Aus dem Dunkel dröhnt eine unheimliche Stimme. Sie gehört Gezo, dem Herrscher des westafrikanischen Königreichs Dahomey, der von 1818 bis zu seinem Tod 1858 regierte. Eine irgendwann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschaffene Skulptur zeigt Gezo, den rechten Arm zur kämpferischen Geste erhoben, die Faust geballt – fast wie zum Black-Power-Protest.
In ihren Dokumentarfilm "Dahomey" hat die senegalesisch-französische Regisseurin Mati Diop die Sätze aus dem Geisterreich eingestreut. Klingen sie wütend? Schwingt in ihnen tiefe Trauer mit? Gezos Statue scheint hier zu reden, verfasst wurden seine Monologe von dem haitianischen Schriftsteller Makenzy Orcel. Man habe ihm den Namen "26" verpasst und in die Finsternis des Museumsdepots eingeschlossen, klagt der König. Bald werde er frei sein. Dennoch sorgt sich Gezo um seine Rückkehr in ein Land, das ihm fremd geworden sein könnte.
Die Statue gehört zu 26 Kulturgütern aus Dahomey, die Frankreich im November 2021 an das heutige Benin zurückgab, erst 61 Jahre, nachdem das westafrikanische Land seine Unabhängigkeit erlangt hatte. Dem Schlüsselmoment in der postkolonialen Geschichte Benins widmet Mati Diop ihren eindringlichen Film, der mit 67 Minuten ungewöhnlich kurz ist und der – auch das nicht selbstverständlich – nun ins Bärenrennen geschickt wurde. Dabei stehen die Chancen für "Dahomey" gar nicht mal schlecht, schließlich hat mit "Auf der Adamant" im vergangenen Jahr ein Dokumentarfilm den Goldenen Bären gewonnen.
Anfang in Transportkisten
Paris, Schauplatz von Nicolas Philiberts Vorjahressieger, steht am Anfang der Reise. Gezo und die anderen Werke werden im Musée Quai Branly in Transportkisten verpackt. In Cotonou mit dem Frachtflugzeug angekommen, werden die restituierten Kunstschätze in den Präsidentenpalast gebracht, wo sie bis heute ausgestellt sind.
An den Staatsakt der Ausstellungseröffnung schließt sich bei Diop eine Debatte unter Studentinnen und Studenten an. Die junge Generation Benins diskutiert über die Frage, wie der Akt der Wiedergutmachung eigentlich zu bewerten sei. Steckt hinter der Rückgabe eines winzigen Teils tausender geraubter Kunstwerke nur Imagepflege? Oder ist die von Emmanuel Macron angestoßene Restitution ein erster Schritt, der auf weitere Rückgaben hoffen lässt?
Ein Diskutant bezeichnet die Rückgabe der 26 Stücke als "brutale Beleidigung". Eine andere sieht eine symbolische Geste der Franzosen, um von innenpolitischen Zwängen abzulenken. Und was ist mit den Landsleuten? Können die Werke ein Beitrag dazu sein, die eigene Geschichte kennenzulernen oder besser zu verstehen? "Man hat mir gesagt, ich würde von Sklaven abstammen", ruft eine Studentin wütend, "aber ich stamme von Amazonen ab!"
"Haft in den zivilisierten Höhlen der Welt"
Zu knapp werden die Artefakte selbst behandelt. Wir hören die Stimme des Kurators Calixte Biah, der über Materialien und die Bildsprache einzelner Werke informiert. Hier hätte Diop in ihrem ohnehin sehr kurzen Film definitiv ausführlicher werden können. Befürchtete die Filmemacherin, dass die durchaus gewalttätige Geschichte des Königreichs Distanz beim Publikum aufbauen könnte? Immerhin ist zu erfahren, dass ein Thron, der zu den von Paris restituierten Schätzen gehört, mit Figuren geschmückt ist, die auf den in Dahomey florierenden Sklavenhandel verweisen.
Gezo jedenfalls, dessen Statue Mati Diop häufig ins Bild rückt und dessen Geisterstimme auch in Benin wieder erklingt, scheint sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Am Ende von "Dahomey" streift die Kamera durch das nächtliche Cotonou, überblickt das bunte Treiben in den Straßen, schaut den Menschen zu, wie sie ihren Besorgungen nachgehen, miteinander plaudern oder tanzen.
Gezo ist jetzt bei ihnen, erleichtert über die neu gewonnene Freiheit. Die "Haft in den zivilisierten Höhlen der Welt" sei nun Vergangenheit, sagt die seltsame Stimme, die, allmählich wird es einem bewusst, wie ein vielstimmiger Chor klingt.