Wer die vergessene Zukunft in der hessischen Provinz finden will, der muss sich auskennen. Nichts weist in einem unscheinbaren Neubaugebiet am Rand des Frankfurter Speckgürtels darauf hin, dass hier ein architektonisches Denkmal aus einer Zeit steht, in der man nicht mit Sorge sondern mit grenzenloser Euphorie auf die bevorstehenden Jahrzehnte blickte. Selbst wenn man schließlich, keine halbe Autostunde vom Deutschen Architekturmuseum am Main entfernt, vor dem Tor eines Werksgeländes am Ackerrand der Wetteraugemeinde Altenstadt steht, teilt sich dem Pilgerer nicht unmittelbar der Pioniergeist des Bauexperiments mit, das den Visionär Wolfgang Feierbach beseelte, als er 1968 hier für sich und für seine Familie das fG2000 hinstellte.
fG2000, das war der Markenname für Feierbachs Traum vom neuen Wohnen in einem neuen Zeitalter. Das Wohnhaus, dessen Weiß heute längst zum Dunkelgrau verblichen ist und dessen äußere Wandverkleidungen dringend der Reinigung bedürfen, sollte sowohl die Architektur als auch unsere Vorstellung davon auf den Kopf stellen, wie Familien im 21. Jahrhundert ihre häusliche Umgebung gestalten.
Wolfgang Feierbach, den die Leipziger Expertin für Kunstoffbau Pamela Voigt als "eine Art deutschen Buckminster Fuller" bezeichnet, arbeitete seinerzeit als Modellbaumeister bei der Firma Braun. Gemeinsam mit Dieter Rams entwickelte er dort Möbel aus Glaserfaserstoffen, doch der Handwerker Feierbach sah in dem Material ein weitaus größeres Potential. Mit diesem Stoff, daran glaubte Feierbach, könne man Räume mit einer noch nie dagewesenen Offenheit und Großzügigkeit schaffen. So machte er sich daran, den Prototypen des fg2000 zu bauen, für seine Familie versteht sich. Und im Jahr 1968 war es dann soweit. Vor den laufenden Kameras der Wochenschau wurden in der Industriestraße 6 in Altenstadt innerhalb von zehn Stunden die Module für das neue Wohnhaus der Familie Feierbach zusammengesetzt.
Eine überaus glückliche Kindheit im fg2000
Für die Familie Feierbach wurde das Wohnexperiment zum durchschlagenden Erfolg. Tochter Daniela, damals vier Jahre alt, erinnert sich an die zehn Jahre im fg2000 als eine überaus glückliche Kindheit. Die Feierbachs liebten die Idee des offenen Wohnens, bei dem alleine der Schlafbereich abgetrennt war. Sie fühlten sich heimisch in dem Konzepthaus, in dem das Interieur harmonisch auf die Hülle abgestimmt war. Und selbst die dicken Flokatis an der Decke und sogar unter dem Vordach, die helfen sollen, die Feuchtigkeit zu regulieren, schlossen sie in ihr Herzen. Wenn sie nicht in dem Haus waren, in dem beinahe täglich neugierige Besucher ein und aus gingen, dann durften Daniela und ihre Schwester Birgit in die Werkstatt ihres Vaters mit Materialien und Chemikalien herumexperimentieren, basteln, wozu sie Lust hatten. Einen besseren Spielplatz konnten sie sich nicht wünschen.
Der kommerzielle Erfolg, den Feierbach sich für das Design gewünscht hatte, blieb jedoch aus. Der Modellbaumeister hatte gehofft, dass sich seine Vision vom Wohnen der Zukunft durchsetzt. In jeden Winkel der Bundesrepublik und über die Grenzen hinaus hoffte er die Module zu verschicken, die dort rasch und kostengünstig zusammengebaut werden konnten. Doch der Space-Age-Enthusiasmus der Deutschen beschränkte sich vorerst aufs Hinschauen. Selbst zu leben wie die Feierbachs, war dann doch zu gewagt. So blieb es am Ende bei insgesamt fünf Einzelanfertigungen des fG2000. "Wolfgang Feierbach war sehr optimistisch, was die Serienfertigung angeht", meint Pamela Voigt.
Die Ölkrise stoppte den Optimismus
Feierbach und der Idee des Kunststoffhauses kam freilich auch ein kultureller Paradigmenwechsel zur Mitte der 1970er-Jahre in die Quere. Noch im Jahr 1971 wurde bei der "Internationalen Kunststoffhausausstellung" in Lüdenscheid das Wohnen in Kunststoff als Ausdruck eines grenzenlosen Zukunftsoptimismus gefeiert. All das kam jedoch mit der Ölkrise 1973 zu einem jähen Ende. Plötzlich wurde deutlich, dass Energie nicht grenzenlos vorhanden ist. Kunststoffe als Baumaterialien gerieten in Verruf. Nachhaltigkeit wurde zu einem gängigen Begriff. An die Stelle des Experiments rückte architektonisch die Beschäftigung mit Geschichte und Kontext. Die Postmoderne brach an. "Der große Glaube an Wissenschaft, Technologie und an das Kapital war gebrochen", sagt Dennis Pohl, Architektur-Theoretiker und Forscher an der Delft University of Technology.
Die fG2000s verwaisten. Feierbach selbst lebte noch bis zu seinem Tode in einem größeren Kunststoffwohnhaus in Altenstadt keine 500 Meter vom Bungalow entfernt. Nach seinem Tod im Jahr 2014 fanden die Erben jedoch auch dafür keine Interessenten.
Eine kleine Renaissance
Doch in jüngster Zeit erfährt das Space-Age-Design der späten 1960er und frühen 1970er-Jahre wieder eine kleine Renaissance. Die Babyboomer, die in jener Zeit Kinder waren, können mit signifikanter Kaufkraft ihrer Nostalgie frönen. Darüber hinaus findet in unserem Zeitalter der Digitalisierung der futuristische Geist jener Zeit eine gewisse Resonanz: "Wir sind, wie damals, wieder dazu gezwungen in Systemen zu denken", so Dennis Pohl.
So konnte Pamela Voigt sowohl für das fg2000 in Altenstadt, als für ein fG2000 in der Nähe von Braunschweig den Denkmalschutz erringen. Und in Altenstadt fanden sowohl das fG2000 als auch das Wohnhaus von Wolfgang Feierbach neue Käufer. So besteht Hoffnung, dass der architektonischen Avantgarde des vergangenen Jahrhunderts demnächst wieder Leben eingehaucht wird. Und dass das verschlafene Altenstadt einmal mehr zur Pilgerstätte von Architekturkennern aus der ganzen Welt wird.