Die ersten zehn Minuten sind krass, nämlich einfach ein billiger, expliziter Porno. Würde "Babardeală cu bucluc sau porno balamuc" (Übersetzungsversuch: "Unglückliches Bumsen oder verrückter Porno") in diesem Exploitation-Modus bleiben, müsste man sich schon sehr über den Bärensieg des rumänischen Beitrags wundern. Aber Radu Jude, der Regisseur des Films, hat es natürlich faustdick hinter den Ohren. Wer sich hier aufregt und nicht rausgeht – in dieser Covid-Notberlinale: das Streaming stoppt – muss sich Heuchelei vorwerfen lassen.
Die weitere Geschichte geht so: Auf dem Sexvideo, das unbedacht hochgeladen wird und dann viral geht, sind eine Lehrerin und ihr Mann zu sehen. Emi (stark: Katia Pascariu) versucht vor dem unausweichlichen Elternabend noch verzweifelt, die Verbreitung des Pornos zu stoppen. Die Abendveranstaltung in der Schule wird zum Tribunal mit vorwiegend entrüsteten Eltern, die über Emis berufliche Zukunft abstimmen. Eigentlich handelt es sich um mehrere Filme in einem. Jude zeigt zunächst Straßenszenen aus Bukarest im vergangenen Corona-Sommer. Gesichtsmasken, Alltag, Hektik, viel Aggression und blanker Hass. Dazwischen eine genervte Emi, die per Handy Schadensbegrenzung versucht.
"Das Kino ist Athenas poliertes Schild"
Anschließend schiebt Jude einen Bilderbogen "Short dictionary of anecdotes, signs, and wonders" dazwischen, eine Montage, in der es scheinbar um ganz andere Dinge geht, um Geschichte und Symbole. Aber auch um Medusa und ihren tödlichen Blick, Medusa, die von Perseus nur deshalb besiegt werden konnte, weil er das Monstrum nur indirekt, im reflektierenden Schild der Göttin Athene ansah. "Das Kino ist Athenas poliertes Schild", sagt ein Zwischentitel: Wir können den wahren Horror, die auf uns zurollende wirkliche Gefahr, nur indirekt erkennen – auf der Leinwand.
Dieses Credo des rumänischen Filmemachers muss man im Hinterkopf behalten, wenn sich die Eltern im dritten, als theatralische Farce inszenierten Teil die Köpfe über Emi heiß reden, als wären die Lehrerin und ihr versehentlich in Schülerhände gelangtes Privatvideo ein echtes Problem. Die tiefergehenden Schieflagen, die dahinter versteckt sind, macht "Babardeală cu bucluc sau porno balamuc" en passant sichtbar, indem er uns eine aus dem Ruder geratende postsozialistische Gesellschaft zeigt, in der Konsumismus und reaktionäre Haltungen auf merkwürdige Weise koexistieren.
Das Werk ist ein kühner Mix aus Spielhandlung und Dokumentation, Essayfilm und Satire, ein würdiger Gewinner einer Berlinale ohne Publikum. Wären die Säle voll gewesen, hätte es gewiss hitzige Diskussionen über diesen Film gegeben. Hoffentlich lässt sich das im Sommer nachholen.
Weitere Gewinner der digitalen Berlinale:
Silberner Bär, Großer Preis der Jury: "Guzen to sozo "(Wheel of Fortune and Fantasy) von Ryusuke Hamaguchi
Silberner Bär, Preis der Jury: "Herr Bachmann und seine Klasse" von Maria Speth
Silberner Bär für die beste Regie: Dénes Nagy für "Természetes fény" (Natural Light)
Silberner Bär für die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle: Maren Eggert in "Ich bin dein Mensch" von Maria Schrader (eine Rezension lesen Sie hier)
Silberner Bär für die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle: Lilla Kizlinger in "Rengeteg – mindenhol látlak" (Forest – I See You Everywhere) von Bence Fliegauf
Silberner Bär für das beste Drehbuch: Hong Sangsoo für Inteurodeoksyeon (Introduction)
Silberner Bär für eine herausragende künstlerische Leistung: Yibrán Asuad für die Montage von Una película de policías (A Cop Movie) von Alonso Ruizpalacios