Manche Trends und Modephänomene werden seit Jahren für "zurück" erklärt, doch setzen sich nie wirklich durch. Hüftjeans etwa. Andere wiederum feiern ihr Comeback, obwohl sie nie ganz von der Bildfläche verschwunden waren. So etwa die Supermodels, die ihre Hochzeit, während der 1990er-Jahre feierten, aber stets als konstante Größen der Modewelt galten.
Im August dieses Jahres stellten Cindy Crawford, Christy Turlington, Naomi Campbell und Linda Evangelista ihr legendäres "Vogue"-Cover von 1991 für die US-amerikanische und britische September-Ausgabe der Modezeitschrift nach. Im gleichen Atemzug erschien auf Apple+ die Doku-Serie "The Super Models". In den vier Episoden "Look", "Macht", "Ruhm" und "Vermächtnis" erzählt die Serie die Geschichten der vier Modelle, von ihren Anfängen bis zur Ikonisierung. In einer Welt, in der "In" und "Out" sich stetig abwechseln, Alter bis vor Kurzem noch ein absolutes No-Go darstellte und die Begierde nach Neuem nie befriedigt scheint, gleicht dieses sich seit Jahren anbahnende Revival einem kleinen Wunder.
Hört man die Namen Cindy, Christy, Naomi und Linda in Kombination, ist klar, um wen es sich handelt. Egal, ob man sich jemals ein Designerkleid hat leisten können oder überhaupt mit der Modewelt vertraut ist. Und das ist, was alles veränderte. "Es gibt so viele Mythen, die Models umgeben. Und diese Mythologie soll ihre Menschlichkeit irgendwie verbergen“, heißt es in der Supermodel-Serie. Langbeinige, seidenhaarige, elfenhafte Wesen, die einen Look mühelos aussehen lassen, aber so austauschbar sind wie die Kleidung, die sie tragen - das war lange Zeit die Anforderung an ein Mannequin.
Die Glanzzeiten der Mode-Freundinnen
Doch dann kamen Cindy, Christy, Naomi und Linda. Aus kleinen amerikanischen Vorstädten, aus Kanada und Großbritannien trafen sie in New York zusammen, erlebten und prägten die sogenannten glory days der Mode: Shootings mit berühmten "Vogue"-Fotografen in improvisierten Studios, enge Beziehungen zu großen Designern, legendäre Cover-Strecken, Auftritte als Freundinnen, zu denen sie wurden. Jede spielte ihre Rolle, hatte ihre Nische, die perfekte Castingband der Modewelt.
Ende der 1980er Jahre dann, als das Kabelfernsehen sich verbreitete und Mode mehr und mehr in den Fokus des breiten Publikums rückte, waren sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort - und dieser Ort war George Michaels Musikvideo zu seinem Lied "Freedom". Statt dem Sänger führten die Supermodels Karaoke-mäßig durch den Clip. Der absolute Durchbruch und die Krönung vom Model zum Supermodel durchliefen die vier, als sie den Song mitsingend über Gianni Versaces Laufsteg liefen. Eine Idee seiner kleinen Schwester Donatella, die den Moment, die Fusion von Mode und Entertainment, erkannte.
Arm in Arm, in den Kleidern des italienischen Modegottes, markierten sie eine neue Zeitrechnung und können zu den ursprünglichen Influencern erklärt werden. Models wurden zum Star der Show, die Kleidung fast nebensächlich. Als einige der ersten waren die Supermodels sowohl in Printmagazinen zu sehen als auch auf den Laufstegen. Zwei Kategorien, die vorher streng voneinander getrennt bespielt wurden.
"Ihnen gehörte der Laufsteg"
"Das war plötzlich, als würde man einen Filmstar im wahren Leben sehen", erklärt eine Brancheninsiderin es in der Serie. "Sie zeigten ihre Persönlichkeit, und das war der springende Punkt", beschreibt es Modekritikerin Suzy Menkes. "Sie hatten einfach Spaß, ihnen gehörte der Laufsteg". Die Verbindung von Schönheit, Persönlichkeit, Berühmtheit und Mode ließ die vier Supermodels bald zu den mächtigsten und bestbezahlten überhaupt werden. Zu Ikonen, als die sie noch heute gelten. Sie machten Designer berühmt, wurden gebucht, weil sie Cindy, Christy, Linda und Naomi waren, wurden als Künstlerinnen beschrieben. "Sie haben neu definiert, was es bedeutet, ein Model zu sein", erklärt Donatella Versace. Und sind damit auch zu Vorbildern für den Nachwuchs geworden, die fast unerreichbar scheinen.
Alle vier hatten damit gerechnet, die Arbeit als Model für vielleicht fünf Jahre ausüben zu können. Heute sind es bereits über 30. Die grungy Gegenbewegung Mitte der 1990er, in der Kate Moss das Schönheitsideal namens waif look verkörperte, markierte eine Pause, aber kein Ende der Supermodels.
Und heute sind sie beliebter denn je. Während des vergangenen Modemonats lief Naomi Campell für Dolce & Gabbana, Coperni und Alexander McQueen. Linda Evangelista feierte ihr Comeback auf der September-"Vogue" im letzten Jahr und lief für Fendi. 2017 feierte Donatella Versace auf ihrem Laufsteg eine Supermodel-Reunion. Es ist, als könne man sich an den heute Mitte-50-jährigen Frauen nicht satt sehen. Gleichzeitig schafft es kein Model-Neuling an ihnen vorbei.
Jeder kann alles sein. Nur kein Supermodel
Mittlerweile gibt es viel zu viele Gesichter, die sich oft selbst auf Social Media bewerben. Abertausende Bilder von Influencerinnen, Models, Schauspielerinnen strömen Tag für Tag über Bildschirme. Oft schon wurde versucht, eine intime Gruppe zu kreieren, die eine neue Generation von Supermodels stellen könnte, sie reichen jedoch nie an das Original heran.
Gerade Modemagazine geben ihr Bestes, die Kontrolle über berühmte Gesichter, aber auch Modekritiken und Styling-Vorschriften zurückzubekommen. Es war Teil ihrer einstigen Herrschaft, die Modestars und Trends von morgen zu bestimmen, Cover zu vergeben und damit über die Karriere von Models zu entscheiden. Doch längst haben die sozialen Medien all diese Privilegien demokratisch umverteilt. Jeder kann alles sein. Nur kein Supermodel.
"Es gibt inzwischen zu viele Models - die gesamte Wirtschaft rund um die Imagebildung in der Mode ist zu groß geworden, um sie auf einige wenige Personen zu beschränken“, erklärt Mode- und Kulturkritikerin Biz Sherbert im "Guardian". Influencer schaffen sich ihre eigene Plattform, niemand muss mehr auf der Straße oder im Einkaufszentrum entdeckt werden, wie es oft die Biografien berühmter Models erzählen. Im Gegenteil greifen Modehäuser immer öfter zu Tiktok-Stars oder Instagram-Größen, um ihre Laufstege zu bespielen, um sich Aufmerksamkeit und den nötigen Viralitäts-Boost zu sichern.
Ohne eine gewaltige Reichweite kann man "super" nicht mal mehr träumen
Simon Chambers, Co-Besitzer der Modelagentur Storm Models, sagt: "Früher wählten Brands ein Gesicht, das die Marke weltweit repräsentierte und mit dem sich jeder identifizieren konnte. Heute können sie dank sozialer Medien, Analytik und Marktsegmentierung sagen: 'Wir nehmen unser Budget und verteilen es auf 30 Gesichter, die alle verschiedene Gruppen innerhalb unseres Kundenstamms repräsentieren.’“ Die meisten Frauen, die heute als "Supermodel" bezeichnet werden, sind Influencer, "Nepo-Baby" aus reicher Familie und Model in einem. Gigi und Bella Hadid oder etwa Kendall Jenner zählen eine millionenschwere Followerschaft, kommen aus berühmtem Elternhaus und sind zufällig so schön, dass sie für die großen Modemarken laufen dürfen. Ohne eine gewaltige Reichweite auf den sozialen Medien, darf ein Model heute nicht einmal in Richtung "super" träumen.
Die echten Stars dagegen sind eine sichere Bank, die weiterhin ein enormes Publikum erreicht: Jene, die mit ihnen aufgewachsen sind, kaufen heute die "Vogue", wenn Linda, Cindy, Christy oder Naomi ihnen vom Titel entgegenblicken. Nostalgisch, legendär, eine Erinnerung an die "gute alte Zeit". Auch sind es eher ältere Kundinnen, die noch zu Printmagazinen greifen und sich mit den Titel-Gesichtern identifizieren wollen.
Gleichzeitig feiern die sozialen Medien und vor allem die Generation Z auf TikTok im Schnelldurchlauf vergangene Jahrzehnte und ihre Trends, die Supermodels versprühen dabei ihren Retro-Vibe. So sind es immer noch die gleichen Gesichter, die in der ellenbogigen Branche die guten Cover, wichtigen Modestrecken und luxuriösen Werbedeals einfahren.
Keine Falte, keine Delle
Natürlich zu einem Preis. Obwohl Altersdiversität in der Modebranche immer mal wieder versucht wird, parallel zur Präsenz kurviger Körper und unterschiedlicher Hautfarben, bleibt der Kampf um die ewige Schönheit bestehen. "Jugend ist nicht nachhaltig, Schönheit ist es", erklären die "Supers" geläutert in der Dokumentation, als sie für ihr Revival-Shooting zurecht gemacht werden.
Das Cover wurde trotzdem für seine ausufernde Retusche auseinandergenommen: Cindy Crawford ist kaum wiederzuerkennen, keine Falte, keine Delle, nicht ein 50-jähriger Körper sind auf dem "The Greatest Of All Time" benannten Titel zu finden. Vielleicht schafft es ja Dame Maggie Smith aka Professor McGonagall als 88-jähriges Loewe-Testimonial, den Spieß umzudrehen. Denn noch scheint es, als erlaube man den Veteraninnen ihre langjährige Karriere nur, solange ihnen die Jahre nicht anzusehen sind.
Linda Evangelista hatte nach einer längeren Phase außerhalb der Öffentlichkeit vor kurzem ihre "CoolSculplting"-Tragödie erzählt. Eine schiefgegangene Prozedur zum Einfrieren von Fettzellen, die sie "permanent deformiert" habe, wie sie auch in der Serie berichtet. Und auch darüber hinaus war nicht alles, was den beispiellosen Weg der Supermodels durchkreuzte oder formte, glorreich. Lange vor #MeToo sahen sie sich Vergehen und von der Modewelt entschuldigten sexistischen Praktiken ausgesetzt. Naomi Campbell erzählt von ihren Erlebnissen als Schwarzes Supermodel. Davon, wie sie oft von Werbekampagnen ausgeschlossen wurde und ihre Model-Freundinnen sagen mussten: "Entweder ihr bucht auch Naomi, oder ihr bekommt mich nicht."
Sie sind nicht die Hüftjeans, sondern eine Levi’s 501
Einigen der Fotografen, die die Supermodels damals abgelichtet hatten und die als Branchengrößen gelten, werden heute sexuelle Übergriffe und unangemessenes Verhalten vorgeworfen. Evangelistas Ex-Mann und früherer Modelagent soll sie missbraucht haben. In Talkshow-Ausschnitten preist er sie an wie ein Stück Fleisch, das Geld zu verdienen hat.
Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb, haben die Supermodels Kultstatus erreicht. Sie haben sich selbst ermächtigt - in einer Branche, die sie einst als unmündige Kleiderbügel eingeplant hatte. So überstrapaziert dieser Satz auch klingen mag: Sie sind zu einem Klassiker geworden, der nicht mehr aus der Mode kommen wird. Sie sind nicht die Hüftjeans, sondern eine Levi’s 501.
"Wenn man sie in eine Werbekampagne steckt, verkauft sie sich", bringt es Kim Jones, Creative Director von Fendi, in einem Interview mit der "Vogue" auf den Punkt. Und das ist immer ein gutes Zeichen, um im Geschäft zu bleiben.