Nicht nur, weil es die Erinnerung an das Bauhaus wachhält, sondern auch, weil es die Idee der bedeutendsten Schule für Gestaltung im 20. Jahrhundert eindrucksvoll in die Gegenwart überträgt, wurde das neue Bauhaus-Museum in Dessau von der deutschen Sektion des Internationalen Kunstkritikerverbands Aica im Jahr 2020 zum "Museum des Jahres" gekürt. Die Preisverleihung Anfang Dezember fand pandemiebedingt nur im kleinen Rahmen statt. Auch Claudia Perren, die das Haus als Direktorin von 2014 bis 2020 durch die Jubiläumsfeierei geführt und in ihrer Amtszeit diesen Museumsbau realisiert hatte, konnte nicht vor Ort sein. Entgegen nahm den Preis ihre Nachfolgerin Barbara Steiner: "Ich finde den Ansatz der Ausstellung, nicht die Meister-Geschichte zu fokussieren, sehr gut!", schließt sie sich der Einschätzung der Aica an, die lobte, dass die neue Dauerausstellung vor allem die Lehr- und Lerntätigkeit am Bauhaus Dessau beleuchtet. "Immer wieder bestimmte Bauhaus-Meister in den Fokus zu rücken, erscheint mir nicht zeitgemäß."
Was reizt die 57-jährige Österreicherin an der Leitung der Stiftung, gerade jetzt, wo mit dem prämierten Neubau so viele Weichen für die Zukunft gestellt zu sein scheinen? Die scheinbar simple Antwort: Die Institution. Steiner, die zuvor seit 2016 Direktorin am Kunsthaus Graz gewesen ist, versteht Leitung als kuratorische Aufgabe. Nicht nur Artefakte, sondern auch Prozesse wollen kuratiert werden. Strukturen und Inhalte eines Museums getrennt zu denken, ist in ihren Augen problematisch, beides schiebe sich schließlich unentwegt ineinander. Sie interessiert sich dafür, wie Institutionen angelegt und wer ihre Träger sind: "An diesem Punkt kommen ökonomische und kulturpolitische Aspekte zum Tragen. Und daraus ergeben sich Potenziale für die inhaltliche Ausrichtung des Programms. Wer für Kunst und Kultur etwas erreichen will, muss bei den Strukturen ansetzen."
Was abstrakt klingt, wird im Gespräch nach ihren ersten 100 Tagen im Amt schnell konkret: Erst an diesem Vormittag gab es in Dessau ein Treffen, um den großzügigen Eingangsbereich des Neubaus lebendiger zu gestalten. Diese sogenannte "Offene Bühne" ist vor allem für Veranstaltungen ausgelegt, kann jedoch in der Pandemie kaum bespielt werden. Die direkte Anbindung zur Innenstadt, die verglasten Fronten und der freie Eintritt im Erdgeschoss legen nahe, hier einen dritten Ort zu schaffen, an dem sich Menschen auch unabhängig vom Museumsbesuch wohlfühlen.
Alle, die es betrifft, sollen dabei sein
Von Beginn an sollte es ein Begegnungsort in der Stadt sein, pandemiebedingt wurde diese Entwicklung unterbrochen. Nun geht es weiter: Vom Besucherservice über den Werkstattleiter, den Architekten, den Haustechniker, den Liegenschaftsverwalter bis hin zum Shoppersonal und den Leuten vom Café kamen jüngst alle zusammen, die mit dem Raum zu tun hatten und haben. Gemeinsam wurde überlegt, was gut funktioniert und welche Bereiche dysfunktional sind. Auch bei den künftigen inhaltlichen Besprechungen sollen diejenigen schon früh dabei sein, die die Projekte später umsetzen. "In diesen frühen Phasen sind praktische Ideen und Vorschläge sehr wichtig", sagt Steiner. "Das führt in der Regel zu besseren Ergebnissen und spart Zeit und Geld."
Gegen 32 internationale Bewerberinnen und Bewerber hat Barbara Steiner sich durchgesetzt – sicher auch, weil sie viel Erfahrung darin hat, Prozesse an unterschiedlichen Orten zu gestalten. In Wien hat sie Kunstgeschichte und Politikwissenschaften studiert, ihre Doktorarbeit zur Ideologie des weißen Ausstellungsraumes verfasst. In den 90er-Jahren leitete sie die Kunstvereine in Ludwigsburg und Wolfsburg sowie von 2001 bis 2011 die Stiftung Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) in Leipzig.
Immer wieder hat sie mit Architektinnen, Designern und Künstlerinnen zusammengearbeitet, in Leipzig wurde beispielsweise mit dem Studio As-if Berlin-Wien ein Erweiterungsbau der GfZK errichtet. Zwei Jahre hat sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig eine Professur im Studiengang "Kulturen des Kuratorischen" vertreten. Immer, wenn sie in Leipzig ist, besucht sie auch die GfZK und trifft sich mit ihrer Nachfolgerin Franciska Zólyom, die wiederum im wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Bauhaus Dessau sitzt und sie auf die vakante Stelle hinwies.
Rückstau nach dem großen Jubiläum
Barbara Steiner kennt den Osten Deutschlands nicht nur aus den Medienberichten. Das hat – neben der fachlichen Kompetenz – überzeugt: "Ich traue ihr zu, lokal relevante Themen an globale Diskurse zu knüpfen und damit die Stiftung Bauhaus Dessau und den Kulturstandort Sachsen-Anhalt weiterzuentwickeln", sagt Rainer Robra, Stiftungsratsvorsitzender und Kulturminister des Landes Sachsen-Anhalt.
Am 1. September trat sie das Amt offiziell an und schon seit April "robbt" sie sich an das Haus heran. Noch während sie im Kunsthaus Graz tätig war, hat sie viele Gespräche mit den Mitarbeitenden in Dessau geführt. Sie hat zugehört, gefragt, wo die einzelnen Abteilungen Potenziale, aber vor allem auch Schwierigkeiten sehen. Und diese stecken bei einer Institution, die gerade ein Mammut-Jubiläum und einen Museumneubau gestemmt hat, vor allem hinter den Kulissen: Sammlung und Archiv sind personell unterbesetzt, wichtige Sanierungsmaßnahmen hinken pandemiebedingt hinterher – Handwerkerinnen und Handwerker sowie Materialien fehlen. Die Website erfüllt inhaltliche aber auch technische Anforderungen nicht mehr und muss neu aufgesetzt werden. Nicht nur das Jubiläum und der Neubau, auch viele unbesetzte Stellen haben zu einem Rückstau geführt.
Und obwohl das neue Museum mitten im Dessauer Zentrum an einer Einkaufsstraße steht, schwebe es noch über der Stadt, wird von den Menschen vor Ort zu wenig angenommen. Und das, obwohl Dessau die Stadt ist, mit der das Bauhaus am stärksten verbunden wird: Hier hat die 1919 in Weimar von Walter Gropius gegründete Hochschule am längsten gewirkt und zwischen 1925 bis 1932 ihre Blütezeit erlebt. Mit Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe haben alle drei Direktoren das Bauhaus in Dessau geprägt und nahezu alle Bauhausbauten, die hier entstanden sind, zählen heute zu den Ikonen der Architektur des 20. Jahrhunderts und ziehen die Reisenden an. Sobald ihre Wohnung fertig saniert sei, wird Barbara Steiner mit ihrem Mann, einem sächsischen Landesbeamten, nach Dessau ziehen. Für sie ist es wichtig, vor Ort greifbar und ansprechbar zu sein, nicht nur am Bahnhof, sondern auch im Supermarkt ein Gefühl für die Stadt zu bekommen – noch fährt sie mit der S-Bahn zwischen Leipzig und Dessau hin und her.
Ihre Frisur war von Bauhäuslern inspiriert
Schon als Jugendliche war sie ein Fan der Avantgarde, orientierte sich auch an Frisuren und Kleidung der Bauhäusler. 1995 war sie zum ersten Mal in Dessau: "Ich stand vor dem Prellerhaus, dem Atelierhaus mit den berühmten Balkonen und mein erster Gedanke war: Ist das klein! Ich war auf die Fotos der Moderne hereingefallen, die häufig so aufgenommen sind, dass Gebäude größer und höher wirken."
Im historischen Bauhaus-Gebäude hat sie heute ihr Büro. Manchmal kommen ihr auf dem Gang Besucherinnen und Besucher entgegen, die sich darüber beschweren, dass es hier gar nichts zu sehen gebe. Tatsächlich sind derzeit noch viele Zonen leer, Regale, Tische und Hocker ungenutzt. Diese Ausstellungsflächen sollen künftig über das Bauhaus, seine Geschichte und gegenwärtige Aktivitäten informieren. Geschichten gibt es genug zu erzählen, etwa über die anstehende Sanierung der berühmten Glasfassade oder über Steiners Vorgängerinnen und Vorgänger, schließlich habe jeder und jede von ihnen die Institution geprägt.
Steiner will mit bildenden Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten und verstärkt mit den Kolleginnen und Kollegen in Weimar und Berlin kooperieren, damit Ressourcen für die Forschung oder für Erwerbungen gemeinsam genutzt werden können. Und sie will die Geschichte des Bauhauses Dessau in der DDR mehr ins Bewusstsein rücken. 1976 entdeckte man das Bauhauserbe wieder, rekonstruierte das Bauhausgebäude denkmalgerecht und gründete das Wissenschaftlich-Kulturelle Zentrum, das unter anderem den Aufbau der heutigen Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau initiiert und die Bauhausbühne reaktiviert hat. Ein "Einkaufszettel" in der neuen Dauerausstellung belegt, dass damals 148 Möbel, Keramiken und Co. für 145.000 DDR-Markt gekauft wurden – heute zählt die Sammlung 49.000 Objekte und ist die zweitgrößte weltweit.
Das nächste Jubiläum kommt bestimmt
Seit der Wiedergründung 1976 hat das Dessauer Bauhaus immer auch aktiv an gesellschaftlichen Debatten teilgenommen und Städtebau und Architektur mitgestaltet. Nach der Wiedervereinigung wurde 1994 die Stiftung Bauhaus Dessau gegründet, die bis heute das Bauhauserbe erforscht, erhält und vermittelt. Die Stiftung hat einen künstlerisch-wissenschaftlichen Auftrag, ihre institutionellen Förderer sind die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, das Land Sachsen-Anhalt sowie die Stadt Dessau-Roßlau.
Viele Akteure, die etwas von der Stiftung wollen – auch diese Aushandlungsprozesse gehören zum kuratorischen Führungsverständnis von Steiner. Eine der großen Aufgaben der kommenden Jahre ist das von der EU ausgerufene Neue Europäische Bauhaus, dass "schönere, nachhaltigere und inklusivere Formen des Zusammenlebens" befördern will – wie es auf den Seiten der EU heißt. Vom historischen Bauhaus inspiriert geht es darum, Nachhaltigkeit, Funktionalität und Ästhetik miteinander zu verbinden.
Fünf Jahre läuft der Vertrag von Barbara Steiner: "Ich war schon an so vielen Orten und habe so viele Institutionstypen kennengelernt, sodass ich weiß, dass die ersten zwei Jahre herausfordernd sein werden. Es braucht Zeit, bis sich Abläufe eingespielt haben und die gröbsten Baustellen beseitigt sind." Irgendwann werde sich sicher auch die neue Dauerausstellung im Bauhaus Museum wieder verändern, denn eins ist sicher: Das nächste Jubiläum kommt! 2025 jährt sich der Umzug von Weimar nach Dessau und 2026 die Eröffnung des von der Stadt Dessau finanzierten und nach Plänen von Walter Gropius errichten Hochschulgebäudes.