Zwölf Monate Mode

Das waren die spektakulärsten Outfits des Jahres 2023

Barbie-Chic, Rihannas Babybauch-Couture und die vielleicht berühmteste Katze der Fashionwelt: Das waren die denkwürdigsten Mode-Momente dieses Jahres 

Das Jahr 2023 wird als das "Girl"- Jahr in die Geschichte eingehen. "Girl-Dinner", "Girl-Math" und TikTok- Mikrotrends wie "Strawberry Girl" oder "Tomato Girl" bestimmten dieses Jahr viele Modeerscheinungen. Der zum Ende des Jahres explodierende "Coquette"-Trend brachte Schleifen auf Weihnachtsbaum, Sektglas und um den Hundehals, auf Schuhe, Kleider und Haare sowieso. Der von Miu Miu ausgelöste "Ballerina Core"-Stil vom letzten Jahr hatte sich so zu einer süßen rosa "Cupcake-Ästhetik" entwickelt. Und die Marke wurde laut der Plattform "Lyst" zur erfolgreichsten des Jahres.

Doch dass man auch jenseits von einzelnen Trends grundsätzlicher nachdenken sollte, daran erinnerte Slow-Fashion-Befürworter Alec Leach in seinem Newsletter zum Jahresende: "Fashion’s glory days are gone, get over it". Darin spricht sich der Autor gegen eine allgemeine 90er-Genie-Nostalgie aus. Einen neuen Alexander McQueen oder Jean Paul Gaultier werde es nicht mehr geben. "Bernhard Arnault, dem Louis Vuitton gehört, ist immer mal wieder der reichste Mann der Welt, abwechselnd mit Musk und Bezos. Glaubt ihr, er vermisst die gute alte Zeit?" 

Was wir brauchen seien keine neuen Ästhetiken, sondern Lösungen. Für so viele sei die wichtigste Frage nicht "wann wird Mode wieder gut sein?", sondern "wie können wir eine Karriere aufbauen, ohne Burnout zu bekommen oder bankrott zu gehen?". Eine offene Kritik am aktuellen System, das darauf ausgerichtet ist, sehr reiche Männer noch reicher werden zu lassen. Es würde sich lohnen, das auf lange Sicht zu ändern. Denn wenig ist so unterhaltsam und wohltuend wie gute Mode.


Januar

Der Januar wartete wie jedes Jahr mit den Haute-Couture-Schauen in Paris auf. Wichtige Modehäuser beeindruckten mit hoher Schneiderkunst, ein Designer jedoch schaffte, was sich alle sehnlichst wünschen: Grandios designte Mode mit einem viralen Moment zu verbinden. Daniel Roseberry, seit Juli 2019 Artistic Director für Schiaparelli, orientierte sich an Elsa Schiaparellis Können. Er kombinierte tragbare, elegante Kleider gekonnt mit dem für das Haus charakteristischen Surrealismus. Und transportierte sie so in eine Art kleidsamen Schockzustand. 

Aus einigen Models wurden skulpturale Kunstwerke geformt, sie trugen Kleider aus schildähnlichen Korsetts, die steif abstehend bis unters Kinn reichten. Aus Gold gefertigte und mit Edelsteinen gefüllte Platten, die vielleicht ein Eigenleben entwickelt hatten und immer weiter nach oben gewachsen waren. 

Aus der atemberaubenden Couture stachen die Raubkatzen heraus, deren Köpfe aus den Kleidern bekannter Models wuchsen. Um Naomi Campbells Hals wand sich ein Wolf, ein Kleid schien wie aus einem Schneeleoparden geformt, und aus Irinas Shayks schwarzer Samtrobe ragte ein riesiger Löwenkopf. Doch damit nicht genug: Kylie Jenner saß in ebenjenem Outfit in der ersten Reihe, was der Influencerin den Spitznamen "Aslan" einbrachte - und zum wohl meistgeklickten Bild der Couture-Schauen wurde.

Tierkopf-Kreation der Schiaparelli Haute Couture Frühjahr-Sommer-Kollektion 2023
Foto: Foto: Michel Euler/AP/dpa

Tierkopf-Kreation der Schiaparelli Haute Couture Frühjahr-Sommer-Kollektion 2023


Februar

Im Februar widmeten sich alle, die Rang und Namen hatten, einem legendären Rihanna-Konzert, das kurzzeitig von einem Football-Spiel unterbrochen wurde: dem Superbowl. Seit Jahren wird die Halbzeitpause des Sportevents zum eigentlichen Ereignis des Abends. Und gerade 2023 wurde ihm besonders entgegengefiebert, da Stargast Rihanna seit 2018 nicht mehr live aufgetreten war. Die Sängerin schwebte auf einer Glasscheibe ins State Farm Stadium in Glendale, Arizona. Ihren Gesang übertrumpfte nur ihre eigene Erscheinung. Einen roten Overall hatte sie mit einem hautengen Bodysuit derselben Farbe und einem ebenfalls roten Brustpanzer von Loewe kombiniert. 

Gut sichtbar war ihr zweiter Babybauch, den sie zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentierte. Das Bild, das den Februar prägte, ergab sich jedoch, als die Sängerin für den letzten Part ihrer Performance in einen Steppdecken-artigen Mantelumhang des Modehauses Alaïa schlüpfte, der sie rot und riesig vergrub. Der Moment erinnerte an die verstorbene Modegröße André Leon Talley, der auf seinem wohl berühmtesten Foto den "Sleeping Bag Coat" von Norma Kamali trägt. Auf diesen verwies Rihannas Outfit-Wahl unübersehbar.

Rihanna bei ihrem Auftritt in der Halbzeit des Superbowls 2023 in Glendale
Foto: Matt Slocum/AP/dpa

Rihanna bei ihrem Auftritt in der Halbzeit des Super Bowl 2023 in Glendale


März

Gwyneth Paltrow war im Jahr 2016 in einen unglücklichen Skiunfall verwickelt. Im März 2023 prägte sie ungewollt den Begriff "Courtroom Core" und befeuerte die "Quiet Luxury"-Ästhetik, als sie als Angeklagte dem daraus folgenden Prozess beiwohnte. In verboten weichen Loro-Piana-Kaschmir-Pullovern für knapp 1500 Euro, einem grünen The-Row-Mantel für 4500 Euro und Prada-Schuhen erschien die Schauspielerin und Unternehmerin tagein, tagaus im Gerichtssaal. 

Als "softes Powerdressen" wurde ihr Stil beschrieben. Elitäre Codes, verpackt in den feinsten Materialien, erkennbar nur für die, die ihn verstehen sollen. Altes Geld, unaufgeregter Reichtum: Nicht Logos, grelle Farben und protziger Goldschmuck zeigten den Luxus auf, sondern pure, zurückhaltende Qualität. 

Selbst Kleidungsstücke, die einen üblicherweise formellen Charakter vorweisen, wie etwa ein grauer Anzug, stylte Paltrow oversized und in Kombination mit einem Feinripp-Pullover. Jedes Detail ihrer Ausstattung sagte, dass dieses Verfahren ihr nicht besonders viel anhaben konnte. Sie war geschützt durch dünne Schichten Kaschmir und ein dickes Bankkonto. Im selben Monat startete die vierte Staffel der HBO-Erfolgsserie "Succession", das "Quiet Luxury"-Königreich auf dem Bildschirm, das die Stilrichtung weiter festigte. Einen 45- prozentigen Wertanstieg der Loro-Piana-Baseball-Kappe, mit der der älteste Erben-Sohn Kendall Roy zu jedem Helikopterflug sein Haupt schmückte, verzeichnete die Modeplattform Lyst. 


April

Der April 2023 markierte die Geburt eines neuen "It-Girls", wie man es in den frühen 2000ern gesagt hätte. Sofia Richie, Tochter von Sänger Lionel Richie, heiratete den Musikproduzenten Eliott Grainge – in drei verschiedenen Chanel-Hochzeitskleidern. Offensichtlich extra für sie angefertigt, trotzdem klassisch, unaufdringlich, ungefähr das Gegenteil von Hailey Biebers Off White-Brautrobe. "Stealth Wealth“, heimlicher Reichtum. 

Nach der Einführung der Stilrichtung im März, mauserte sich Richie zur "Quiet Luxury"-Modeikone. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort im richtigen Kleid. Das kleine Schwarze, Hosenanzüge, Anzugwesten, das unverkennbare Chanel-Tweed-Kostüm: Richie brachte eingestaubte, fast altmodische Klassiker zurück. Eleganz, Tradition, altes Geld. 83,5 Millionen Views hat der Hashtag #OldMoneyAesthetic auf TikTok zum jetzigen Zeitpunkt. 

Die Oxford-Definition von "altem Geld" lautet: "Vermögen, das eher geerbt als verdient wurde". Richie war also die perfekte Anführerin. Polohemden, helles Leinen, Caprihosen, gesteppte Mäntel – in einer Zeit ökonomischer Instabilität waren es gerade für die jüngere Gen Z die nicht totzukriegenden, elitären Klassiker, die Sicherheit versprachen.


Mai

Wie jedes erste Wochenende im Mai fand auch 2023 die Met-Gala in New York statt. Das Thema "Karl Lagerfeld. A Line of Beauty" sorgte im Vorfeld für Proteste. The Model Alliance, ein Zusammenschluss, der sich um die Rechte und Sicherheit von Mannequins kümmert, erinnerte in den Tagen vor dem Event, wie Lagefeld einige von ihnen behandelt hatte. "Die Entscheidung, Lagerfeld zu ehren, verkörpert die Dissonanz einer Branche, die einerseits behauptet, progressiv zu sein, die Body Positivity und survivors feiert, und dann Figuren wie [Lagerfeld] verehrt, ohne ihre regressiven Ansichten auch nur anzuerkennen", so Sara Ziff, die Gründerin der Allianz, gegenüber dem Magazin "Jezebel"

Natürlich wurde das Event trotzdem gut besucht und Lagerfeld in jeder Facette geehrt, so wie es sich für ein (leider ziemlich frauenfeindliches) Genie gehört. Ein lächerlich-liebenswertes Lagerfeld-Gimmick war schon seit 2011 seine weiße, fluffige Burma-Katze Choupette, die eine eigene Wikipedia-Seite besitzt und schon vor dem Tod des Modeschöpfers von zwei Dienstmädchen gepflegt wurde. 

Eine überlebensgroße Choupette-Version fand sich so auch auf dem roten Teppich der Gala im Metropolitan Museum ein, dem vielleicht einzigen Mode-Event, auf dem Kostüm und Kleidung ineinander übergehen dürfen, ohne als schlechter Stil zu gelten. Das fellige Riesentier begrüßte Sängerinnen und Modegrößen und entpuppte sich schließlich als der Schauspieler Jared Leto. Miau!

Jared Leto als Katze Choupette bei seiner Ankunft zur Benefizgala des Costume Institute des Metropolitan Museum of Art
Foto: Evan Agostini/Invision/AP/dpa

Jared Leto als Katze Choupette bei der diesjährigen MET-Gala in New York

Juni

Zu Beginn des Jahres war Pharell Williams als neuer Creative Director der Herrenkollektionen des französischen Modehauses Louis Vuitton ernannt worden. Im Juni dann zeigte er seine erste Kollektion, wofür gefühlt ganz Paris einen Abend lang lahmgelegt wurde. Mode ist nicht gleich Mode, wenn Williams die Zügel in die Hand bekommt. Das Event wurde zu einem popkulturellen Spektakel. Williams wirbelte die Codes des traditionsreichen Hauses auf, platzierte sie auf moderne Art und Weise neu: gerade genug, um den alteingesessenen Luxus-Käufer nicht zu verschrecken und die junge, aufgeschlossene Generation für die Marke zu interessieren. 

Das "Damouflage"-Muster, eine Fusion von Louis Vuittons Damier-Print und einem Camouflage-Design, verbreitete sich über der Pont Neuf als Laufsteg. Daneben viele laute Logos und bunte Taschen. Pharrell wurde zum Creative Director ernannt, weil man tragen will, was er trägt, um auch nur einen Hauch so cool, erfolgreich und zeitgeisty zu sein. So schien es nur logisch, dass auch das Multitalent selbst in einem Damouflage-Anzug auftrat, in Kombination mit einer winzig kleinen, diamantbesetzten Brille aus seiner Kollaboration mit Tiffany & Co. 


Juli

Über ein ganzes Jahr hatte sich unser Planet langsam, aber sicher in "Barbieland" verwandelt – von den ersten Set-Fotos, bis zur Filmpremiere im Juli. Hauptdarstellerin Margot Robbie und ihr Stylist Andrew Mukkamal verzauberten nostalgische Millenials und alle auf den pinken Zug aufspringenden Fans mit einer crème de la crème der Pressetour-Looks. Wie wenige vor ihr verschmolz Robbie mit dem heißgeliebten Plastik-Charakter, verkörperte das Idol vieler Mädchen bei den Events detailgetreu, schien mehr Real-Life-Barbie zu sein als eine Schauspielerin mit eigenem Stil. 

In den Looks unterschiedlicher Barbies nahm sie die roten und rosa Teppiche in Beschlag: mal als "The Original Barbie" aus dem Jahr 1959 in einem schwarz-weißen Hervé-Leger-Kleid, dann als "Day to Night Barbie" von 1985 in zwei unterschiedlichen pinken Outfits. 

Zwischen den originalgetreu nachgestylten Looks steckte Mukkamal die Schauspielerin auch immer wieder in rosa schattierte Mode-Klassiker: Versace aus dem Jahr 1994, Chanel aus der Frühling-Sommer-Kollektion 1996, Moschino von 2022. Ein besonders gefeierter Look war der der "Enchanted Evening Barbie" aus dem Jahr 1960, den Robbie zur Pressetour in London trug: ein bodenlanges rosa Abendkleid mit Schleppe und Rosendetail, dazu weiße lange Abendhandschuhe und eine weiße Rüschen-Stola. It’s fantastic!

August

Das Jahr 2023 war popkulturell geprägt von den Live-Tourneen zweier Sängerinnen, die die Jetztzeit definieren: Taylor Swift und Beyoncé. Modetechnisch dominierte die Letztere, denn während ihrer "Renaissance"- Welttournee wurde Beyoncé von allen großen Designern und Modehäusern versorgt. Nicht eine Marke allein hatte das Privileg, eine der erfolgreichsten Künstlerinnen der Welt einzukleiden. Ein breites Portfolio wichtiger Mode-Namen fand sich vielmehr in mehreren Mini-Kollaboration an ihrem Körper wieder. 

Vom Laufsteg übernommene und in Superstar-Marnier abgewandelte Looks zeigten Beyoncé in Vintage-Mugler, Rick Owens oder Versace. So setzte die Sängerin noch einmal neue Standards für Bühnenoutfits und füllte gleichzeitig das modische Sommerloch. Ihre August-Konzerte begeisterten gerade jene, die bloß die auf Social-Media verbreiteten Fotos genießen konnten und sich endlich an Looks labten, die weder Bikini noch Badeanzug enthielten. 

So trug die Sängerin etwa Ende des Monats einen futuristisch-spiegelnden Gareth-Pugh-Look in Phoenix, Arizona. Ein aus glänzendem Metall geformter, skulpturaler Korsett-Body, bis zur Mitte der Oberschenkel reichende silberne Stiefel und Abendhandschuhe im gleichen Stil, dazu eine silbern glitzernde Sonnenbrille.

September

Jonathan Anderson wurde während der Fashion Awards 2023 als Designer des Jahres ausgezeichnet, sowohl für die Arbeit bei seiner eigenen Marke als auch für das spanische Modehaus Loewe. Dies geschah zwar erst im Dezember, schon während der Schauen im September jedoch zeichnete sich einmal mehr ab, welch rares Talent Andersons Schaffen bestimmt. 

So gelingt es ihm als einem der wenigen der Branche, immer wieder neue Silhouetten zu formen, die Tragbarkeit und Kreativität, Außergewöhnliches und Banales miteinander verbinden. Der für immer im Gedächtnis herumgeisternde Look der JW-Anderson-Schau für den Frühling/Sommer 2024 wird der aus Knete gefertigte Kapuzenpullover sein, zu dem der Designer eine kurze, weiße Knet-Shorts kombinierte. Simple Kleidungsstücke, aus einem abgedrehten Material, zwischen Kunstwerk und Klamotte, ein Augenschmaus. 

In derselben Saison erfand Anderson für Loewe die Lederjacke, deren linke Seite sich zu einer Shopper-Tasche formte, die das Model lässig am Riemen über seiner Schulter zusammenhielt. Auch die legendären ärmellosen, zum Verpuppen einladenden Grobstrick-Cardigans stammten aus dieser Frühling-Sommer-Kollektion. Das Anagramm-Logo von Loewe war dieses Jahr das meistgesuchte Luxusmotiv auf "Lyst". 2023 war und 2024 wird ein Jonathan-Anderson-Jahr. Denn an gutem Design kann man sich nicht sattsehen. 

Oktober

Am vorletzten Oktober-Tag des Jahres 2023 saßen gut gekleidete Frauen und die, die es gern bald wieder sein wollten, wie hypnotisiert vor ihren Laptops. Die geliebte Designerin Phoebe Philo, die im Jahr 2017 ihre Position als Kreativdirektorin bei Celine aufgegeben und damit einige Herzen gebrochen hatte, sollte genau dann den ersten Drop ihrer eigenen Marke feiern. 

Nach vielen, stets von mitteljungen weißen Männern verlassenen und wieder aufgenommenen Creative Director-Posten im Jahr 2023, lechzten Frauen nach Kleidern, die von ihresgleichen designt wurden. Gerade Philo war stets dafür bekannt gewesen, Mode für Frauen und ihre Bedürfnisse zu kreieren, deren größter Auftrag es war, die jeweilige Trägerin stark und selbstbewusst zu machen: durch schmeichelnde Schnitte, außergewöhnliche Materialien, modisch vorausschauende Silhouetten. 

Der vielleicht charakteristischste Look des Phoebe-Philo-Neubeginns bestand aus einer schokoladenbraunen Lederjacke mit kleinem Bündchen und daraus entstehendem Peplum, das gekonnt die Hüftregion umspielte. Dazu hatte die Designerin eine weite, gerade geschnittene Stoffhose in einem Aubergine-Farbton gestylt. Ein perfekt ausbalanciertes Equilibrium, Phoebe Philos einzigartige Stärke. 

Entwurf aus der Kollektion von Phoebe Philo, 2023
Foto: Courtesy Phoebe Philo

Entwurf aus der Kollektion von Phoebe Philo, 2023

November

Im November amüsierte sich ganz Mode-TikTok über die Louis Vuitton "Illusion Boots". Ein hochhackiges Paar Stiefel, das aussah wie ein Stück nacktes Bein, das in weißen Söckchen und schwarzen Highheels steckt. Das Trompe-l’oeil-Schuhwerk, das in Knöchel- oder Knielänge zu erhalten ist, kostet um die 2250 Euro, wurde aus Kalbsleder gefertigt und in Italien handbemalt. Der surreale Sekretärinnen-Chic, der im Original in jede "gute" Garderobe einer Großmutter gehört, ist in unterschiedlichen Hauttönen zu haben und verleiht der sonst vorhersehbar eleganten Louis Vuitton-Damen Kollektion einen schrullig-skurrilen Touch. 

Dezember

Nach mehreren Balenciaga-Skandalen im Jahr 2022 hatte Demna Gvasalia immer wieder seine geläuterte Rückkehr zur professionellen Schneiderkunst verkündet. Keine viral gehenden Gimmicks mehr à la Simpsons-Show, Schnee-Kuppel-Laufsteg oder Chipstüten-Tasche. Nein, er wolle sich auf das besinnen, was in der Mode wichtig ist: Die Kunst, Kleider zu erschaffen. 

"Ich habe mich dazu entschieden, zu meinen Wurzeln in der Mode zurückzukehren, auch zu den Wurzeln Balenciagas, was bedeutet, qualitativ hochwertige Kleider zu machen, nicht Image oder Buzz." Dieses Zitat wurde dem Georgier schon im November mit Karacho um die Ohren gehauen, als Balenciaga einen aus einem Handtuch gewickelten "Towel Skirt" für 925 Dollar auf seiner Website anbot. Viele Instagram-Accounts, wie etwa der von Ikea, veralberten den modischen Fail und stellten das Kampagnen-Bild mit einem 10-Euro-Handtuch nach. 

Und auch die im Dezember in Los Angeles gezeigte Pre-Fall-2024-Kollektion konnte nur für ein erneutes In-Frage-Stellen von Demnas Zitat sorgen. Comichaft-riesige Sneaker, pinke Jogginganzüge, Activewear, Highheels als Clutch und selbst für Balenciaga enorme Schulterpartien bestimmten das Bild. Image und Buzz, viel mehr gab es auf der von Palmen gesäumten Straße nicht zu sehen. 

Ironisch sei er L.A. und seine Wellness-Kultur nicht angegangen, beteuerte Demna, und doch fertigte er Lederversionen der Papier-Einkaufstaschen von Erewhon an: einer US-amerikanische Supermarktkette, die etwa Hailey Biebers "Strawberry Glaze Skin Smoothie" für 18 Dollar anbietet, den sie zu einem ihrer Lip-Peptide-Treatments mit Erdbeergeschmack entworfen hatte. Hier schließt sich dann wohl der Kreis zum "Strawberry-Girl". Und es bleibt die Frage, wen Balenciaga mit dieser Masche noch begeistern will. 

Vielleicht steht 2024 sogar ein Wechsel der Kreativdirektion bevor. Damit wäre das modische Schock-Ereignis des kommenden Jahres dann auch gesichert.