Casablanca-Kunstschule in Frankfurt

Mit der Welle in die Freiheit

Moderne aus eigenem Recht: Eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn zur Casablanca Art School beleuchtet die lebendige marokkanische Kunstszene nach der Unabhängigkeit des Landes

Mit der Unabhängigkeit Marokkos im Jahr 1956 strebten auch die Künstler nach Befreiung, zuallererst von bis dahin dominierenden französischen Vorbildern. So wandelte sich die bereits 1919 gegründete École des beaux-arts in Casablanca zu einem Zentrum einer eigenständigen marokkanischen Kunstszene. Es bildete sich die lose Vereinigung der School of Casablanca. Ihr und ihren herausragenden Künstlerpersönlichkeiten ist die gegenwärtige Ausstellung der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main unter dem Titel "Casablanca Art School. Eine postkoloniale Avantgarde 1962–1987" gewidmet.

Die Ausstellung vereint knapp zwei Dutzend Künstlerinnen und Künstler, die sich um Farid Belkahia zusammenfanden, der seit 1962 die zuvor mit ausschließlich französischen Dozenten gebildete Lehranstalt leitete. Zu nennen sind besonders Mohamed Chabâa und Mohamed Melehi; beide sind übrigens auch in der historischen Abteilung der diesjährigen Venedig-Biennale vertreten, die Generalkommissar Adriano Pedrosa zur Geschichte der Moderne im globalen Süden eingerichtet hat.

Interessanterweise orientierte sich Belkahia für die Kunstschule am Vorbild des historischen Bauhauses hinsichtlich der Integration von Malerei, Typografie, Kunsthandwerk. Erstmals waren Frauen an der Kunstschule zugelassen. Zudem wurden die eigenen künstlerischen Traditionen der damals noch als Berber, heute als Amazigh bezeichneten Indigenen Nordafrikas herangezogen. So sind in der Ausstellung auch Webteppiche und Keramiken zu sehen. Stilbildend war aber die Malerei in geometrisch-abstrakten Formen, die in ihrer Farbenfreude durchaus der zeitgleichen Pop-Art des Westens nahe steht. Wellen, Kreise, monochrome Flächen bestimmen eine dezidiert ungegenständliche, im Wortsinne "plakative" Malerei.

"Gemälde, das allen zugänglich ist"

Doch fehlte es in Marokko noch lange an Ausstellungsmöglichkeiten, so dass die Casablanca-Künstler 1969 Freiluftausstellungen unter dem Titel "Présence plastique" zuerst auf dem berühmten Marktplatz von Marrakesch und anschließend im kolonialfranzösisch geprägten Casablanca veranstalteten. Zudem entstanden zahlreiche Plakate zu kulturellen und politischen Themen, die die Formensprache der Malerei mit Typografie verbanden. Mohamed Chabâa bezeichnete das Plakat als "Gemälde, das allen zugänglich ist".

In der Ausstellung zu sehen sind unter anderem Plakate zur Unterstützung von Angola; der antikolonialistische Kampf blieb in Afrika bis Mitte der 1970er-Jahre ein beherrschendes Thema. In der von ihnen gestalteten Zeitschrift "Souffles" traten Melehi und Chabâa für eine abstrakte Kunst ein, die auf den Traditionen des Landes aufbaut. Insbesondere Melehi fand Inspiration für seine eigenen Zeichnungen bei Talismanen und Tattoos der Amazigh.

Anfang der 1970er-Jahre nahm die politische Repression zu. Die Zeitschrift "Souffles" wurde 1972 verboten, Mohamed Chabâa als Marxist verfolgt. Belkahia blieb bis 1974 an der Spitze der Kunstschule, sein Einfluss aber weiterhin prägend. In den Bereichen von Innenarchitektur und Design ließ sich die Arbeit bruchlos fortsetzen, so in der Ausstattung von Hotelanlagen, die in den 70er-Jahre rings um Marrakesch entstanden, um den Tourismus anzukurbeln.

Toni Maraini, italienische Kunsthistorikerin und zeitweilig Dozentin in Casablanca, formulierte als übergreifende Zielsetzung der Gruppe: "die Kunst im Leben präsent zu machen, das Geschaffene wieder in die Umgebung der Menschen, ihren Lebensraum und in die Dinge des Alltags zu integrieren". Dies aber nicht als Rückzug in überkommene Traditionen, sondern, wie die Ausstellung eindrucksvoll zeigt, als deren selbstbewusste Aneignung und Fortführung in einer dezidiert modernen, unverbrauchten Formensprache. Inzwischen ist diese School of Casablanca selbst historisch geworden, als ein Kapitel der Moderne aus eigenem Recht.