Anfang März zeigte Pierpaolo Piccioli seine letze Kollektion als Creative Director für Valentino während der Pariser Modewoche: 63 komplett schwarze Looks, die später noch düsterer wirken, weil sie eine Abschiedskollektion waren. Denn Ende des Monats verkündet Valentino: Pierpaolo Piccioli ist nach 25 Jahren raus bei dem Luxushaus, die Haute Couture- und Herrenkollektionen im Sommer fallen aus. Schockschwerenot, ein Veteran muss gehen! Trotz der ständigen, immer schneller und gefühlt willkürlicher werdenden Wechsel der kreativen Leitungen an den großen Modehäusern, hatte auf Picciolis Weggang niemand spekuliert.
2008 hatte der heute 56-jährige Designer bei der römischen Marke angefangen, teilte sich die leitende Position erst mit Maria Grazia Chiuri. Ab 2016 und Chiuris Wechsel zu Dior war er allein verantwortlich für die kreative Führung des Hauses. Geliebt wurde "PP" für seine voluminösen, monochromen Entwürfe, romantisch aber selbstbewusst und stark. Er prägte Barbie-Core maßgeblich durch seine gänzlich in Pink gehaltene Kollektion und das PP-Pink, eine von ihm entworfene Rosa-Schattierung. Extravagant und architektonisch war seine Mode, beliebt auf roten Teppichen. Die von PP kreierten Show-Seetings entführten die Zuschauenden oft in eine Traumwelt, auf deren Laufstegen satte Farben, ausladende Silhouetten und Materialien wie Federn den Trend bestimmten.
Vor etwa einem Jahr war das Maison Valentino schon in aller Munde gewesen: Sabato de Sarno, der als Picciolis rechte Hand galt, war von dem römischen Label an das bedeutendste florentinische gewechselt: Gucci. Sein erster eigener, großer Auftritt. Riesige Fußstapfen hatte er zu füllen, denn wenige Monate zuvor war der Weggang des Mannes verkündet worden, der Gucci wiederbelebt und eine wahre "Guccimania" ausgelöst hatte: Alessandro Michele. Und nun kommt es wieder zur Überkreuzung zwischen Rom und Florenz, denn Michele wurde am Donnertag als der neue Creative Director Valentinos verkündet.
Diejenigen, die seine Zauberwesen artigen, magischen, und oft den 1970er-Jahren entsprungenen Unisex-Looks nun fast zwei Jahre vermissen mussten, stießen Jubelschreie aus. Endlich ist Michele zurück und kann uns zum wiederholten Male in sein verwunschenes, glitzerndes Universum entführen. Hoffentlich.
"Es ist eine große Ehre für mich, in der Maison Valentino aufgenommen zu werden. Ich fühle die große Freude und Verantwortung, in ein Haus der Couture einzutreten, dass das Wort 'Schönheit' in eine kollektive Geschichte von Raffinesse und äußerster Anmut eingebrannt hat", schrieb Michele am Donnerstag auf seinem Instagram-Account. Er wolle den Gründungsvätern Valentinos, Valentino Garavani und Giancarlo Giammetti, eine Hommage zollen und das reiche Erbe des Hauses weiterführen. Weiter dankt Michele dem Valentino-Geschäftsführer Jacopo Venturini. Und er wäre nicht Alessandro Michele, würde er nicht seine poetischen Züge mit einfließen lassen: "Heute suche ich nach den angemessensten Worten, um die Freude zu beschreiben, um ihr zu huldigen: das Lächeln, das in der Brust aufsteigt, das Gefühl tiefer Dankbarkeit, das die Augen erhellt, dieser kostbare Moment, in dem sich Not und Schönheit die Hand reichen. Die Freude ist jedoch so lebendig, dass ich fürchte, sie zu verletzen, wenn ich es sage. Lassen Sie also meine Verbeugung mit weit geöffneten Armen genügen, um in diesem frühen Frühling das sich regenerierende Leben und das Versprechen neuer Blüten zu feiern."
Am 2. April wird Micheles erster Arbeitstag sein. Der erste Auftrag? Die Frühling-Sommer-Kollektion für das Jahr 2025. Die Erwartungen sind hoch, nicht nur, weil es um das Haus Valentino geht, viel mehr noch, weil Michele selbst die Ansprüche immens hochgeschraubt hat; so oft hat er überrascht und überzeugt bei Gucci.
Als der 2015 als Creative Director übernahm, leitete er nicht nur eine ein Hoch ein, das vor ihm nur Tom Ford bei Gucci stimulieren konnte. Er fiel auch mit Künstler-Kollaborationen auf, eine gänzlich neue Ästhetik, innovativer Einsatz der hauseigenen Codes – Micheles Entwürfe wurden gerade bei den jungen und kaufkräftigen Generationen geliebt. In den Zahlen drückte sich sein Einsatz aus: 9,7 Milliarden Euro Umsatz generierte das italienische Luxushaus im Jahr 2021, in Micheles Debüt-Jahr waren es noch 3,9 Milliarden gewesen.
Auch ist Michele nun zurück unter Kerings Fuchtel. Der Konzern hatte 2023 zusammen mit der Beteiligungsgesellschaft Mayhoola einen 30-Prozent-Anteil Valentinos erworben, "zu einem Preis von 1,7 Milliarden Euro in bar", wie es auf der Website Kerings heißt. "Die Vereinbarung beinhaltet eine Option für Kering, bis spätestens 2028 100 Prozent des Aktienkapitals von Valentino zu erwerben. Die Transaktion ist Teil einer umfassenderen strategischen Partnerschaft zwischen Kering und Mayhoola, die dazu führen könnte, dass Mayhoola ein Aktionär von Kering wird."
Gucci ist ebenfalls ein Tochterkonzern Kerings. 2022 wurde zu Micheles Rücktritt als Creative Director erklärt, er und der CEO des Hauses hätten nicht übereinkommen können, was die kreative Zukunft der Marke betrifft. Man munkelte, Gucci solle in Richtung Louis Vuitton und Hermès gelenkt werden: weg vom märchenhaften Maximalismus, hin zu einer Marke, die jede Krise durch ihre klare und moderne Linie übersteht. Diese Umsetzung sieht man nun genau wie erwartet unter Sabato de Sarno, dessen Leitung zahlenmäßig noch nicht an die seines Vorgängers heran reichen kann. Einen inszenierten Hype könnte man das Branding um de Sarnos Gucci und seine Person nennen.
Von nun an auch Haute Couture
Wird Michele den wahren Hype auch bei Valentino auslösen? Wird er, wie bei Gucci vor neun Jahren, seine Signatur etablieren und die Marke neu aufstellen dürfen? Wird er seinen eigenen Stil einem schon erfolgreichen und geliebten unterordnen und eine wohl funktionierende Fusion managen können?
Arbeiten wird Michele laut @stylenotcom in Valentinos Studio im Palazzo Mignanelli, zehn Minuten entfernt von seinem eigenen Haus in Rom. Zeigen wird er jedoch von nun an in Paris, wo die Valentino-Shows stattfinden. Am allermeisten freuen sich die Michele-Fans über den Fakt, dass Valentino ein Couture-Haus ist und Alessandro Michele von nun an Haute Couture-Kollektionen entwerfen wird - eine Kombination, die schon jetzt träumen lässt. "Alessandro Michele und Haute Couture im gleichen Satz ist so gut!" – "Sie haben ihn am Osterwochenende wieder auferstehen lassen, wie Jesus, ich fürchte, er wird abräumen", schreibt eine weitere Userin
Die Modewelt, wenn auch stark genervt von der stetigen Rotation männlicher Designer bei allen großen Modehäusern, ist bereit für Michele 2.0.