Der Zwerg Grumpy hat sein Gesicht verloren. Wortwörtlich – einfach weggebröckelt sind die Augen und Mundpartien in der Skulptur des US-Künstlers Paul McCarthy. Rumpf und Gliedmaßen ist es kaum besser ergangen. Immerhin: Die Arme sind intakt und trotzig vor der Brust verschränkt. Eine Metapher für die Artgenève, die kurz vor ihrer Eröffnung am Donnerstag mit Negativ-Schlagzeilen über Ex-Chef Thomas Hug auf sich aufmerksam machte?
Hug hatte die Kunstmesse 2012 als Salon d’Art ins Leben gerufen, fungierte bis 2023 als ihr Direktor. Nur eine Woche vor Messestart veröffentlichten die Schweizer Zeitungen "Le Courrier" und "Bilan" eine Reihe an Vorwürfen gegen ihn: Urkundenfälschung, Betrug, Diebstahl, Veruntreuung von einer Million Schweizer Franken aus Stiftungsgeldern. Gegen Thomas Hug liege aktuell eine Klage vor – und er denkt schon darüber nach, Mitte Februar eine Messe für zeitgenössische Kunst in Gstaad zu eröffnen.
Allerdings gilt für ihn die Unschuldsvermutung – und die Artgenève wahrt ihr Gesicht. So richtig Lust, über das Thema des Ex-Direktors zu reden, hat hier eigentlich niemand. Man erfreut sich lieber an der Kunst – und das ist vielleicht auch gut so. 80 Galerien sind in diesem Jahr vor Ort, zwei weniger als 2023.
Ein Appell an den Frieden und pinke Glitzer-Raketen
Neu mit dabei ist Pearl Lam, eine der wichtigsten asiatischen Galerien mit Standorten in Shanghai und Hongkong. Sie zeigt in Genf einen bunten Mix ihres experimentierfreudigen künstlerischen Programms – darunter Leinwände mit dicken Öl-Impasto-Schichten des chinesischen Künstlers Zhu Jinshi, Selbstporträts in Schwarz-Weiß der südafrikanischen Fotografin Zanele Muholi und Textilarbeiten der Künstlerin Anya Paintsil, in denen traditionelle Techniken des Teppichknüpfens auf Methoden des Afro-Haarstylings treffen.
Die Wiener Galerie Christine König hat eine Kohlezeichnung des ukrainischen Künstlers Nikita Kadan mitgebracht, auf der in großen Lettern das Wort "МИР" ("Frieden") zu lesen ist und die an den Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vor zwei Jahren erinnert, der zeitgleich zur 10. Ausgabe der Art Genève stattfand.
Christine König setzt in diesem Jahr, wie viele der Galerien, auf hochkarätige Einzelwerke. Thaddaeus Ropac hat frisch entstandene Arbeiten von Megan Rooney, Daniel Richter und Georg Baselitz im Gepäck, Hauser & Wirth setzt auf Miram Cahn, Cindy Sherman und Louise Bourgeois.
Kunst als Vergnügungspark
Karma International aus Zürich bespielt seinen Stand komplett mit Arbeiten der Schweizer Künstlerin Sylvie Fleury. In Neonlicht leuchten an der Wand die Worte "Eternity Now", daneben hängen Leuchtkästen mit Beauty-Tipps aus 90er-Jahre-Zeitschriften ("Rise and Shine – 15 Ways To Get Up, Get Out, And Look Great"). Herzstück der Koje bildet eine fast vier Meter hohe, knallpinke Glitzer-Rakete mit dem Titel "First Spaceship on Venus".
"White Snow Dwarf, Grumpy", die bereits genannte bröckelnde Bronze-Skulptur des US-Künstlers Paul McCarthy, ist Teil der neu eingeführten und von Nicolas Trembley kuratierten Sektion "Artgenève/sur-mesure". Sie ermöglicht es den Galerien, Einzelwerke und groß angelegten Installationen zu präsentieren.
In seinem ersten Jahr greift das Areal die Atmosphäre eines Vergnügungsparks auf: Die Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler Joana Vasconcelos, Blair Thurman, Oli Epp, Dominique Gonzales-Foerster und Paul McCarthy erinnern an Karussells, Rutschen, Trompe-l'oeil-Panoramen und Go-Karts – und sind gleichzeitig politische und feministische Positionierungen.
Beste Soloschau bei Lovay Fine Arts
Neu für die 12. Ausgabe der Messe ist außerdem die räumlich vom Hauptbereich getrennte Sektion "Solo Show". 13 der ausstellenden Galerien widmen sich hier der Einzelpräsentation einer ihrer Künstlerinnen oder Künstler. 17 weitere Galerien zeigen zusätzlich an ihren regulären Ständen kleine Solos.
Die insgesamt 30 Ausstellungen sind allesamt für den Preis "Artgenève-F.P.Journe" nominiert. Ein ausgewähltes Werk des Gewinner-Standes wird anschließend erworben und einer Genfer Institution geschenkt. In diesem Jahr fiel die Wahl auf die lokale Galerie Lovay Fine Arts, die eine Serie des Schweizer Künstlers Pascal Vonlanthen zeigt – aufgefaltete Verpackungskartons mit akribisch beschriebenen Innenseiten.
Verantwortlich für die Veränderungen ist Charlotte Diwan, die neue Direktorin der Art Genève. Nur ein paar Monate vor Eröffnung der 12. Ausgabe hat sie das Amt von Thomas Hug übernommen. Die geborene Genferin verzeichnet trotz ihrer jungen 31 Jahre beachtliche Referenzen – und sechs Jahre Erfahrung im Team der Kunstmesse. Ein Satz, den man immer wieder hört, wenn es um die Kaufkraft der wohlhabenden Sammlerinnen und Sammler geht, ist: "Die Schweizer wissen, was sie wollen." (Gemeint sind natürlich auch die Schweizerinnen.) Er trifft aber auch auf Charlotte Diwan zu. Und das bedeutet in ihrem Fall, neben kleinen, aber feinen Neuerungen auf den altbewährten Saloncharakter der Kunstmesse zu setzen.