Die beiden künstlerischen Leiterinnen des Portikus, Liberty Adrian und Carina Bukuts, haben schon in vielen Schauen und Projekten zuvor bewiesen, wie viel sie als Ausstellungsmacherinnen von Verständigung, gemeinsamem Erleben und Austausch verstehen. Auch diesmal ist der Empfang warm und herzlich: In einem ganz dunkel ausgekleideten, feierlichen Eingangsbereich steht ein Samowar. Es wird Tee gereicht, bevor man in die samtige Dunkelheit des Filmraumes eintauchen und auf dem Sofa platznehmen kann.
Seit Mitte Dezember zeigt der Portikus in der Reihe mit dem Titel "Let us believe in the beginning oft he cold season" jede Woche einen anderen Film, das zentrale Thema ist die freie Rede, Sprache, Poesie. "What is poetry to you?", fragt Cecilia Vicuña 1980 in Kolumbien Handwerker, Schulkinder, Tanzende, Wissenschaftler in der Stadt und auf dem Land. So einfach die Frage, so direkt sind die Antworten – von der gesellschaftsverändernden Wirkung, die der Dichtkunst zugeschrieben wird, bis zur Feststellung eines Mannes, er habe zur Poesie wenig beigetragen, aber zur Erschaffung von Wohnraum für politisch Vertriebene aus den Städten schon.
Die meisten der Filme – sie kommen von Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Generationen – sind semi-dokumentarisch, und beantworten so auch die Frage nach dem Standpunkt immer im Sinne der multiplen Perspektiven, sogar der von mehreren gleichzeitig existierenden Wahrheiten. Etwa in dem bewegenden fast zweistündigen Film der vietnamesischen Berkley-Professorin Trinh T. Minh-ha über Frauen in Vietnam in der Zeit nach der Wiedervereinigung 1976. "Surname Viet Given Name Nam" erforscht verschiedene historische Perioden anhand von Dokumenten, Lyrik, Musik und Augenzeugenberichten als bislang wenig gehörte Facette feministischer Geschichte.
Portikus von "Strike Germany" betroffen
Ein Film, der sich poetisch mit Zensur beschäftigt, hat für Aufsehen um die Ausstellungsreihe gesorgt. Die iranische Künstlerin Maryam Tafakory hat Film-Ausschnitte in der reichen Geschichte des iranischen Kinos beziehungsreich montiert. Seit der iranischen Revolution von 1979 war es untersagt, körperliche Berührung oder Intimität zwischen Frauen und Männern im Kino zu zeigen. So zeigt die Found-Footage-Collage der 1987 geborenen Künstlerin schmerzlich diese Fehlstelle und die Umschreibungen von körperlicher Nähe wie einen nicht endenden sehnsüchtigen Strom. Da Tafakory der antiisraelischen BDS-Bewegung nahesteht und die lose Kampagne "Strike Germany" unterstützt, zog sie in "ihrer" Woche, während der Film im Portikus lief, nach drei Tagen ihren Beitrag aus der Ausstellung zurück.
Das Ausstellungshaus schloss für drei weitere Tage – das Ausstellungskonzept sieht eine Aneinanderreihung von Einzelpräsentationen vor –, bis es in der folgenden Woche mit "Sunflower Siege Engine" von Sky Hopinka weiter ging. Hopinka erzählt in seiner eigenen filmischen Sprache die komplexe Geschichte der US-amerikanischen Ureinwohnerinnen und Ureinwohner. Zu seinen herausragenden dokumentarischen Materialien zählt die Rede des Mohawk-Aktivisten Richard Oakes von 1969 während der indigenen Besetzung von Alcatraz.
Sicher, all diese Fakten lagern in Archiven. Aber sie müssen dringend immer wieder erzählt werden. Das Panorama wird hier durch das persönliche Prisma komplett, die Gesamterzählung erst durch das erstaunliche, bislang unbekannte Details klar.
Ein teilweise verführerischer historischer Schmelz in den Farben der Dokumente suggeriert Ferne und Vergangenheit, aber jedes der Themen, jede Geschichte ist heute gültig. Liberty Adrian und Carina Bukuts, die beiden künstlerischen Leiterinnen des Portikus, sind besonders begabt darin, verbindende Elemente zu stiften. Ein Filmbeitrag der Reihe stammt von Alexander Kluge. Er drehte seinen Episodenfilm "Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit" im Jahr 1985 ausschließlich in Frankfurt.