"Oh mein Gott, Mobbing funktioniert" liest sich ein viel gelikter Kommentar unter einem der letzen Posts des Mode-Kanals @stylenotcom auf Instagram. Auf der blauen Kachel steht: "Virginie Viard out from Chanel". Die Nachfolgerin der Fashion-Ikone Karl Lagerfeld muss gehen. Ihre Kollektionen hatten, der Kommentar lässt es erahnen, unter Modekritikern für wenig Begeisterung gesorgt. Zu wenig Innovation, immer gleiche Silhouetten und Schnitte, eine Weiterentwicklung war nicht wirklich zu beobachten.
Es schien vielmehr so, also stünde Virginie Viard noch immer im Schatten Lagerfelds, dessen Position als Kreativdirektor sie im Jahr 2019 nach dessen Tod übernommen hatte. Viard hatte sich meist von Gabrielle Chanel persönlich, ihren Entwürfen und ihrem Leben inspirieren lassen. Etwas luftiger, jünger und weicher waren die Designs der Marke geworden. Zurückhaltender, wie man es von Viard persönlich kennt.
Riesige Löwen, ein Supermarkt oder Eisberge, wie es sie unter Maestro Karl gab, waren aus dem Set-Design der Modenschauen verschwunden, Viard setzte eher auf subtilen Wandel. Zu Lagerfelds Zeiten war sie als seine linke Hand bezeichnet worden (der Designer war Linkshänder), und gefühlt in der Position verharrt. Das Markenimage und sein Erbe zu ehren, während sie eine eigene Richtung einschlägt, das hat Viard offenbar nicht zur Genüge geschafft. Doch ist das vielleicht auch nie der Plan gewesen. Ihre Regentschaft soll von Beginn an als eine temporäre geplant gewesen sein, wie ein sanfter Abschied von der Lagerfeld-Ära bei Chanel, die erst mit Viards Adieu wirklich vorüber ist.
Mit Karl Lagerfeld um die Modehäuser ziehen
Virginie Viard begann 1987 unter Lagerfeld bei Chanel als Praktikantin zu arbeiten, wechselte fünf Jahre später mit ihm zu Chloé und weitere fünf Jahre danach zurück zu Chanel. Seit 2000 hatte sie die Position als oberste Direktrice des Ateliers inne. Lange hatte man sie kaum zu Gesicht bekommen, erst als kreative Leitung war sie, wohl oder übel, zu einem bekannten Charakter der Modewelt geworden.
Ähnlich wie Sarah Burton bei Alexander McQueen, war Viard diejenige gewesen, die die Visionen ihres Vorgesetzten gänzlich verstand und umzusetzen wusste. Die Wahl, sie als Lagerfelds Nachfolgerin zu nominieren, war keine schwierige gewesen. Heute sieht es anders aus, und alle Welt fragt sich: Wer wird als nächstes einen der begehrtesten Jobs der Modebranche abgreifen?
Die Spekulationen sind wild. Trendprophetin Mandy Lee setzt auf Jeremy Scott. Der Modedesigner hatte seinen Posten als kreative Leitung bei Moschino im März 2023 abgegeben, und laut Lee ist es nun Zeit für ihn, eine neue Stelle anzutreten. Scotts Designs werden oft als etwas kitschig und plakativ besprochen, doch habe er eine starke Vision, und das sei es, was Chanel brauche.
Vom Thron gestoßen
Pierpaolo Piccioli, vor Kurzem bei Valentino ausgestiegen, wird häufig als potenzieller Nachfolger genannt, ebenso Sarah Burton, Dries van Noten, der kürzlich sein Ende bei seiner eigenen Marke bekannt gab, Marc Jacobs, John Galliano und Phoebe Philo. Doch egal, für wen sich das Maison Chanel entscheiden wird, eins ist für Lee fast garantiert: Ein weißer Mann wird den Job übernehmen. Gerade in den letzten zwei Jahren ist dies als ein Muster deutlich geworden: Wenn eine der wenigen Frauen in der Branche als kreative Leitung ausscheidet, sitzt schneller als man gender equality sagen kann ein weißer Mann auf ihrem Platz.
Der oder die Auserwählte (man wird ja noch träumen dürfen) wird erst die vierte kreative Spitze des Hauses Chanel in 119 Jahren Firmenbestehen sein, nach Gabrielle "Coco" Chanel selbst, Lagerfeld und Viard. Auch wird die Person enorme Erwartungen erfüllen müssen: Einerseits sollen die Kritiken des Hauses verbessert werden, die in den vergangenen Jahren bei Modenschauen und auf roten Teppichen "underperformt" hatte und durch mangelnde Qualität und Designvision vom Thron als "die größte aller Marken" gestoßen wurde.
Andererseits muss wohl auch weiterhin die typische Chanel-Kundin zufrieden gestellt werden müssen, denn die scheint zuletzt mehr als glücklich gewesen zu sein. 2023 lag der Umsatz bei über 18 Milliarden Euro, etwa 75 Prozent mehr als noch 2018. Den treuen Käuferinnen sollen die neuen, weniger kastigen, 20.000 Dollar teuren Tweed-Jacken, die Viard eingeführt hat, gefallen haben.
Letzte Haute-Couture-Schau Ende Juni
Daneben führt jedoch auch der extreme Preisanstieg der Taschen-Klassiker zu einem Umsatzhoch: Damals 3500 Euro, kostet die gesteppte Chanel 2.55 heute um die 12.000 Euro.; ein weiterer Kritikpunkt, der dem Haus gerade immer wieder entgegebengebracht wird. Laut dem Fernsehsender Bloomberg soll die Milliardärs-Familie hinter dem Unternehmen einen Reichtums-Sprung von etwa 11.3 Milliarden Euro innerhalb von drei Jahren erlebt haben. Ein Überfluss, der in ihre privaten Taschen geflossen sein soll, anstatt etwa nachhaltigere Lieferketten oder einen Qualitäts-Boost zu initiieren.
Ende Juni wird die letzte Haute Couture-Show unter Virginie Viard in Paris gezeigt werden. Wie die in etwa aussehen wird, kann man erahnen. Doch wie es danach weiter geht, das weiß noch keiner.