Zehn Jahre Deut­sches Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te

Bedroht neurechte Kulturpolitik die Provenienzforschung, Herr Lupfer?

Seit zehn Jahren ist das Deut­sche Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te zen­tra­le Anlaufstelle zu Fragen un­recht­mä­ßig ent­zo­ge­ner Kunst. Hier spricht Vorstand Gilbert Lupfer über den Stand der Provenienzforschung und die Gefahr durch den Rechtsruck


2015 wurde das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste (DZK) in Magdeburg gegründet. Seine Hauptaufgabe ist die Förderung der Provenienzforschung an öffentlichen und privaten Einrichtungen und Privatpersonen. NS-Raubgut bildet den Schwerpunkt der Arbeit. Die Stiftung fördert auch die Erforschung von kolonialen Kontexten, Kriegsverluste sowie Kulturgutentzug in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR.


Herr Lupfer, in dieser Woche wurde ein offener Brief vieler Provenienzforschender veröffentlicht. Auch Sie haben unterzeichnet. Ziel ist Schutz und Stärkung der Provenienzforschung gegen neurechte Kulturpolitik. Wie konkret ist die Gefährdung?

Bisher hat sich noch niemand an das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste (DZK) gewandt und gesagt: Ich möchte gern einen Antrag bei euch stellen, aber mein Bürgermeister oder Landrat hat dem nicht zugestimmt. Aber: Für viele Kolleginnen, die in ostdeutschen Bundesländern und dort speziell in kleineren Orten arbeiten, ist es eine relativ simple Hochrechnung, dass der Einfluss der rechtsextremistischen Parteien und deren grundsätzliche Ablehnung der Provenienzforschung und vor allem von Restitutionen zu einer Gefährdung werden wird. Das führt zum Bedürfnis vieler, jetzt schon aktiv zu werden und nicht zu warten, bis es konkrete Fälle gibt. Eine Gruppe von Doktorandinnen, die sich mit Themen aus der Provenienzforschung befassen, hat die Initiative zum Brief ergriffen. 

Was fasziniert Sie an der Provenienzforschung? 

Ich habe mich schon immer für die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen von Kunst interessiert. Provenienzforschung ist dabei immer auch im Hier und Jetzt verankert, allein durch die Kontakte mit Nachfahren, Erben und Rechtsvertretern. Zu den prägenden Erfahrungen meiner Berufslaufbahn zählt zum Beispiel die Arbeit in einer deutsch-ukrainischen Verhandlungskommission zu beiderseitigen Kriegsverlusten: Im Zweiten Weltkrieg wurden Werke aus Aachen in Meißen eingelagert, kamen nach dem Krieg in die Sowjetunion und tauchten irgendwann in der Ukraine auf. Das sind Bilder aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, auf denen etwa der Aachener Dom zu sehen ist. Bis 2014 war ich relativ oft in der Ukraine, und wir waren schon recht weit mit unseren Überlegungen. Derzeit bestehen leider keine direkten Kontakte mehr. Es wäre auch mehr als unpassend, jetzt nach deutschen Kriegsverlusten zu fragen, zumal eines der betreffenden Museen unter russischer Verwaltung ist. 

Medial präsent wurde Provenienzforschung durch den Fall Cornelius Gurlitt. Am 28. Februar 2012 wurden in dessen Wohnung 1280 Kunstwerke beschlagnahmt. Der Verdacht: Raubgut aus der NS-Zeit. Welche Folgen hatte der Fall?

Er war Gründungsanlass für das DZK in Magdeburg am 1. Januar 2015. Es gab schon Vorgänger-Einrichtungen, aber es brauchte eine Institution mit anderer, größerer Strahlkraft. Aktivitäten wurden gebündelt und die Vergabe von Fördergeldern geregelt. Es war klar, dass der Fall Gurlitt intensiv erforscht werden muss, auch durch ein internationales Forscherinnenteam. Das haben wir organisiert und koordiniert. Bis Ende 2019 konnten 14 Werke als NS-Raubgut identifiziert und an die Nachfahren zurückgegeben werden. 

Gurlitt hat seine Werke dem Kunstmuseum Bern vermacht. Sind alle dort gelandet? 

Nein. Die Werke, die dem Museum noch zu fragwürdig erschienen, sind bei der Kunstverwaltung des Bundes in Berlin verblieben. Da werden sie weiter beforscht. Genauso wie der Berner Bestand dort weiter erforscht wird.  

Neben NS-Raubgut, Kriegsverlusten und kolonialen Kontexten gehört die Zeit der SBZ und DDR zum Schwerpunkt der Förderung. Welche Aspekte betrifft das?

In der SBZ gab es die "Schlossbergung", die Enteignung des Adels ab einem Grundbesitz von 100 Hektar. Darunter fiel zum Beispiel auch, was in einem Schloss an der Wand hing. Das Eigentum späterer Republikflüchtlinge ging an den Staat und landete zum Teil in Museen. Kunstwerke waren für die DDR auch eine wichtige Devisenquelle. In den 70er- und 80er-Jahren versuchte man systematisch, an Kunstwerke oder Antiquitäten von privaten Sammlern und Händlern zu kommen, um sie in den Westen zu verkaufen. 

War Provenienzforschung in der DDR ein Thema?

Nein. In der DDR war alles Volkseigentum. Erst mit dem Ende der DDR wurden alle Eigentumsverhältnisse hinterfragt. Das hat viel ausgelöst. Auch im Westen wurde NS-Kunstraub wieder stärker diskutiert. Da war seit Jahrzehnten nichts mehr passiert.

Welche Methoden nutzt die Provenienzforschung?

Zunächst geht sie vom Objekt aus: Gibt es einen Stempel oder Vermerke auf der Rückseite? Stehen in einem Buch Randnotizen? Parallel schaut man in Inventarbücher im Museum, in Archive und Datenbanken. Für Recherchen nach verlorenen Objekten sind Fotos, etwa in Familienalben und Ausstellungs- oder Versteigerungskatalogen, sehr wichtig. 

Angenommen ich weiß, dass meine Familie ein wertvolles Gemälde in Besitz hatte und kenne den Namen der Künstlerin. Wie kann mir das Zentrum helfen?

Für solche Fälle haben wir einen Help Desk mit einer eigenen Mitarbeiterin. Sie würde Datenbanken checken, sich im Netzwerk umhören, vielleicht einen kleinen Rechercheauftrag auslösen. Wenn es substanzielleres Material gibt, etwa Unterlagen zur Beschlagnahmung, kann ein größeres Projekt daraus werden. Wenn genug Informationen vorliegen, wird das Werk in die weltweit zugängliche Datenbank "Lost Art" eingetragen. Es gibt immer wieder Fälle, wo sich auch noch nach Jahren jemand zu einem Eintrag meldet. All diese Maßnahmen kosten die Nachfahren nichts.

Was passiert, wenn sich das gesuchte Kunstwerk in einem deutschen Museum befindet?

Es gibt zwar keine gesetzliche Verpflichtung zur Rückgabe, aber die "Gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden" von 1999, die besagt, dass nach einer Lösung gesucht werden muss, die den Interessen der Nachfahren gerecht wird. 

Im Oktober 2024 haben Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände beschlossen, dass es künftig ein Schiedsgericht geben soll, das im Streitfall über Restitutionen entscheidet. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hofft, dieses noch vor den Neuwahlen verabschieden zu können. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll? 

Ja, denn das Schiedsgericht wird für eine größere Klarheit und Transparenz sorgen und seine Entscheidungen sind gerichtlich überprüfbar. Und nicht zuletzt wird es auch einseitig anrufbar sein. Dieses Gericht würde die bisherige "Beratende Kommission" ersetzen. Die prüft schon jetzt strittige Fälle und spricht eine Empfehlung aus.

Bisher hat diese Kommission nur über 24 Fälle entscheiden. 

Diese Zahl wird oft falsch interpretiert, denn es werden laufend Fälle ohne Einschaltung der "Beratenden Kommission" direkt zwischen Museen oder Bibliotheken und Nachfahren gelöst. 

In welchem Fall konnte das Zentrum zuletzt helfen? 

Kürzlich wurde beispielsweise ein Buch aus der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel an die Tochter des Schriftstellers Valeriu Marcus restituiert, der im Nationalsozialismus als Jude verfolgt wurde. Das Buch wurde im Rahmen eines vom DZK geförderten Projektes identifiziert.

Seit längerem wird ein Gesetz zu erleichterten Rückgabe von NS-Raubkunst diskutiert, zuletzt im November 2024 im Kulturausschuss. Warum gibt es das bisher nicht?

Es wirft viele Fragen auf, wenn Privatleute dazu verpflichtet werden sollen, etwas, das sie gutgläubig erworben haben, zurückzugeben. Man müsste eine Form von Ausgleich schaffen, etwa einen Fonds einrichten, aus dem der Zeitwert des Werkes mit Mitteln der öffentlichen Hand ersetzt würde. Ich sehe aktuell leider nicht, wie es zu einem umfassenderen Gesetz kommen sollte. Fakt ist: Bei den Museen ist die Forschung schon weit gediehen, aber bei privaten Sammlungen noch nicht. Eine Privatperson kann nicht gezwungen werden, ihre Sammlung untersuchen zu lassen. Da lässt sich nur an den guten Willen appellieren. Ferdinand von Schirach hat die Kunstsammlung seiner Familie prüfen lassen, mit unserer logistischen Unterstützung. Auch Arend Oetker hat das auf eigene Rechnung gemacht, ebenso das ehemalige hessische Königshaus. Aber das sind leider noch Einzelfälle.