Radiobeitrag

"Mir tut's hier sehr weh!"

Unsere Welt hat wenig Platz für Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen. Die große Ausstellung "Crip Time" im Frankfurter MMK zeigt eindrucksvoll, wie politisch das Thema Krankheit ist

Junge Frau am Schalter im Krankenhaus: "Hallo!" Die Ärztin blickt hoch, widmet sich dann wieder ihrer Tabelle. Frau legt die Hand in ihre Herzgegend. "Mir tut’s hier weh! Ich muss zum Arzt. Hier auch. Und hier tut es auch sehr weh." Ärztin: "Zu dem Arzt will ich auch gerne." Im Film "Hospital Bone Dance" von Judith Hopf aus dem Jahr 2006 tanzen die Kranken noch mit Krücken und Bandagen durch die Flure. Ein vermummtes Kind mit Kopfverband klettert durchs Krankenhausfenster, während ein Typ draußen "Like a Rolling Stone" singt. Die geheimnisvolle Ärztin, dargestellt von Judith Hopf selbst, nimmt doch noch zärtlich-autoritären Kontakt auf zur Patientin (Deborah Schamoni), die sich inzwischen erfolgreich als Notfall eingeliefert hat. Am Ende steht der Satz im Raum – einem lichtlosen Krankenhauskeller: "Augen auf, Augen zu. Immerhin auch ’ne Bewegung."

In der großen Ausstellung "Crip Time" im MMK in Frankfurt (Main) geht es um Einschränkung, Krankheit, Behinderung. Susanne Pfeffer hat dazu eine neue Generation von Künstlerinnen und Künstlern eingebunden, die meisten von ihnen sind Aktivisten und Aktivistinnen in eigener Sache, denn sie sind direkt oder indirekt betroffen. Dieser Zugriff auf das Thema ist auf zwei Arten neu und spannend: Zum einen macht das MMK keine Ausstellung "über" Menschen mit Einschränkungen, sondern diese treffen die Aussagen in ihrer Kunst selbst. Zum anderen zeigen sich etablierte Namen teilweise erstmals in diesem Kontext. Wolfgang Tillmans, Nan Goldin, Rosemarie Trockel, Isa Genzken, Mike Kelley zählen dazu. Das Gebot, von den privaten Umständen der Künstlerpersönlichkeiten nie auf ihre Werke zu schließen, gilt hier plötzlich nicht mehr. Das ist auch deshalb gut, weil es eben keine "privaten Umstände" sind, sondern eine kollektive, gesellschaftliche Angelegenheit.

Krankheit und Einschränkung sind nicht nur Aufgabe der Medizin, sondern der Politik. Diese Aufgabe nimmt das MMK auch als Institution sehr ernst und setzt sie in der Besucherführung, der Kommunikation und dem Vermittlungsprogramm konsequent um. Die Kunst selbst, und das ist die große Leistung dieser Schau, bleibt zu jeder Zeit als Kunst stark. In der poetischen Documenta-13-Arbeit von Judith Hopf, für die sie Gläser instabil bis unter die Decke aufeinanderstapelte zu einem fragilen Bambuswald, blitzt noch mal eine neue Facette auf. Die Gehenden, Sehenden Hörenden, die darüber nie nachdenken, werden eingeladen in eine Welt der Erschwernisse und Ignoranz. Eine der vorherrschenden Gefühlslagen, das muss man aushalten: sehr nachvollziehbare Wut.

Über die Ausstellung "Crip Time" im MMK Frankfurt spricht Monopol-Redakteurin Silke Hohmann auch im Radio mit Moderator Yannic Köhler bei Detektor FM, hier zum Nachhören: