Erste Regel beim deutschen Pavillon: Achten Sie auf den Eingang! Immer wieder wurden die vier martialischen Pfeiler mit dem "Germania"-Architrav von Künstlern, die die Bundesrepublik auf der Venedig-Biennale vertraten, umgestaltet, versperrt und zugehangen. Dem Bau sollte so seine von den Nationalsozialisten verpasste Monumentalität genommen werden. Und nun schon wieder! Ein großer Erdhaufen liegt auf den Stufen vor dem Portal. So manch ein internationaler Fachbesucher mag in diese Vorbesichtigungstagen bei diesem Anblick die Augen rollen: Die Deutschen schon wieder mit ihrer Schutt-und-Asche-Ästhetik!
Zweite Regel beim deutschen Pavillon: Achten Sie auf den Marmorboden! Er wurde immer wieder aufgerissen, aufgebuddelt, mit einem zweiten Glasboden verdeckt und zugleich sichtbar gemacht oder durch die Ausstellungsarchitektur aggressiv angegangen. In diesem Jahr nun: Parkett bedeckt den Hauptraum. Fischgrätparkett!
Der von der Kuratorin Çağla Ilk kuratierte deutsche Beitrag zur 60. Venedig-Biennale verteilt sich auf die Insel La Certosa und den Pavillon, und hier in dem so aufgeladenen Bau in den Giardini haben die Künstlerin Yael Bartana und der Regisseur, Bühnenbildner und Ausstatter Ersan Mondtag eine Präsentation geschaffen, die aus zweierlei Sicht das Thema Migration behandelt, sehr unterschiedlich, aber doch ineinandergreifend. Und ein bisschen wirkt das Gesamtergebnis wie eine Parodie auf die deutsche, ja, Obsession mit dem Biennale-Bau.
Zukunftsbewältigung
"Mir gefällt die Architektur des deutschen Pavillons", sagte die 1970 in Israel geborene, seit rund 15 Jahren in Deutschland lebende Yael Bartana im Monopol-Gespräch, "aber selbstverständlich nicht ihr ideologischer Ursprung. Dieser Widerspruch kommt auch in meinen Arbeiten vor. Ich nenne ihn Zukunftsbewältigung." Dieser Aufbruch nach vorn hat etwas ungemein Befreiendes in diesem Gebäude. Nicht, dass es um irgendwelche Schlussstriche ginge. Was Yael Bartana hier zeigt, hat durchaus auch mit der deutschen Katastrophe und dem Holocaust zu tun.
Die Künstlerin skizziert mit einer mehrteiligen, postapokalyptischen Science-Fiction-Arbeit aus installativen Videoanimationen und Skulpturen eine Vision. Darin bringt ein Raumschiff – die titelgebende "Light to the Nations" – Menschen in die Weiten des Alls zu neuen Lebenswelten. Das Werk verbindet Aufbruch und Flucht, Optimismus und Pessimismus, Utopie und Dystopie. Denn, so erklärt die in Berlin lebende israelische Kunsthistorikerin Doreet LeVitte-Harten in einem Video: Das nach einer Bibelstelle aus dem Buch Jesaja benannte Generationenschiff für Juden startet ins Ungewisse, weil die Erde durch eine ökologische Katastrophe zerstört ist, es basiert auf jüdischen mystischen Lehren und soll den Samen legen für neue Gesellschaftsformen jenseits territorialer, ethnischer, religiöser und staatlicher Festlegungen. Es soll die Menschheit zu "Tikkun Olam" (wörtlich: "die Reparatur der Welt") führen. Das Schiff sei so konzipiert, dass es eine große Gemeinschaft für Jahrtausende beherbergen und weit über unser Sonnensystem hinaus reisen kann.
Jüdische und Sci-Fi-Kultur sind eng verbunden, der Begriff "Science Fiction" wurde sogar von einem jüdischen Erfinder geprägt: 1929 von Hugo Gernsback. Angesichts einer Geschichte von Vertreibungen, Diaspora und Erlösungserwartungen liegen – ähnlich wie beim Afrofuturismis – Vorstellungen vom Aufbruch ins Weltall nahe. Mel Brooks hat eine solche Vision 1981 mit der Szene von "Jews in Space" als Teil seines Musicials "Verrückte Geschichte der Welt" auf eine komische Ebene gebracht:
Das Szenarium von "Juden im All" ist bei Yael Bartana natürlich finsterer. Die Ausstellung im deutschen Pavillon ist eine Weiterführung ihres "Light to the Nations"-Projekts, das bereits im vergangenen Jahr an verschiedenen Orten zu sehen war. In Venedig präsentiert sie ein Modell des Generationenschiffs, ein Video aus Animationen und rituellen (Abschieds-?)Tänzen, das Erklärvideo, Wandzeichnungen und Poster. Bartana beschreibt ihre Gedankenspiele (wie in vorherigen Arbeiten wie "Malka Germania" oder ihrem Beitrag zum polnischen Pavillon 2011) als "Preenactment" – eine Vorwegnahme dessen, was kommen wird. Durch den Nahostkrieg und die Antisemitismusdebatte erhält "Light to the Nations" dann aber nochmal eine beklemmende aktuelle Dringlichkeit.
Schleier aus Staub
Um Migration geht es auch bei dem dem in Berlin-Neukölln aufgewachsenen Ersan Mondtag: "Ich konzentriere mich zunächst auf die Geschichte meines Großvaters, der 1968 in Deutschland als Gastarbeiter die Drecksarbeit machte, dies dennoch als Erfüllung empfand und die Akademikerkinder nicht verstand, die ihn befreien wollten vom Kapitalismus. Er fand Geldverdienen super." Er starb noch vor der Rente an Krebs, wohl unter anderem, weil er Asbest verarbeitet hatte. An ihn und an Industriearbeiter der DDR wird in einem eigenen Gebäude im Gebäude erinnert: einem brutalistischen Turm im Hauptraum des Pavillons. Es ist beeindruckend, wie die Kuratorin den Raum so bespielt, dass Bartana und Mondtag sich nicht in die Quere kommen, obwohl in dem Turm ein eigenes Performanceprogramm und sogar ein eigener Sound abläuft.
Den sterilen Sci-Fi-Welten von Bartanas Spaceshuttle steht hier eine klar dystopische Installation aus Arbeits- und Wohnräumen gegenüber, die sich über drei Etagen zieht. "Ich bin ein Bühnenbildner, der seine Räume inszeniert, kein Regisseur, der auch noch das Bühnenbild macht", hat Mondtag mal im Monopol-Interview gesagt. Und jemand, der sein Handwerk beherrscht. Durch dieses Horrorkabinett des deutschen Gastarbeiter- und Sieg-der-Arbeiterklasse-Traums wandeln Performer und singen von migrantischen Biografien. Ein alter Mann legt sich in einem Video in die Erde und live als Performer aufs (ost-)deutsche Fischgrätparkett zum Sterben. Ein glückliches Leben scheint es nicht gewesen zu sein. Und in der Luft liegt ein Schleier aus Staub – Asbest?
Vielleicht ist Mondtags Inszenierung eine Spur zu pathetisch, aber sie verfehlt ihre Wirkung nicht. Mit Yael Bartana hat er gemeinsam den Hang zu rituellen Gesten, und während auch er wie Vorgängerkünstler im deutschen Pavillon noch einmal in die deutsche Geschichte eintaucht, rückt er näher an die Gegenwart. Es ist, als würden Yael Bartana und Ersan Mondtag Schutt und Asche, Staub und Erde zur Seite räumen, auf dass etwas völlig Ungesehenes endlich doch Platz hat in diesem verdammten Pavillon.