Interview mit Künstler Scott Holmquist

"Dealer machen heldenhafte Arbeit"

Der Künstler Scott Holmquist hat den Dealern im Görlitzer Park in Berlin ein Denkmal gesetzt - und damit viel Empörung ausgelöst. Im Interview erklärt er, warum er den Drogenumschlagplatz nicht als rechtsfreien Raum sieht - sondern vielmehr als Ort der universellen Menschenrechte

Am vergangenen Wochenende tauchte die Statue eines jungen Mannes in Bronze-Optik im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg auf. In der Pose von Staatsmännern und Feldherren schaut er leicht seitlich nach oben, in der Hand hält er ein Mobiltelefon, zu seinen Füßen steht eine Tafel mit Molekülverbindungen. 24 Stunden war der "Last Hero" während eines "Solidarity Sit Ins" zu sehen, dann wurde er wieder abgebaut.

Urheber ist der amerikanisch-französische Künstler Scott Holmquist, der den meist aus afrikanischen Ländern stammenden Drogendealern im Park ein Denkmal setzen will. Die Aktion schlug hohe Wellen, denn der sehr öffentlich stattfindende Drogenhandel auf dem Areal ist bundesweit ein Dauer-Reizthema. Die Stadt bemüht sich um eine Lösung, die auch die Dealer mit einbezieht und niemanden ausgrenzt, doch viele Anwohner fühlen sich belästigt und der Park wird immer wieder als Beispiel für einen versagenden Rechtsstaat aufgeführt. Scott Holmquist, der bereits eine Ausstellung über die Migrationsgeschichten der Dealer in Kreuzberg konzipiert hat, will die Erzählung vom politisch umkämpften Problem-Ort mit seinem Denkmal durchbrechen. Weitere "Last-Hero"-Aktionen sind in Bremen, Hamburg und Paris geplant. Wir haben mit ihm gesprochen.   

Scott Holmquist, Sie haben im Görlitzer Park in Berlin ein Denkmal für Dealer aufgestellt. Die "Bild-Zeitung" hat daraufhin gefragt, ob Sie zu viel geraucht haben. Ihre Antwort?

Ich bin froh, dass Sie gefragt haben. Mit solchen unaufrichtigen "Fragen" wurden fast alle Aspekte meiner Arbeit zu diesem Thema in den letzten 30 Jahren bedacht.

 Was wäre, wenn 1960 ein Berliner Künstler in einer Evangelischen Kirche die homosexuelle Ehe zweier Männer oder zweier Frauen inszenieren würde?  Die Presse hätte fragen können: "Hat der Künstler zu viel Absinth getrunken?" oder: "Ist der Künstler selbst ein Homosexueller?“ In gewisser Hinsicht ist die Frage natürlich lustig. Weil Weed uns zum Lachen bringt. Da die Fragenden sich jedoch scheinbar gegen Weed stellen, besteht der einzige Zweck der Frage darin, die Integrität und Ernsthaftigkeit der Person und des Projekts, die befragt werden, lächerlich zu machen. Wenn ich antworte, helfe ich ihnen nur, das Todernste in einen Witz zu verwandeln. Oder schlimmer noch: Ich helfe ihnen, die Aufmerksamkeit von meinen eigenen Witzen abzulenken.

Ist das Dealer-Denkmal denn ein Witz?

In gewissem Sinne ist dies ein Denkmal gegen Denkmäler: Ein letztes Denkmal - für die Zukunft.

Wie meinen Sie das?

Der Dealer wird in unserer Zeit zu einem Teil eines Denkmals gegen Denkmäler. Das zeigt sich daran, wie die Reaktionen auf Park-Drogendealer Ängste, Versuchungen, rassistische Ressentiments und Wünsche kristallisieren und dabei die Grenzen von Kontrolle und Solidarität verschieben. Es ist kein Zufall, dass diese Geschichte von Rassismus, Kolonialismus und anhaltenden Krisen in der kapitalistischen Gesellschaft zusammenbricht. Deshalb müssen wir über Denkmäler und Helden neu nachdenken. Künstler machen das vor: siehe Kehinde Wileys Reiterstandbild eines afro-amerikanischen Mannes auf dem Times Square. Aber es geht auch darum, was veraltete Konzepte von Denkmälern in der Gesellschaft anrichten - siehe Charlottesville [wo es zu Aufmärschen von Rechten kam, als ein Denkmal eines Konföderiertengenerals entfernt werden sollte. Eine Gegendemonstrantin wurde von einem Rechtsextremisten getötet, als der mit dem Auto in eine Menschenmenge fuhr, Anmerkung der Redaktion].

Die Statue vom Wochenende war nur ein Prototyp, Sie fordern aber ein dauerhaftes Denkmal ...

Die Idee eines Denkmals für Dealer ist aus einer langjährigen Forschung über erfolgreiche Strategien zivilen Ungehorsams hervorgegangen und hat eine Ausstellung des Kreuzberg Museums in ferner Zukunft hervorgebracht. Während dieser Ausstellung im Jahr 2968 stellte ich mir vor, dass in Berlin Ruinen eines einstürzenden Denkmals für Park-Drogendealer stehen, das errichtet wurde, als die Stadt beschloss, die Männer afrikanischer Herkunft zu ehren. Sie lebten im mythischen, längst vergangenen 21. Jahrhundert, arbeiteten in der Öffentlichkeit, hauptsächlich in Parks, und leisteten einen von vielen geschätzten Dienst, um ihre Familien sowohl in Afrika als auch in Europa zu unterstützen. Zum Zeitpunkt der Ausstellung steht dieses Denkmal dann nicht mehr.

Ihre Statue ist also ein Heldendenkmal?

Wenn man der Meinung ist, dass das Drogenverbot der Gesellschaft schadet und Kinder in Gefahr bringt, sind es die Dealer, die das Risiko tragen. Sie untergraben das Verbot und verlieren manchmal dafür ihre Freiheit. Sie sind bei Regen und Kälte draußen, kämpfen gegen organisierte Gewaltverbrecher und machen ihre riskante Arbeit ohne Polizeischutz. Ja, das ist eine heldenhafte Arbeit. Analog zum zivilen Ungehorsam von Inhabern illegaler homosexueller Bars aus den 1950er-Jahren.

Ist das Bildnis einer konkreten Person nachempfunden oder steht es für viele?

Das Denkmal steht für Viele. Im Hintergrund steht jedoch eine fiktive Person, der "Letzte Held" namens Max Adjak. Auf der Tafel am Fuß der Figur stehen Moleküle der Wirkstoffe verbreiteter Drogen.

Viele Anwohner empfinden die Situation im Görlitzer Park als problematisch, wenn sie zum Beispiel mit Kindern von den Dealern angesprochen werden. Sie beklagen, dass für sie kein Platz mehr ist. Können Sie das verstehen?

Ja, natürlich ist es einfach zu verstehen, warum viele Anwohner das Dealen im Görli als problematisch empfinden. Viele Menschen an Parkkreuzungen machen Geschäfte, als wären wir auf dem Ku‘damm. Ständig von Razzien der Polizei unterbrochen – das kann nicht viel Spaß machen. Für die Anwohner, insbesondere für Kinder, machen die ständige, teils bewaffnete Polizeipräsenz und die Razzien, bei denen schwarze Männer gejagt und in Handschellen abgeführt werden, die Dealer erst bedrohlich. Die Anwohner sollten von der Stadt für ihre Schwierigkeiten entschädigt werden. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass diese Männer einen Dienst leisten, den viele Menschen, einschließlich der Anwohner, genießen.

Aber eben nicht alle ... 

In Bezug auf die Kinder erinnert mich die Frage an die zentralen Argumente für die Illegalität öffentlicher homosexueller Zuneigung. In deutschen Parks war es bis 1969 illegal und von der Polizei verfolgt, sich gegenseitig auf den Mund zu küssen. Heute wie früher wird Unterdrückung erzwungen, um Kinder davor zu schützen, das zu sehen, was nicht gesehen werden sollte. Mein Kollege hat kleine Kinder in umliegenden Schulen - ich finde es viel bedrohlicher, wenn Kinder sagen: "Ich mag die nicht. Sie verkaufen Drogen" und dann vor allen schwarzen Männern Angst haben, weil ihre erwachsene Umgebung sie zu diesem unterschwelligem Rassismus erzieht.

Um den Umgang mit den Dealern im Park wird seit Jahren politisch gerungen. Was müsste passieren? 

Ich persönlich liebe den Görlitzer Park und habe bei ihrem letzten Besuch meine kleine Nichte aus Basel mit zu einem Picknick genommen. Kein Park, den ich jemals gekannt habe, hat so engagierte Nachbarn, eine so intensive zivile Unterstützung, und nirgends sonst hat man das Gefühl von Freiheit im öffentlichem Raum, wie es im Görli möglich ist. Diese Freiheit und diese Freiräume sind es auch, um die es bei dieser künstlerischen Arbeit geht. Es geht darum, dass es hier keine rechtsfreien Räume entstehen, sondern Räume, wo Menschenrechte tatsächlich universell sind - und zwar für jeden. Auch für Drogendealer.

Der Görlitzer Park wird oft als Ort des Versagens des Rechtsstaats bezeichnet. Auch außerhalb von Berlin ist von "Verkommenheit" die Rede, neulich gab es eine Pegida-Kundgebung. Warum konzentriert sich so viel Wut und Hass auf diesen Park?

Gerade wegen der Freiheit. Sie zitieren hier aber unkommentiert Pegida-Narrative, die man nicht ständig wiederholen sollte - hier haben Medienvertreter eine besondere Verantwortung. Aber: Alle, die Freiheit und Gerechtigkeit schätzen, sollten das Scheitern ungerechter Gesetze feiern. Was die Verkommenheit der Gesellschaft betrifft? Hmmm ... das kommt mir bekannt vor. Wie weit ist das "Entartete" von Verkommenheit? Es scheint, dass Medienunternehmen und faule Politiker in Deutschland immer noch Sündenböcke und "Verkommenheit" brauchen, um die Fantasie von Menschen anzuregen, die ihre kleinen Welten nie verlassen - aber für sie wählen sollen.

Legitimiert die Kunst dann auch das brutale Drogengeschäft, das weltweit Leben kostet, wenn die den Dealern ein Denkmal setzt?

Nein. Bei dieser Arbeit geht es um den Dealer. Er könnte genauso gut Bio-Gras von einer anarchistischen Genossenschaft in Spanien verkaufen wie auch alles andere. Vor einigen Jahren gab es im Haus der Kulturen der Welt eine Installation über iPhones. Sie thematisierte den gewaltsamen Ursprung der Mineralien aus dem Kongo, die für ihre Herstellung verwendet werden. Wenn Sie ein Smartphone besitzen, sind Sie mit Sicherheit involviert. Wenn Sie Weed im Park kaufen, dann vielleicht nicht.