Vielversprechende Sounds tönen aus Lautsprechern im Foyer des K20. Aus dem Klanggewirr im Eingangsbereich des Museums der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen bricht immer wieder unverkennbar Yoko Onos Stimme hervor. Mehr Geräusch als Musik ist hier zu hören, sehr schrill, sehr Avantgarde und in jedem Fall wesentlich experimenteller als das weltbekannte "Imagine", welches 1971 mit der Plastic Ono Band und John Lennon entstand. Die von Ono selbst zusammengestellte Playlist mit über 70 Titeln aus fast 50 Jahren ihres musikalischen Oeuvres bietet einen wörtlich zu nehmenden Einstieg in die Einzelausstellung "Yoko Ono – Music of the Mind", die in Zusammenarbeit mit der britischen Tate Modern Ende September eröffnete.
Groß angekündigt wurde die Retrospektive, groß ist ja auch das Werk Onos und Großes erwartet man dementsprechend beim Betreten der ebenerdigen Ausstellungsräume. Voll ist es hier, am ersten Sonntag nach der Eröffnung; Name und Kommunikations-Kampagnen haben viele Besuchende angezogen, soweit funktioniert die Ausstellung also.
Eng drücken sich die Menschen vor den Exponaten. Viele Schwarz-Weiß-Fotografien, viel kuratorischer Text, viele textbasierte Arbeiten Onos. Die Verweildauer vor den Werken erscheint ungewöhnlich lang, es wird aufmerksam gelesen, die Arbeiten hängen mit wenig Zwischenraum nebeneinander. Ein westdeutsches Museumsgeschoss ist vielleicht zu klein für über 70 Jahre internationale Kunstkarriere.
Grenzenlos offen und unkonventionell
Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut, mehr als 200 Arbeiten wurden hier zusammengetragen: Handlungsanweisungen, Performances, Partituren, Videos, Fotografien, Objekte, Musik und Texte, entstanden in Japan, den USA und Großbritannien. Die Kuratorinnen Patrizia Dander und Juliet Bingham setzen auf Sorgfalt und Information: Jedes Exponat ist feinsäuberlich beschriftet, erklärt, kontextualisiert. Die Wandtexte berichten von Onos Leben, ihren frühen prägenden Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs in Tokio, ihr Philosophiestudium 1952 als erste Frau an der Gakushuin Universität, ihr Ankommen in New York, erste Ehe, zweite Ehe, dritte Ehe.
Yoko Onos Leben ist unzählige Male beschrieben worden, so oft, dass man darüber fast vergessen kann, dass sie noch lebt. 91 Jahre alt ist die Künstlerin mittlerweile und immer noch aktiv, wie auch auf ihrem X-Account zu lesen ist. Lange hat es gedauert, bis sie auch für die breite Öffentlichkeit nicht mehr nur John Lennons Frau war, sondern ihr die verdiente Rezeption als Pionierin der Konzeptkunst und des Fluxus, von partizipativen künstlerischen Ideen, als Musikerin und Aktivistin zuteilwurde.
Wie grenzenlos, offen und unkonventionell Onos Werkkörper ist, stellt die Ausstellung kleinteilig dar. Da sind ihre "Instruction Paintings" von 1961, Auszüge aus ihrem weltbekannten Künstlerinnenbuch "Grapefruit" voller Aufforderungen zu kleinen Aktionen, eine Video-Dokumentation ihrer "Cut-Piece"-Performance. Zeit nehmen sollte man sich in jedem Fall für die 79-minütige Videoarbeit "Film No. 4 (Bottoms)", die 1966/67 in London entstand und eine der provokantesten Arbeiten der Künstlerin ist.
Hintern als Friedenspetition
Dabei handelt es sich allerdings eher um eine Art von meditativem Zeitlupen-Punk, der sich hier in den Nahaufnahmen von rund 200 aneinander geschnittenen Nahaufnahmen von gehenden, nackten Pos manifestiert. Unter den Hinterteilen finden sich auch einige Exemplare berühmter Kunst-Kolleginnen und -Kollegen der damaligen Londoner Szene. "Reihe als Friedenspetition Hintern statt Unterschriften aneinander" lautete Onos Anweisung für die Arbeit, die prompt erstmal nicht ausgestrahlt werden durfte.
Natürlich gibt es auch Plattencover und Fotos des gemeinsamen Bed-Ins mit John Lennon, das Video "Fly" (1970), dessen Standbild von Fliege auf Brustwarze zu einer der gefühlt meistverkauften Museumsshop-Postkartenmotive weltweit wurde, und partizipative Arbeiten, direkt zum Mitmachen, ganz auf der Höhe der Zeit aktueller Ausstellungs-Tendenzen. So kann man sich durch eine Leinwand hindurch die Hände reichen und auf das "Painting to Be Stepped On" treten.
Wie so oft ist hier der Wille zur Aktivierung sichtbar, doch irgendwie hakt es in der Präsentation. Die Säcke des "Bag-Piece", in denen man sich aus- und wieder anziehen oder auch einfach gleich ein bisschen schlafen soll, hängen merkwürdig schlabberig an den Haken, die dafür vorgesehene "Bühne" befindet sich eher in einem Durchgang, und es verwundert dann doch nicht, dass Besucherinnen und Besucher eher einen weiten Bogen um die interaktiven Stationen zu machen scheinen, obwohl – oder vielleicht gerade weil – sie mit auffälligen gelben Punkten gekennzeichnet sind. Die Poesie der uneindeutigen Zwischentöne, die in so vielen von Onos Werken wohnt, ist in der zeitgenössischen deutschen Kunstdidaktik offensichtlich nicht zu Hause.
Wie denken wir menschlich?
Partizipation wird dringend gebraucht – die Kunst ist dabei, wie so oft, nur Spiegel der Gesellschaft. Doch irgendwie kommt sie nicht so ganz in Gang, weder im Museum, noch da draußen in der Welt. Wie bekommen wir Menschen dazu, wieder mitzumachen? Sich etwas zu trauen? Wieder an den Frieden zu glauben? An den echten - und nicht an den, den schwurbelnde Populisten propagieren? Und am besten noch etwas für ihn zu tun? Wie denken wir besser als künstliche Intelligenz? So ganz menschlich, voller Träume, Poesie, Unlogik und Widersprüche? Und warum ist das wichtig?
Yoko Onos Kunst könnte heute mehr denn je gebraucht werden, all das könnten Fragen sein, die man der Ausstellung entgegenschleudern möchte, schließlich heißt es im Text, dass Ono "Vor allem aber […] Ihre Vorstellungskraft anregen und, wie es der Ausstellungstitel ankündigt, den Klang des Geistes wecken [möchte]. Ihre Kunst ist ein Aufruf zu handeln, um gemeinsam die Welt zu verändern, einen Wunsch nach dem anderen." Aber wie genau macht man das?
Auch das letzte Werk in der Ausstellung ist eine interaktive Handlungsanweisung: "Add Color (Refugee Boat) / Just blue / like the ocean / y.o." steht auf der Wand. Hinter ihr öffnet sich ein kleiner White Cube, in der Mitte ein weißes Ruderboot, auf einem Brett an der Wand eine Handvoll blauer Filzstifte.
Ist das der reine, heutige Klang unseres Geistes?
Beim Besuch der Autorin für diesen Text war die Ausstellung erst zwei Tage für Publikum geöffnet, und doch sind die Wände, das Boot, der Boden schon über und über mit Worten, Sätzen, Zeichnungen überzogen. "Free Palestine", "Peace for Israel", "Leave no one behind" steht da, und viele, viele bekannte Slogans mehr, selbstverständlich auch "Ich war hier", "Nicole – Mädchen aus dem Dorf" und "Wer das liest, ist doof". Die reflexhafte Logik, mit der sie angebracht wurden, ist nach dem Besuch der Schau doch erstaunlich. Ist das nun der reine, heutige Klang unseres Geistes? Oder sind das die Stimmen, die ihn übertönen? Wo ist das leise Wispern? Der Zweifel? Das Staunen?
Man kann die Welt nur Wunsch für Wunsch ändern, wenn man weiß, was man sich wünscht. Leider hilft uns diese überaus akkurate historische Schau nicht wirklich dabei, den Zauberfunken aus Yoko Onos poetischem Genie weiterzutragen. Aber vielleicht dabei, ein paar drängende Fragen zu stellen.