Architekt Baller wird neu bewertet

"Nostalgische Millennials finden diese Bauten interessant"

Hinrich Baller ist in seiner Exzentrik ein Architekt, den viele Architekten nicht mögen. Einige der markantesten Bauten von Berlin stammen von ihm: am Winterfeldtplatz etwa, bei den Hackeschen Höfen, am Preußenpark, am Halensee oder in der Potsdamer Straße. Der anhaltenden Faszination mit der Solarpunk-Ästhetik des heute 84-Jährigen ist der Journalist und einstige Monopol-Kolumnist Hans Bussert nachgegangen. In der jüngsten Ausgabe seines E-Mail-Magazins "No News News" schwärmen Baller-Bauten-Bewohner, Fans und Künstlerinnen von dem utopistischen Baumeister

Hans Bussert, erinnern Sie sich an Ihre erste bewusste Begegnung mit einem Baller-Haus und welches Urteil Sie damals fällten?

Das müssen die Häuser am Berliner Fraenkelufer gewesen sein, die Hinrich und Inken Baller zwischen 1979 und 1985 gebaut haben: pastellige Fassaden, querstehende Stützen, konkav geschwungene und nach oben gebogene Balkone, spitzbogige Giebel. Als nostalgiegefährdeter Millennial findet man das natürlich interessant. Gerade auch weil dieser Stil erst einmal als "bad taste" wahrgenommen werden muss. Und ich selbst bin manchmal noch hin- und hergerissen. Unser ästhetisches Empfinden ist nun mal geprägt von "form follows-function" und allem, was als "klassisch" gilt. Das ist ein bisschen ermüdend.

Haben Sie also Baller zum Gegenstand Ihres Email-Magazins gewählt, um gegenzusteuern?

Ja. Aber das hatte auch ganz praktische Gründe: Ich wusste, dass der Fotograf Magnus Pettersson ziemlich gute Porträts von Hinrich Baller sowie Interioraufnahmen der Privatwohnung auf seiner Festplatte hatte. Diese Bilder waren die visuelle Grundlage dieser Ausgabe von "No News News" – neben der Modegeschichte, die wir auf dem Gelände der Spreewaldgrundschule fotografiert haben.

Warum begeistern sich Ihre Autorinnen und Autoren, die aus verschiedensten Perspektiven auf Baller schauen, für diesen Mann?

Tatsächlich ist Baller für die meisten Architekten immer noch ein No-Go. Zum Glück haben Gunnar Klack, der für uns eine Einführung in den Baller-Stil geschrieben hat, und Felix Burrichter vom "Pin-Up"-Magazin eine differenziertere Sicht. Kreative aus anderen Bereichen, mit denen wir über Baller gesprochen haben, wie die Filmemacherin Alexa Karolinski, die Künstlerin Monica Bonvicini oder der Designer Dirk Schönberger, interessieren sich für seine Architektur, gerade weil sie so anders ist und eben nichts auf den gängigen Architekturdiskurs gibt. Und die Verlegerin Riccarda Messner, die die Ballers Zuhause besucht hat, hat einen sehr persönlichen Zugang: Sie ist in einer Baller-Wohnung aufgewachsen und lebt auch jetzt wieder in einer.

Es gibt offenbar Anzeichen für eine Baller-Renaissance?

Vielleicht. Zumindest meine Generation hat keine Berührungsängste mehr, was den Baller-Stil angeht. Außerdem wird die sehr organisch wirkende und sich teils mit ihrer grünen Umgebung verbindende Architektur der Ballers zunehmend auch im Solarpunk-Kontext rezipiert. Da geht es um nachhaltiges Bauen, hängende Gärten und interessanter Weise auch eine Art Neo-Art Noveau, von der ja auch die Baller-Ästhetik geprägt ist. Man darf auch nicht vergessen, dass das Büro Baller immer versucht hat, das Maximum an Wohnfläche und überhaupt an Wohnkomfort gegenüber den Investoren durchzusetzen. Im Fokus stehen die Bewohner – und die leben meistens sehr gerne in ihren Wohnungen. Übrigens auch in der Nutheschlange in Potsdam, wo ein Teil des Häuserensembles wegen angeblicher Baumängel abgerissen werden soll. Da geht es dann um Urheberrecht und ähnliches. Ich vermute aber, dass dort eher wirtschaftliche denn ästhetische Fragen eine Rolle spielen.

Für welche Art Berlin oder Berlin-Sehnsucht steht Baller?

Die Architektur Hinrich Ballers und seiner Ex-Frau Inken sowie seiner aktuellen Frau Doris – Baller hat immer mit seinen Partnerinnen gebaut – ist in erster Linie ein West-Berliner Phänomen. Für die letzte in der BRD geborene Generation sind die Häuser wohl ein Ausdruck jener sorglosen Postmoderne, die mit den 90ern zu Ende ging. Allerdings wird postmoderne Architektur, nach einem kurzen Revival, ja schon wieder sehr kritisch gesehen: zu selbstbezogen, zu ironisch so die Vorwürfe. Ich muss leider gestehen, dass ich sie super finde.

Kurz noch zu Ihrem Email-Magazin, das Sie nun zum dritten Mal verschickt haben: Was sind "No News News" und wen wollen Sie damit erreichen? 

Mit den "No News News", die ich zusammen mit dem Art Direktor Enver Hadzijaj und der Redakteurin Josie Thaddeus-Johns mache, widmen wir uns bewusst nicht aktuellsten Themen. Stattdessen wollen wir neue Perspektiven auf Inhalte entwickeln, die sich auf den ersten Blick nicht aufdrängen: In der ersten Ausgabe haben wir uns unter dem Motto "The Not So Dark Ages" mit dem Mittelalter beschäftigt. Natürlich bewegen wir uns dabei in einem pop-kulturellen Kontext – wie unsere Leser, die sich für Mode, Kunst und so weiter interessieren, aber eben auch über die jeweiligen trending topics hinaus. Wir meinen, dass Relevanz nicht ausschließlich durch Aktualität entsteht. Idealerweise schaffen es die "No News News" zu inspirieren, ohne zu überfordern – wir wollen im besten Sinne "anxiety-free" sein.