Amalia Ulmans Berlinale-Film "Magic Farm"

Die Dorftrottel aus New York sind da

In der Culture-Clash-Komödie "Magic Farm" trifft Chloë Sevigny mit anderen New Yorker Hipstern auf die Landbevölkerung Argentiniens. Die Künstlerin Amalia Ulman entlarvt mit ihrem Berlinale-Film, wie nah sich Coolness und Ignoranz sind

Wo sind die Hasenohren? Nachdem die Filmcrew aus New York im argentinischen Dörfchen San Cristóbal angekommen ist, macht sie sich auf die Suche nach einem seltsamen Mikro-Trend, der hier offenbar grassiert: Menschen sollen in Hasenkostümen zu den Klängen eines lokalen Musikers tanzen, so ist es jedenfalls im Internet zu sehen. Und die edgy Produktionsfirma Creative Lab, deren Aushängeschild die in die Jahre gekommene Jugendkultur-Ikone Edna ist (konsequent besetzt mit Chloë Sevigny), jagt viralen Inhalten auf der ganzen Welt hinterher, um sie für ein großes Publikum aufzubereiten. Wo also sind sie, die Hasenohren? 

Die als bildende Künstlerin bekannt gewordene Argentinierin Amalia Ulman erzählt mit ihrem zweiten Spielfilm "Magic Farm", der am Sonntag in der Panorama-Sektion der Berlinale seine internationale Premiere feierte, von allerhand Verwicklungen und Missverständnissen, die durch die Ankunft der Hipster in der südamerikanischen Peripherie ausgelöst werden. Es ist gleich ein doppelter Zusammenprall: einmal von globalem Norden und Süden, dann von Stadt und Land. Die Gringos und die Dorfbewohner lernen sich schnell besser kennen. Moderatorin Edna, Produzent Jeff, Tonmann Justin und Kamerafrau Elena stellen nämlich bald fest, dass sie im falschen San Cristóbal, sogar im falschen Land sind. Eine dumme Verwechslung. Um ihren Beitrag zu retten, versuchen sie nun mit den San-Cristóbalern vor Ort eine Fake-Reportage zu erstellen.

Die verschiedenen Erwartungen ans Leben sorgen in "Magic Farm" für viele komische Momente, die Amalia Ulman und ihr Cast unangestrengt auf die Leinwand bringen. Jeffs Nervenzusammenbrüche und Selbstfindungseskapaden etwa stehen im krassen Gegensatz zur zupackenden, lebensbejahenden latinidad von Manchi, einer Dorfschönheit, die den Anschluss zur Welt sucht. Als die beiden anbandeln, wird ihnen der Abgrund zwischen ihnen schnell bewusst. Justin verguckt sich indes in den deutlich älteren Hotelbesitzer und Familenvater Dave, der auch nicht abgeneigt ist. Daraus immerhin entwickelt sich eine Freundschaft, die Unterschiede anerkennt und feiert.

De eigentliche Geschichte übersehen die Hipster

Die Dorfbewohner kommen insgesamt viel besser weg als die Hipster: Sie sind weniger in ihren Egos gefangen, sie sind direkt und authentisch, sie haben sich akzeptiert, wie sie sind, und machen das Beste daraus. Dass die Besucher Landesbräuche und Sprache nicht verstehen, ist entschuldbar. Aber dass sie den massiven Einsatz des Agrogifts Glyphosat und deren Auswirkungen auf die Dorfbewohner ignorieren, ist unverzeihlich. Dabei wäre das die eigentliche Geschichte für eine Reportage: die Ausbeutung des Südens durch den Norden. Aber auch die Produktionsfirma Creative Lab betreibt letztlich Extraktivismus: Sie zieht kreative Kräfte der Südamerikaner ab für ihr eigenes, in den Norden verkauftes Produkt. 

Amalia Ulman, die selbst die Rolle von Elena übernimmt, erzählt das in dieser Mubi/Match-Factory-Produktion aber nie in einem anklagenden Gestus, sondern buchstabiert die Differenzen aus und zeigt beinah genüßlich, wie wenig vermeintliche Coolness Wert ist, wenn sie mit Ignoranz verschwistert ist. Dass sich Chloë Sevigny, deren Karriere seit ihrem Auftritt als Teenagerin in Larry Clarks Film "Kids" auf ihrem Status als Skater-It-Girl aufbaut, auf diese selbstironische Rolle eingelassen hat, ist ihr hoch anzurechnen. 

Nach "El Planeta", der irgendwie in seiner Mumblecore-Seltsamkeit gefangen war, ist Ulman mit ihrem zweiten Film ein großer Wurf gelungen. Allein wie befreit und verspielt sie mit der Kamera umgeht! Mal steht sie im Kühlschrank, mal hängt sie an einem Straßenhund, mal an einem Skateboard. "Magic Farm" ist wirklich magic, und Amalia Ulman wird uns hoffentlich noch mit einigen Filmen erfreuen. 

Vor den Credits dieser Satire, nachdem die Crew San Cristóbal verlassen hat, sehen wir dann übrigens doch noch die Hasenohren: Originalfootage aus dem Internet. Mit einer kurzen Recherche lässt sich das 15 Jahre alte Video noch auftreiben. Es stammt aus Ecuador.