Wer hatte als Kind nicht den Traum vom eigenen Baumhaus? Ein Ort, der nur einem selbst gehört, weit über der Erde, abgeschirmt von allen Verpflichtungen des Alltags, zum Träumen und Banden bilden. Nun, ich selbst hatte nie ein solches Refugium, denn nicht nur mein handwerkliches Können, sondern auch ein passender Baum haben dafür gefehlt.
Das nun im Taschen Verlag neu aufgelegte, dreisprachige Buch "Tree Houses" zeigt reale Baumhäuser aus der ganzen Welt und erzählt ihre architektonische Geschichte. Für Völker wie die Kombai und Korowai, die in Indonesien leben, ist der Bau von Strukturen in den Bäumen die bekannteste und gängigste Wohnform. Forschende gehen davon aus, dass die Gründe für das Leben in 40 Metern Höhe ursprünglich vor allem in der Flucht vor Krankheiten und in Rivalitäten lagen. Aber auch im Italien des 16. Jahrhunderts faszinierten die Unterkünfte weit oben, sodass sich einige Mächtige Räume in den Wipfeln errichten ließen, genutzt als Speisezimmer oder mit einer Wendeltreppe zum Aufstieg versehen, wie es Philip Jodidio in der Einleitung des Buches schreibt.
Auch in der Kunst selbst tauchten Baumhäuser immer wieder auf. So berichtete der britische Reiseschriftsteller Bynes Moryson von einem Exemplar mit fließendem Wasser, das es um 1590 in Schaffhausen in der Schweiz gegeben haben soll. Flämische Meister wie Pieter Bruegel zeigen die Bauten auf ihren Gemälden. Einige historische Baumhäuser sind bis heute erhalten, darunter eines in Pitchford Hall in England, das bereits 1962 urkundlich erwähnt wurde.
Traumort und Aktivistenplattform
Einige Gründe für die Faszination über Jahrhunderte hinweg mögen gleich bleiben: etwa die Ruhe, der Rückzug und die Verbundenheit zur Natur. Die Orientierung an ökologischen Bauweisen, die insbesondere in Europa und den USA seit den 1990er-Jahren zu beobachten ist, hat dazu beigetragen, dass sich heute mehr und mehr Firmen mit der Gestaltung dieser Architektur auseinandersetzen.
Denkt man an Baumhäuser, mögen neben der romantischen Vorstellung von gemütlichen Räumen, Lichterketten und Behaglichkeit auch Protest-Bilder in den Sinn kommen. Bei vielen Umweltschutzaktionen errichten Aktivistinnen und Aktivisten Plateaus in Baumkronen, um Wälder vor der Abholzung zu schützen, zuletzt sehr prominent bei der Besetzung des Hambacher Forsts. Während die Polizei anrückte, zogen sich die Naturschützerinnen auf ihre provisorischen Stützpunkte zurück, auch hier war der Bau eine Form des Schutzes. Besonders bekannt wurde auch die Aktion der Aktivistin Julia "Butterfly" Hill, die zwischen 1997 und 1999 ganze 738 Tage auf zwei 60 Meter hohen Plattformen in einem Baum verbrachte, um dessen Rodung zu verhindern.
Statt dieser ikonischen Aktionen zeigt das Buch "Tree House", wie sich Architektinnen und Künstler dem Thema annähern, oder sich ganz und gar darauf konzentrieren. So wie der gelernte Tischler Andreas Wenning mit seinem Unternehmen Baumraum. Von den knapp 40 Projekten, die der Band vorstellt, stammen gleich drei von ihm. Das Modell "Between alder and oak" bietet große Panorama-Scheiben, durch die das Umland von oben beobachtet werden kann, "Mangolia and fir" dient dem privaten Zweck des Bauherren, der 13,6 Quadratmeter große Raum wird als Gäste- und Spielzimmer für die Enkelkinder oder zum eigenen Rückzug genutzt. Der dritte Entwurf, ein kubischer Bau mit Dachfenster, der "Meditation" heißt, wird von Wennings Frau zu eben diesem Zweck genutzt.
Teehaus, Hotel, Refugium
Von diesem modern-minimalistischen Stil unterscheidet sich unter anderem "Langeais Castle" von Enéa. Über sechs Ebenen erstreckt sich der schlossartige Bau, der an einen Abenteuerspielplatz erinnert. Dagegen klein und zurückhaltend ist das Teehaus "Irisentei tea nest" in 7,2 Metern Höhe von Terunobu Fujimori, das nur eine Nutzfläche von 3,5 Quadratmetern vorzuweisen hat. Und noch ein weiteres, noch kleinerer Teesalon des japanischen Architekten ist zu finden: "Takasugi-an", das aussieht wie ein richtiges Haus, inklusive gedecktem Spitzdach und Schornstein.
Mit der modernen Architektur verändern sich Baumhäuser, sie werden Refugium, Kunstprojekt, oftmals zum Hotel oder AirBnB für eine ausgefallene Nacht im Wald. Neben den vielen Holz-Bauten, die sich an den umliegenden Bäumen orientieren, sind auch immer wieder ausgefallenere Entwürfe zu entdecken, darunter das "Mirrorcube Tree Hotel" in Schweden, das, wie der Name es verrät, gänzlich mit Spiegelglas verkleidet ist.
Der vier mal vier mal vier Meter große Kubus scheint so fast zwischen den Bäumen zu verschwinden. Auch der Bau "On the Spree", wieder von Andreas Wenning, fällt aus dem Raster. Der eiförmige Raum, der mit Edelstahlplatten ummantelt ist, steht auf silbernen Stützen zwischen einigen Bäumen am titelgebenden Fluss - und man kann sich fast fragen, ob das noch als Baumhaus durchgeht. Ob besonders klein, hoch, touristisch orientiert oder als privater Rückzugsraum: Die in "Tree Houses" gezeigte Architektur wirkt immer ein wenig aus der Zeit und Realität gefallen. Wie die professionelle, erwachsene Version von Kinderträumen.