Während einer Fashionweek laufen einem verstörende Outfits über den Weg. Ein hautenger Latex-Anzug ist trotzdem etwas Besonderes. Das Material ist nicht nur klimatechnisch extrem, es trägt auich noch immer den Beigeschmack von "Ganzkörperkondom trifft auf dunkle Ecken zwielichtiger Partys" mit sich herum. Und doch ist da dieses Model, das einen ganzen langen Tag Täschchen präsentiert, gekleidet in einen schwarzen, glänzenden Gummi-Catsuit. Eine menschliche Lackkatze. Die schwitzende Modecrowd, mit einem Glas Sekt in der Hand, scheint außerordentlich froh, nicht in so einem Ganzkörperanzug zu stecken. Die Frage ist nur, wie lange sich das noch vermeiden lässt.
Der Entwurf stammt nämlich von einem der in den letzten Monaten meistdiskutierten neuen Designer und alle seine Werke haben dieses Hauptmerkmal: Sie sind komplett aus Gummi. Fredrik Tjaerandsen heißt er, norwegischer Modedesign-Absolvent, ausgezeichnet mit dem höchsten Preis, den seine Londoner Uni überreicht. Und obwohl er nicht einfach auszusprechen ist, war sein Name in aller Munde, nachdem er Ende Mai seine Kollektion bei der Modenschau der Kunstschule Central Saint Martins präsentiert hatte.
Viele derer, die hier studiert haben, zeigen früher oder später auf der London Fashionweek, doch Tjaerandsens Entwürfe sorgten für einen solchen Hype, dass selbst Courtney Love ein "Wow!" unter ein Video der Präsentation postete. Die Models vollführten eher eine berührende, heilig anmutende Performance als eine Modenschau. Sie schwebten in riesigen, sie umgebenden Gummiblasen über den Catwalk, bis sie sich in der Mitte des Raumes platzierten, die Luft aus den Blasen ließen und diese langsam in glibberige Kleidungsstücke zusammenfielen, in denen die Modelle ihren Auftritt vollendeten.
Von der wandelnden Skulptur zum Menschen in tragbarer Kleidung in wenigen Sekunden also. Fließend zwischen Kunst und Mode. Fließend zwischen Kunst und Mode. Dort bewegt sich auch der Designer selbst, der vor seinem Debut als Modedesigner schon immer an ganz unterschiedlichen, künstlerischen Bereichen interessiert war. Er begann den Grundkurs der Londoner Kunstschule mit der Hoffnung, in den Modedesign Bachelor Kurs gelangen zu können, probierte sich jedoch auch in der Bildhauerei aus: "Ich versuche, diese skulpturellen Elemente stets beizubehalten. Ich war immer sehr interdisziplinär," sagte Tjaerandsen dem "I-D Magazine".
"Ich fühlte mich definitiv, als würde ich ein Kunstwerk tragen. Ein paar Stücke mit herausgelassener Luft könnten vielleicht auch als Kleidung funktionieren", sagt Olivia Lightfoot, eines der acht Models, die die Latex-Kollektion präsentierten. Die Blasengebilde der Entwürfe - mal umgeben sie den ganzen Oberkörper, mal sind die Arme in überdimensionale Luftballon-Hummerscheren gepackt - erinnern an schwerelose Versionen der Figurinen aus Oskar Schlemmers "Triadischem Ballett". Und regen wie diese zum Nachdenken über die Beziehung zwischen Figur und Raum an. "Ich musste mich langsam bewegen und mir jeder Änderung in meinen Bewegungen bewusst sein. Wenn ich das nicht tat, tat es auch die Blase nicht und ich trieb hin und her. Aber es war schön, tatsächlich mal darauf zu achten, wie ich mich bewege. Fast meditativ", so das Model Saga Andersson.
Geheimnisvoll, futuristisch, wie aus einer anderen Sphäre wirkt die Kollektion "Moments of Clarity", wie Tjaerandsen sie nennt. Im Netz hat sich dagegen der Name "Bubbles" durchgesetzt. Romantisch fern klingt auch seine Inspiration: "Mit den luftgefüllten Blasen ging es mir darum, undeutliche Erinnerungen in einen tragbaren Zustand zu bringen. Wenn die Blase den Laufsteg betritt, stellt das den Traum dar. Das Herauslassen der Luft visualisiert den Moment, in dem wir merken, dass wir ein Bewusstsein haben,“ erzählte der Modedesigner der "Vogue".
Und Bewusstsein ist ein wichtiges Stichwort, stellt sich beim Thema Mode im Jahr 2019 doch gleich die Frage: Wie umweltbewusst ist diese avantgardistische Idee? Ist es in Ordnung, einen neuen Kleidungstypus aus Plastik vorzustellen? Aber Tjaerandsens "Bubble-Kleider" bestehen aus Naturkautschuk, einem nachwachsenden, sehr langlebigen Rohstoff. Er bezieht ihn von einer Firma, die ihn direkt bei lokalen Kautschuk-Erzeugern in Sri Lanka einkauft. Die Kollektion" ist so keine einmalig tragbare Performance-Uniform, sondern könnte sowohl aufgeblasen als auch in Kleidgestalt wieder getragen werden.
Aber will man das? Wo gelegentlich schon penetrant haftende Spülhandschuhe zu Beklemmungen führen? "Latex kann unangenehmen sein wenn du es anziehst, aber so bald du richtig drin steckst, ist es okay und die 'Bubble' gibt dir auch kein so klaustrophobisches Gefühl, wie alle zu denken scheinen. Es war auch gar nicht so heiß“, schildert Olivia Lightfoot. Mehr noch, die Models beschreiben das Tragen der zarten Hülle als eine heilende Erfahrung: "Ich habe mich gefühlt, als trüge ich mein eigenes, isoliertes Ökosystem. Für einen Moment lang lebte ich in eine abgegrenzten Blase. Wenn du einmal drin steckst, fühlt es sich vor allem therapierend und beruhigend an. Fast wie ein safe space," so Lightfoot. Das Laufen mit Blase sei wie ein "langsamer Tanz".
Ein safe space - ist es nicht das, wonach sich geheim alle sehnen? Ein beschützender Raum für jeden allein, der alles filtert, in dem es auf essenzielle Bewegungen ankommt, die Atmung reguliert werden muss. Wo die Gedanken nicht außerhalb der dünnen Gummiwände gelenkt werden dürfen, weil man sonst fällt. Und alles zerplatzt.