Antonio Obá setzt den Pinsel an wie ein Werkzeug der Beschwörung. Seine Bilder sind aufgeladen mit Geschichte, Spiritualität und Widerstand. Es sind Szenen voller Symbolik, die nicht nur von der Vergangenheit der afrikanischen Diaspora erzählen, sondern auch von der Gegenwart Brasiliens: von Gewalt, Identität und Überlebensstrategien.
Im Centre d’Art Contemporain Genf kann man den künstlerischen Kosmos Obás nun entdecken. Unter dem Titel "Rituals of Care" versammelt die Schau Werke aus Malerei, Skulptur, Installation und Performance und zeigt, wie der Künstler afrobrasilianische Identität, religiösen Synkretismus und koloniale Traumata in seiner Kunst zusammenbringt.
Obá wurde 1983 in Ceilândia, einem Vorort von Brasília, geboren. Er wuchs in einem katholisch geprägten Umfeld auf und liebäugelte zunächst mit einer Laufbahn als Priester, bevor er sich schließlich der Kunst zuwandte. Diese Entscheidung eröffnete ihm einen anderen Zugang zur Auseinandersetzung mit Glauben, Geschichte und Identität – Themen, die sich bis heute durch sein Werk ziehen.
Obás eigene physische Präsenz durchzieht seine Arbeiten
Mittlerweile zählt Obá zu den prägenden Stimmen der zeitgenössischen brasilianischen Kunst. In seinen Arbeiten verbindet er kunsthistorische Motive mit autobiografischen Elementen und reflektiert dabei die Darstellung Schwarzer Körper – oft mit dem Ziel, etablierte Narrative zu hinterfragen und umzuschreiben.
Die Präsenz seines eigenen Körpers zieht sich durch die Arbeiten, als zentrales Motiv in Gemälden oder als Medium in Performances. In der Videoarbeit "Encantado" (2024) greift der Künstler die Figur des Pilgers auf – doch statt eine Last zu schultern, befreit er sich nach und nach von einem schweren Baumwollgewand. Während er sich durch eine Landschaft bewegt, entledigt er sich Schicht für Schicht der Stoffhülle, wodurch das Verhältnis zwischen Ritual, Glaube und Identität aufgebrochen wird. Die Inszenierung verweist auf religiöse Reisen, kehrt ihre Bedeutung jedoch um: Nicht das Tragen, sondern das Ablegen wird zum zentralen Akt.
In seiner Malerei zeigt sich der Künstler fragmentiert oder in rätselhaften Szenarien, die sich irgendwo zwischen Ikonografie und persönlichen Erinnerungen bewegen. Seine Figuren sind dabei weder klassische Helden noch passive Opfer, sondern komplexe Protagonisten, die sich einer eindeutigen Interpretation entziehen.
Wechselspiel zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit
Ein zentrales Werk der Ausstellung ist die Installation "Malungo" (2016): Ein Altar aus Holz, darauf ein goldener Kelch, eine Flasche Cachaça, flankiert von zwei brennenden schwarzen Kerzen. Der Boden ist übersät mit Statuen von Heiligen und Orixás, dazwischen Holzkohle. Obá verweist hier nicht nur auf die Vermischung religiöser Traditionen, sondern auch auf die Marginalisierung Schwarzer Identität in der brasilianischen Kunstgeschichte.
Der Künstler interessiert sich für Körper in Bewegung, Symbolik, für das Wechselspiel zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Das wird besonders in der Installation "Jardim" (2022) deutlich: Glocken laden die Besuchenden ein, sie zu läuten – eine spielerische Geste, die zugleich eine Warnung ist. Wer das Geräusch erzeugt, macht sich kenntlich, wird Teil des Werks und setzt sich den Blicken der anderen aus. Die Installation spielt mit der Idee der Jagd: Wer sich zu erkennen gibt, wird selbst zur potenziellen Beute.
Die Ausstellung in Genf zeigt, wie Obá mit Symbolen spielt, sie verschiebt, infrage stellt. Zwei Wandzeichnungen mit dem Titel "Alegoria à cerca da fertilidade" hat der Künstler eigens für die Räume geschaffen. Ursprünglich sollten sie mit dem Ende der Schau zerstört werden, da das Gebäude grundsaniert werden muss (und damit auch für mindestens drei Jahre schließt). Jetzt hat das Centre d’Art Contemporain überraschend die Erlaubnis erhalten, die Wände mitsamt Zeichnungen abtragen zu dürfen – vielleicht stecken in Obás Pinsel ja wirklich übersinnliche Fähigkeiten.