Der „Pulsschlag aus Stahl“ pocht im Ruhrgebiet seit den Tagen von Herbert Grönemeyers Hymne „Bochum“ schwächer und schwächer. Wie geht es weiter mit dem Strukturwandel? Das Kulturjahr Ruhr.2010 hat versucht, weitere Lebensadern offenzulegen, und machte Angebote zur Neuinszenierung der ehemaligen Bergbau- und Industrieregion. Dabei ist der Um- und Aufbruch längst da. So lautet jedenfalls die frohe Botschaft des Buchs „New Pott. Neue Heimat im Revier“, das der Düsseldorfer Künstler Mischa Kuball mit dem Kulturwissenschaftler Harald Welzer herausgibt – ein bibeldickes Stück enzyklopädischer Fleißarbeit.
Mischa Kuball hat im Rahmen des Kulturjahrs 100 Migranten aus ebenso vielen Ländern in der Metropolregion besucht. Sie kamen als Studenten, Facharbeiter, Spezialisten, Flüchtlinge, aus Liebe oder aus Not, mit Familie und großen Hoffnungen, und sie haben dem Besucher ihre Geschichte erzählt. Diese Einwanderer sind anders als die Migranten in den Statistiken von Thilo Sarrazin. In der Erfindung neuer Identitäten sind sie Profis – und sie ersinnen gleich einen neuen Ruhrpott mit. Im New Pott überblenden sich Klischees bis zur Unkenntlichkeit. Da schimpfen Türken gegen die Macht des Islam, preisen Lateinamerikaner die deutsche Lockerheit, beschweren sich Inder über Deutsche, die so wenig vom Ruhrgebiet wissen.
Kuball, der Lichtkünstler, hat seinen Interviewpartnern je eine Stehlampe mitgebracht, deren Glaskugel eine Inschrift trägt, ein Zitat aus dem Johannes-Evangelium: „Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht.“ Den eigenen aufklärerischen Anspruch löst das „New Pott“-Projekt, dieser Hybride aus Kunst, Wissenschaft und Journalismus, voll ein.
Mischa Kuball, Harald Welzer (Hg.): „New Pott. Neue Heimat im Revier“. Deutsch und Englisch. Christoph Keller Editions/JRP Ringier, 712 Seiten, 49 Euro