Andreas Mühe kommt aus Karl-Marx-Stadt, nicht aus Chemnitz. Das ist ihm wichtig, Identität und Herkunft hat er zum Hauptthema seiner Arbeit gemacht. Dabei geht es ihm nicht darum, der untergegangenen DDR hinterher zu weinen. Er hat sie während seiner ersten zehn Jahre auf dieser Erde erlebt. Was ihn umtreibt, ist die deutsch-deutsche Geschichte und das, was heute davon greifbar und in Umlauf ist.
Der erfolgreiche Magazinfotograf und Fotokünstler geht sein Thema dabei mit großer Präzision und auf höchstem technischen Niveau an. Seine Bilder sind oft perfekt: ideal ausgeleuchtet, dramatisch, genauestens durchkomponiert, brillant, feinstes Korn hinter Museumsglas. Dass er lange in Fotolabors gearbeitet hat, sieht man an der Makellosigkeit auf Materialebene. Seine aufwendige Ausleuchtung mit Filmlicht (und nicht mit Blitz, wie bei inszenierter Fotografie sonst üblich) könnte man auf seine Herkunft aus einer Schauspieler-Familie mit Ulrich Mühe, Anna-Maria Mühe und Susanne Lothar zurückführen. Auch das ist kein Geheimnis, Andreas Mühe arbeitet auch künstlerisch mit diesem Erbe.
Die Frankfurter Stiftung der DZ-Bank zeigt gerade eine Ausstellung mit neuen und älteren Werken Mühes – Teile waren schon einmal im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen, als dieser noch von Udo Kittelmann geleitet wurde. Ein großes Familienporträt ("Mühe I" aus der Serie "Mischpoche") war auch damals ein Publikumsmagnet. Das Bild hat die Kraft von Repräsentationsgemälden, von Herrscherporträts – man nähert sich neugierig, auch wegen der prominenten Gesichter, die man sonst aus dem Kino, Fernsehen oder anderen Medien kennt. Und man geht erst weiter, wenn man die eigene Familienaufstellung im Kopf durchgegangen ist, was ganz automatisch passiert. Mühe weiß das, und es bedeutet ihm viel.
Warum eine Totenmaske von Beate Zschäpe zeigen?
Denn bei aller Perfektion in der Ausführung und der Klarheit des ästhetischen Konzepts scheint bei Mühes Werken und Serien unter der brillanten Bildoberfläche immer auch etwas Unversöhnliches, etwas nicht Einverstandenes zu brodeln. Seine Serie der Totenmasken von Mitgliedern der Terrorgruppen RAF und NSU ("RAFNSU", 2023 – fortlaufend) ist, vorsichtig ausgedrückt, unangenehm.
Die von Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader (RAF) gibt es tatsächlich, sie wurden 1977 von Gudrun Ensslins Vater angefertigt, schon das ist beklemmend. Doch die von Beate Zschäpe, Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos (NSU) ließ Andreas Mühe in Großbritannien nach Fotografien anfertigen, und lichtete diese nicht wirklich existierenden Totenmasken (Beate Zschäpe lebt noch) wiederum ab. Wozu dieser Aufwand, diese Übertretungen? Lässt sich "deutscher Terror" so fassen und typologisieren?
In einer Ausstellung in der Galerie Anita Beckers, ebenfalls in Frankfurt am Main, die am Wochenende eröffnen wird, führt Andreas Mühe seine Gegenüberstellung von RAF und NSU noch weiter. Diesmal inszeniert er aufwendig. Seine Protagonisten tragen Masken, die Kulissen sind den Gefängniszellen von Stammheim (RAF) und dem Jugendclub Jena (NSU) nachempfunden. Zwei Jahre zuvor hatte er die Totenmasken "RAFNSU" genau hier gezeigt – die Besuchenden hatten ihre Schwierigkeiten damit.
Unheimlich ist das, was man nicht sieht
"Ich beschloss darauf, sie weiter auszugraben und schickte die von der RAF in den Knast von Stammheim und die von der NSU in ihren Jugendklub. Beide Orte sind subventionierte, staatliche Räume, in denen man auf Staatskosten viel Zeit verbringt, absitzt und totschlägt", äußert sich Mühe in der Pressemitteilung der Galerie. "Ich wollte für beide Terrorgruppen identische Räume schaffen, obwohl ihre Strategien unterschiedlicher nicht sein könnten. Die RAF rückt ihre Morde ins Licht der Öffentlichkeit. Die NSU mordet unerkannt im Dunklen. Beide Gruppen morden aus politischer Überzeugung. Sie zusammenzufassen, mag für manchen Betrachter befremdlich sein, aber die gemeinsame Vergangenheit und die vertane Chance ab 1990, vereint die Diktaturen zweier deutscher Staaten endlich aufzuarbeiten, bringt mich dazu."
Lässt sich deutscher Terror so ergründen? Nur, wenn man bei dem bleibt, was sichtbar ist. Anzutäuschen und dann die Imagination der Schauenden den Rest erledigen zu lassen, hatte Mühe auch schon mit Fotografien eines Angela-Merkel-Doubles perfektioniert, das er in Rückenansicht vor bedeutenden Orten der deutschen Geschichte platzierte, unter anderem dem Kanzlerbungalow.
Die Ikonografie der Macht interessiert ihn auch in der Serie "Wandlitz" von 2011, für die Mühe die seinerzeit gut geschützte Waldsiedlung nördlich von Berlin durchfotografierte, in der zu DDR-Zeiten das SED-Spitzenpersonal residierte. Der Künstler kommt nachts, Menschen sind abwesend, Tageslicht auch. In diesen konzeptionellen Serien ist Andreas Mühe am stärksten, weil er die Unheimlichkeit nicht erst durch aufwendige Inszenierungen heraufbeschwören muss, sondern sie mit seiner fotografischen Könnerschaft ins Bild zu bannen weiß.
Spielhaus oder Schutzbunker?
Genau wie "Beates Katzen", von denen eine tatsächlich Beate Zschäpe gehörte. Tierliebe und Menschenverachtung schließen einander, wie man weiß, nicht aus. Will man das von ihr wirklich wissen? Vielleicht nicht, aber sehen schon, und dafür fühlt sich Andreas Mühe zuständig mit seinen brillanten analogen Fotografien.
Es ist erwähnenswert, wie weit die Kunststiftung DZ-Bank ihren erklärten Fotografie-Schwerpunkt auffasst und auch verwandte installative und skulpturale Positionen ausstellt und sammelt. Und so ist auch Mühes Tobe-Areal aus Kuschel-Bunkern in der DZ-Bank zu sehen. Wer die Schuhe auszieht, darf sich in den Haufen aus plüschtiergroßen Bunkerchen verschiedener Bauart werfen. In der Mitte steht ein Iglu-förmiger Unterschlupf, wie er früher auf DDR-Spielplätzen alltäglich war. Ob er als Spielhaus dienen oder vor Strahlen oder Bomben schützen sollte, bleibt bewusst offen, wie viele Fragen in den beiden Ausstellungen von Andreas Mühe.