biennale, in die Irre: Man habe Sie zum künstlerischen Leiter berufen, um "die Ausstellung zum Platz der Begegnung zwischen Besuchern, Kunst und Künstlern" zu machen.
Das bedeutet aber nicht Popularität! Die Biennale hatte vergangenes Jahr 600.000 Besucher, mehr denn je. Aber war es die von Kritikern am besten aufgenommene Ausstellung? Nein. Man braucht also nicht populärere Shows in Venedig, das wurde schon versucht. Ich glaube, sie möchten etwas, was noch nie vorher versucht worden ist. Man bat mich, bis Juni nichts zu meinen Plänen zu sagen.
Reden wir über Ihre Anfänge: Was hat Sie zur Kunst gebracht?
Schon als Teenager interessierte mich Kunst, obwohl ich selbst keine Kunst gemacht habe. Mich hat eher das Schreiben und Filmemachen interessiert. Ich war immer mit Künstlern befreundet, in der Uni, nach der Uni. Ich habe Semiotik studiert, was damals recht ungewöhnlich war. Viele Freunde fragen mich, ob ich über ihre Kunst schreiben könnte. So kam ich dann zur Kunstwelt.
Sie haben zunächst als Kunstkritiker gearbeitet, seit dem Jahr 2000 dann in San Francisco am CCA Wattis Institute for Contemporary Arts, ein Ausstellungszentrum am California College of the Arts.
Ich gründete dort ein Kuratoren-Programm, wir pflegten Partnerschaften mit anderen nordamerikanischen Institutionen. Es war definitiv ein Ort, an dem wir nicht über Besucherzahlen nachdenken mussten.
Danach sind Sie zu Hayward Gallery gekommen, wo Sie nun schon seit 12 Jahren Direktor sind …
Finden Sie, ich sollte in Rente gehen?
Sie haben ja mit der Venedig-Biennale die nächste Herausforderung vor sich. 2015 kuratierten Sie die Kunstbiennale in Lyon. War das eine gute Vorbereitung für Venedig 2019?
Sicher. Eine Ausstellung wie die Venedig-Biennale zeigt mehr Kunstwerke, als man in einem Besuch anschauen kann. Für internationale Besucher ist das ein Problem, man sieht mehr Kunst, als man verdauen kann. Das ist offensichtlich nicht der beste Weg, mit Kunst umzugehen. Anderseits ist es eben ein Ausdruck eines Wunsches, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenzubringen und Gegenwartskunst an vielen Orten der Welt stattfinden zu lassen. Dennoch: Für mich ist es ein problematisches Format. Ich werde die nächsten sechs Monate damit verbringen, es zu modifizieren.
Sie brauchen eine starke Narration.
Das könnte helfen.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Kunst aus Deutschland?
Ich bin regelmäßig in Berlin und Düsseldorf. In der Hayward Gallery zeigten wir kürzlich Carsten Höller, aktuell Gursky. Warum ist deutsche Kunst so stark? Einige Länder wie Frankreich und Italien werden von ihrem kulturellen Erbe regelrecht erdrückt, in Deutschland gab es hingegen nach dem Krieg eine andere Öffnung gegenüber dem Neuen und ein Wille, die Vergangenheit zu vergessen. Deshalb findet man auch in den USA so gute Gegenwartskunst, es gibt dort keine große Kunsttradition.