Porträts von Zeitungslesenden

Menschen am Papierscreen

Der Fotoreporter Eddy Posthuma de Boer hat auf seinen Reisen immer wieder zeitungslesende Menschen abgelichtet. Die Bilder, die jetzt in Berlin zu sehen sind, erinnern an die Schönheit eines einst alltäglichen Mediums. Und an das Glück, das diese Art von Weltzugang verschafft

Paris, der Frühling hat gerade begonnen, ein Tisch im Außenbereich eines gut besuchten Cafés. Eine Kaffeetasse ist gerade zum Mund eines Zeitungslesers gewandert und unterbricht kurz die Lektüre. Das Blatt, das über den Knien seines Lesers schwebt, ist "Le Monde", die Ausgabe vom 25. März 1981, und festgehalten hat dieses Bild der niederländische Fotograf Eddy Posthuma de Boer. Wir schauen dem Mann von schräg hinten in die Zeitung und können sogar kurz einen Artikel anlesen, die Besprechung einer Aufführung von Arthur Honeggers Oper "Antigone" am Théâtre Musical d’Angers.

Dieser Pariser Moment ist auf einer der ungefähr 80 Fotografien von Eddy Posthuma de Boer festgehalten, die das Berliner Museum für Kommunikation in einer Kabinettausstellung zeigt. Im Zentrum der Ausstellung steht dabei nicht die Ästhetik der gedruckten Zeitungsseite, Posthuma de Boer geht es um die "Zeitungsleser*innen", das Amalgam aus Mensch und Medium. Wir beobachten, wie die Tagesblätter gehalten, wie sie gelesen, wie sie zum Verkauf angeboten oder zweckentfremdet werden.

Posthuma de Boer hat vor allem journalistisch gearbeitet, hat 85 Länder bereist und nebenher verschiedene fotografische Langzeitprojekte verfolgt. Eines dieser Projekte sind die Menschen mit ihren Zeitungen, deren Antlitze er auf der ganzen Welt zusammengesammelt hat, meist unbemerkt abgelichtet. 2015 gab es im Pressemuseum in Amsterdam eine gleichnamige Ausstellung ("Krantenlezers") mit etwa 50 Fotografien. Seitdem und bis zu Posthuma de Boers Tod vor drei Jahren ist die Sammlung noch mal gewachsen.

"Herzbrechende Liebeserklärung an ein verschwindendes Medium"

Schon als 2016 bei Galiani Berlin der Essay "Der letzte Zeitungsleser" von Michael Angele erschien, warb der Verlag damit, dass es sich um eine "herzbrechende Liebeserklärung an ein verschwindendes Medium" handele. Nun, acht Jahre später, hat sich dieses Verschwinden natürlich fortgesetzt.

Der Zeitungsgeruch, das Knistern beim Umblättern, die Raumforderung großformatiger Wochenzeitungen, all das gehört immer weniger zum Repertoire der Alltäglichkeit. Die zeitungslesende Menschheit, wie sie die Fotografien von Posthuma de Boer zeigen, hat den Papierscreen mehrheitlich gegen andere Lesegeräte getauscht.

Die Ausstellung hat aber keinen kulturpessimistischen Hau. Die Fotografien zeigen kleine Weltausschnitte, die ihren Mittelpunkt im Moment der Vertiefung beim Lesen haben. Sie zeigen, wie (tendenziell mehr männliche als weibliche) Leser*innen mit News, mit Fortsetzungsromanen, mit Stellenanzeigen verschmelzen können.

Alexandria, Venedig, Miami, Boston, Wien, Paris, Stockholm, Tokio, Istanbul, Berlin und all die anderen Orte erschließen sich aus ungewöhnlichen Details. Die Zeitungen sind meist mittig angeordnet; davor, daneben oder dahinter die Leser*innen, die Szenerie um sie herum immer interessant abgeschnitten. Niels Beugeling, Kurator der Ausstellung, forderte bei der Eröffnung dazu auf, nicht nur auf die Lesenden zu fokussieren und auch den Geschichten nachzugehen, die im Kopf entstehen.