Die Kunst solle Chaos in der Ordnung schaffen, forderte Theodor W. Adorno in seiner Exilschrift „Minima Moralia“. Hat sich Katharina Grosse das Diktum zu Herzen genommen? Die 1961 in Freiburg geborene Künstlerin bringt jedenfalls mit ihrer Farbfeldmalerei das Regelsystem, das der Kunst einen Platz in der Gesellschaft zuweist, ziemlich durcheinander. Die ehemalige Studentin von Gotthard Graubner bemalt Wohnräume, Museumshallen und Erdhaufen, besprüht mithilfe einer kompressorbetriebenen Spritzpistole Luftballons oder riesige Styroporobjekte, überzieht einfach alles mit greller Farbe, was ihr in die Quere kommt.
Grosses Ausstellungen, die Ulrich Loock und Annika Reich nun erstmals für einen Band der Buchhandlung Walther König aufwendig dokumentiert haben, ziehen sich wie eine bunte Spur durch die Museen dieser Welt. Formulierungen wie die, dass Malerei bei Grosse „Volumen gewinnt“, weil sie die Architektur einbeziehe, wirken angesichts dieser Entfesselung einigermaßen hilflos.
„Vandalismus“ und „Übermalung“, die Begriffe, mit denen Loock Katharina Grosses Kunst erklärt, kommen dem solitären Œuvre dagegen schon näher. Schließlich geraten auch mal ein alter Meister, Bettzeug oder Bücher ins Fadenkreuz ihrer Sprühpistole. Übersehen wird aber das Reflexive hinter dem vermeintlich zerstörerischen Duktus. Denn Grosse will das Verhältnis von Farbe und Malgrund radikal neu definieren. Cézanne und seine Impressionistenkollegen hätten ihre Freude an der Frau, die heute als Professorin an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrt. Bei Grosse kommt die Moderne zu ihrer Vollendung: Die befreite Farbe entgrenzt sich endgültig in einem hierarchiefreien, chaotischen Raum.
Das Buch verwandelt sich seinem anarchischen Gegenstand aufs Schönste an. Loocks Essay mäandert als Textfluss am Werk entlang, ganze Passagen sind überdruckt. Je länger man in diesem Prachtband blättert, desto klarer wird: Katharina Grosse ist die Frau, die auf der Berliner Art Week gefehlt hat. Aber dann hätte dieses ästhetische Herbstmanöver natürlich „Painting Whenever, Wherever!“ heißen müssen.
Ulrich Loock, Annika Reich, Katharina Grosse (Hrsg.): "Katharina Grosse". Verlag der Buchhandlung Walther König, 328 Seiten, 48 Euro
Bildband von Katharina Grosse