Frau Haberkorn, die von Ihnen kuratierte Sonderschau der Sammlung LBBW auf der Art Karlsruhe trägt den Titel "Nature – Beauty and Destruction". Was machen Landschaft und Natur für Sammlungen so interessant?
Landschaftsansichten sind in einem Unternehmensumfeld sozusagen "naturgemäß" sehr beliebt. Wer möchte nicht gerne während der Arbeit auf eine romantische Landschaft blicken? Aber beim Sammlungsaufbau der LBBW stand früh fest, dass es nicht um einen rein repräsentativen und dekorativen Aspekt geht. Spätestens ab den 1990er-Jahren lag der inhaltliche Fokus auf den großen aktuellen gesellschaftlichen Themen. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit Umwelt und Natur. 2018 wurde schließlich ein konkretes Sammlungskonzept erstellt, das sich auf sieben Themenkomplexe festlegt. Eines davon ist "Umwelt und Nachhaltigkeit: Kunst im Zeichen des Anthropozän".
Eine sehr zeitgenössische Sichtweise also?
Ja, trotzdem habe ich auch Max Slevogts "Steinbruch bei Albersweiler" von 1912 für die Art-Karlsruhe-Sonderschau aus unserem Depot geholt. Zeitgenössische Betrachter und Betrachterinnen sehen mit einem heutigen Naturverständnis die mit einem Steinbruch einhergehenden zerstörerischen Prozesse sicherlich mit anderen Augen.
Welche Entwicklung sehen Sie in der Sammlung?
Das älteste Werk stammt aus dem 15. Jahrhundert, aber der Großteil des Bestands lässt sich der modernen und zeitgenössischen Kunst zuordnen. Naturdarstellungen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts betonen die Schönheit der Natur. Die Umweltbewegungen ab den 1960er-Jahren bringen ein neues Naturverständnis zutage. Themen wie die Bedrohung des Ökosystems, der zerstörerische Einfluss des Menschen und die Wechselbeziehung zwischen Kultur und Natur rücken in den Fokus. Das gilt bis heute. So stellen zum Beispiel Mark Dion und Bob Braine in ihrer "Extinction Series" von 1991 ausgestorbene Tierarten dar. In Jon Kesslers Werk "Max" von 1992 ist zwischen seelenlosen Hochhausarchitekturen nur noch ein einzelner Vogel zu finden, der nicht mehr selbstständig fliegen kann, sondern einen im Kunstwerk integrierten Lift benutzen muss. Die ultimative Naturzerstörung wird in den Werken von Julian Charrière und Julius von Bismarck sichtbar. 2018 haben sie in einer mexikanischen Wüste bekannte Felsformationen aus US-amerikanischen Nationalparks nachgebaut und diese anschließend gesprengt. Hier stellt sich die Frage, welche Landschaften wir als schützenswert erachten und welche Reaktionen durch einen mutwilligen Zerstörungsakt ausgelöst werden.
Welche Kriterien legen Sie bei Neuerwerbungen an?
Der Fokus liegt auf Werken, die am Produktionsstandort Deutschland oder von deutschen Künstlerinnen und Künstlern innerhalb der letzten Dekade entstanden sind. Themenkomplexe wie die Globalisierung, Ökonomisierung, Digitalisierung, Migrations- und Identitätsfragen sowie Umwelt und Nachhaltigkeit stellen Schwerpunkte dar. Der Ankauf erfolgt immer durch die Beratung eines Kuratoriums. Die Mitglieder bringen durch Vorschläge, Empfehlungen und Diskussionen ihre fachliche Expertise ein, die Neuerwerbungen richten sich so nicht nach einem subjektiven Geschmack. Die ausgewählten Künstler und Künstlerinnen befinden sich zumeist am Anfang oder in der Mitte ihrer Karriere. Man möchte meinen, dass es bei einer Bank immer ausschließlich um Kapitalanlagen und Wertsteigerungen geht, aber das ist bei der Kunstsammlung keineswegs der Fall. Es geht darum, die Kunst zu erhalten, zu fördern sowie sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und nicht mit ihr zu spekulieren.
Gibt es auch inhaltliche Reibung mit den Werten des Geldinstituts?
Klimaschutz, Transformationsprozesse in der Arbeitswelt im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung, Gleichstellungs- und Identitätsfragen, auch Nachhaltigkeit und der gesellschaftliche Beitrag stellen bei der LBBW wichtige Themen dar. Die Kunstsammlung bildet damit eine Facette der Unternehmenskultur ab, die den Wertekanon widerspiegelt und eine Auseinandersetzung damit fördert. Es wird mit einem anderen Blickwinkel auf bestimmte Themen geschaut, und dies kann weitere Impulse auslösen – in einem größeren Zusammenhang, aber auch in einem kleineren Kosmos wie einem Unternehmen. Dabei besitzt die LBBW durchaus Werke, die sich mit Wirtschaft und Kapitalismus kritisch auseinandersetzen. Darunter ist zum Beispiel die Arbeit "What People Do For Money" von Christian Jankowski. Der Künstler hatte Passanten und Passantinnen dazu aufgefordert, ihre Antworten zu dieser Frage auf einen großen Papierblock zu schreiben und sich damit abzulichten. Daraus resultierten ganz unterschiedliche Aussagen, zum Beispiel "Gefühle unterdrücken", "Bis an die moralischen Grenzen gehen", "Ich würde auch auf dem Bau arbeiten" oder "Alles". Ich freue mich bereits darauf, diese Fotografien zukünftig auszustellen, und bin auf die Reaktionen gespannt.
Über die Art Karlsruhe spricht Monopol-Redakteurin Silke Hohmann mit Detektor FM. Sie können den Beitrag hier hören: