Spielerisch-experimentelle Techniken von Laure Prouvost in Berlin
Mit ihren Installationen und Videos schafft Laure Prouvost Welten an der Grenze zwischen Fakt und Fiktion. Als sei man in das Innere eines Oktopus hineingesogen worden, so fühlte man sich in ihrer Multimedia-Installation "Deep See Blue Surrounding You", mit der die heute 46-jährige Turner-Prize-Gewinnerin 2019 den französischen Pavillon in Venedig bespielt hat. Ausgehend von Themen wie Beziehungen zwischen Spezies, Migration und Klimawandel, entwirft Prouvost surreale Geschichten, die manchmal nicht nur narrativ, sondern auch räumlich nur durch einen Nebeneingang oder Tunnel zugänglich sind.
Die im Alltag unbewusste Pforte, durch die Prouvost uns nun ins Kraftwerk Berlin eintreten lassen wird, ist die Welt der Quantenphysik. Dort hat sie mit dem Google-Quantum-AI-Team unter der Leitung von Hartmut Neven zusammengearbeitet, der kürzlich einen Quantenchip vorgestellt hat, der für manche Aufgaben fünf Minuten benötigen soll, während ein herkömmlicher Computer dafür zehn Quadrillionen Jahre (das ist eine eins mit 24 Nullen) brauchen würde – eine Zeitspanne, die sogar das Alter des Universums übersteigt.
Weil das außerhalb des Vorstellbaren liegt, ist es für Prouvost unwiderstehlich. Ihre von der LAS Art Foundation in Auftrag gegebene Installation für das Kraftwerk heißt "We Felt a Star Dying" und besteht aus einem vom Quantenrauschen inspirierten Video, einer Klanglandschaft, Skulpturen, Duft und Licht.
Sie baut genau auf die Eigenschaft der Quantencomputer, die Techunternehmen kontrollierbar machen wollen: deren Instabilität. Weil die Quantenphysik gezeigt hat, dass sich Materie auf kleinster Teilchenskala gar nicht, wie gedacht, nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung verhält, liefern Quantencomputer für ein und dieselbe Berechnung nämlich oft unterschiedliche Ergebnisse. Im Inneren ihrer kinetischen Skulptur "The Beginning" wird man sich auf einem wärmeempfind-lichen Stoff niederlassen und beobachten können, wie die Wärme des Körpers auf dem Gewebe sichtbar wird. Solche thermischen Veränderungen gehören zu den Umweltfaktoren, die Quantenzustände beeinflussen. So können Quantencomputer wohl auch "fühlen", wenn ein Stern stirbt. Und darin, so die Narration in dem Video "We Felt a Star Dying", sind die Quantenmaschinen uns Menschen ähnlich: abhängig vom Außen, von Temperaturen, und ausgestattet mit der Fähigkeit des Fühlens.
Laure Prouvost: "We Felt a Star Dying“, LAS, Kraftwerk Berlin, bis 4. Mai

"We felt a Star Dying", 2024, Videostill
Rund vier Jahrzehnte nach Auflösung der Künstlergruppe "Clara Mosch" bieten die Kunstsammlungen Chemnitz eine Art Zeitreise in die alternative DDR-Kunstszene. Im Kulturhauptstadtjahr 2025 schlägt die mit "Künstlerische Freiräume in Karl-Marx-Stadt" untertitelte Ausstellung damit ein besonderes Kapitel lokaler Kunstgeschichte mit überregionaler Ausstrahlung auf.
Die Gruppe und die Galerie Oben stünden für "zwei der bedeutendsten Leuchttürme für künstlerisch freie Produktion in der DDR-Zeit", sagte Generaldirektorin Florence Thurmes vor der Eröffnung am Mittwochabend. Sie seien "von einem lebendigen geistigen Austausch und künstlerischen Ausdruck, der sich ästhetisch grenzüberschreitend, transmedial und kollaborativ verstand, geprägt", ihre Künstler von der Suche nach Spontaneität und dem Experimentellen geleitet. "Aus heutiger Sicht gelten sie als eine wesentliche Zeit in der Kunstgeschichtsschreibung."
Mehrere Räume des Museums sind ähnlich des einstigen Treffpunkts der Gruppe gestaltet. Dort zu sehen ist umfangreiches Archivmaterial, darunter Fotos, Dokumente und Ausstellungsplakate. Ein Raum ist monatlich wechselnden Präsentationen von Werken der Mosch-Künstler wie Thomas Ranft, Michael Morgner, Gerhard Altenbourg, Hans Brockhage, Carlfriedrich Claus, Dagmar Ranft-Schinke oder Lutz Dammbeck aus den 1970er- und 1980er-Jahren reserviert.
Clara Mosch stand für die lebendige alternative Kunstszene, die sich der staatlichen Kulturpolitik entzog und in den 1970er-Jahren im damaligen Karl-Marx-Stadt entwickelte. Mit unkonventionellen Ausstellungsprogrammen, Veranstaltungen und Aktionen sowie eigener Produzentengalerie grenzten sich Galerie Oben und Künstlergruppe vom staatskonformen Kulturbetrieb ab und zogen Kunstinteressierte weit über die Region hinaus an.
Im Unterschied zu staatlichen Einrichtungen bot die 1973 eröffnete Galerie eine große Vielfalt künstlerischer Stile, bei sogenannten Pleinairs wurde gemeinsam experimentiert und gearbeitet. Besonders beliebt waren die «Mittwochsveranstaltungen» mit Kunstgesprächen, Lesungen, Konzerten und Theaterabenden - die finden nun in den nächsten Monaten an jedem dritten Mittwoch in dem Museum statt.
Karl-Marx-Stadt war in dieser Zeit ein Hotspot der alternativen Kunstszene und die 1977 gegründete Künstlergruppe auch Plattform für vom Staat verschmähte Künstler. Clara Mosch ist ein Anagramm aus den Nachnamen von Claus, Ranft, Morgner und Gregor-Torsten Schade. Sie verband die Ablehnung des Sozialistischen Realismus und die Hoffnung auf freies bildnerisches Schaffen jenseits der vorgegebenen Programmatik.
"Ich finde es gut, dass die Mosch immer wieder mal ins Blickfeld gerät, weil sie die interessanteste und meist bewachte Gruppe war", sagte Mitgründer Ranft. 154 Spitzel der DDR-Staatssicherheit waren auf sie angesetzt. "Wir waren ein operativer Vorgang, der Morgner 'Wurm' und ich 'Made', die kann man so schön zerquetschen", erzählte der Grafiker. "Ich hab zum Morgner immer gesagt: Wurm bleibt Wurm, aber aus ner Made kann ein schöner Schmetterling werden."
"Galerie Oben und Clara Mosch. Künstlerische Freiräume in Karl-Marx-Stadt", Kunstsammlungen Chemnitz, bis 15. Februar 2026

Ernst Goldberg "Gespräch mit Carlfriedrich Claus und Rudolf Mayer in der Galerie Oben" (Ausschnitt), 1984, Stiftung Carlfriedrich Claus Archiv, Kunstsammlungen Chemnitz
Galerien öffnen abends ihre Türen in Karlsruhe
Wenn die Lichter ausgehen, fängt der Spaß erst an: Im Rahmen der art karlsruhe laden die Galerien der Stadt am Samstag zur gemeinsamen "gallery:night". Yvonne Hohner Contemporary zeigt Installationen und Skulpturen von Myriam Schahabian, die Fragmente persischer Kultur mit zeitgenössischer Ästhetik verbinden. Im Geschwisterraum ist eine Soloschau des ghanaischen Künstlers Martin Akwetey Cudjoe zu sehen, die Galerie Rottloff bringt Malerei von Sabine Funke und Zeichnungen von Karlheinz Bux (FUX) in einen Dialog, und die Galerie Burster und Galerie Alfred Knecht in Kooperation mit Galerie Evelyn Drewes laden zu einer großen Gruppenschau. Zusätzlich öffnet das Centre Culturel seine Türen und präsentiert eine von einer Performance begleitete Ausstellung von Charlotte Eifler. Um zwischen 19 Uhr und 22 Uhr ganz bequem von Station zu Station zu hoppen, steht ein Shuttleservice bereit.
"gallery:night", art karlsruhe, 22. Februar (19-22 Uhr)
Es gab ein Magazin, bei dem nicht nur diejenigen Stars wurden, über die man berichtete. Auch die Fotografen, die Journalistinnen, Stylisten und sogar die Grafikdesigner füllten bisweilen große Säle. "The Face" brachte von 1980 bis 2004 monatlich Popmusik und Mode, Stil und Fotografie von London aus in die Welt.
Wer in "The Face" war, war neu und würde erst mal bleiben, wie ein Blick auf die Cover heute noch zeigt: Kate Moss mit Federschmuck, Damon Albarn unter der Dusche, Alexander McQueen mit roten Kontaktlinsen, Kurt Cobain im Blümchenkleid, Robbie Williams mit blutender Nase. Das Bemerkenswerteste an diesem furiosen Rückblick auf ein wichtiges Stück Popjournalismus ist, wie produktiv sich alle redaktionellen Elemente befruchteten: Die Art zu schreiben, die Looks, der Sound, die Fotos, das Layout holten gegenseitig das Beste voneinander heraus. Alles war zugleich freche Behauptung und cooler Beweis von Relevanz.
Der legendäre Grafikdesigner Neville Brody machte die Layouts – und wurde zu einem der wenigen Artdirektoren, deren Namen man außerhalb der Designbranche überhaupt kennt. Für eine "Lunchtime conversation" der National Portrait Gallery kommen der Magazingründer Nick Logan und Brody am 20. Februar noch einmal zusammen, um über die frühen Tage von "The Face" zu sprechen. Denn hier werden jetzt mehr als 200 der teilweise ikonischen Fotografien und Beiträge aus allen Jahrzehnten des Magazins ausgestellt.
Viele Fotos werden zum ersten Mal überhaupt gezeigt, ein grandioser Bilderschatz. Leonardo DiCaprio im weißen Western-Outfit mit Pferd in Las Vegas? Wäre heute auf allen Mobiltelefonen dieser Welt. Aber was in "The Face" war, kursierte nicht, es war exklusiv für jene, die jeden Monat in die Bahnhofsbuchhandlung pilgerten, um diese aufregenden Botschaften zu empfangen.
"The Face Magazine: Culture Shift", National Portrait Gallery, London, bis 18. Mai

Jamie Morgan "Winter Sports", gestylt von Ray Petri, Januar 1984
Street Photography in Wetzlar
Unter dem Motto "100 Jahre Leica: Zeugin eines Jahrhunderts" steht, präsentiert das Ernst Leitz Museum über 100 Motive der Street Photography aus dem Leica Archiv. Gezeigt werden Fotografen wie Henri Cartier-Bresson, René Burri, Elliott Erwitt oder auch Alexander Rodtschenko, Dr. Paul Wolff, Marc Riboud, Martine Franck, Joel Meyerowitz und Gianni Berengo Gardin. Jüngere Positionen der Street Photography sind durch Julia Baier, Fred Mortagne oder Matt Stuart vertreten. Gezeigt werden ikonische Motive sowie überraschende Neuentdeckungen aus verschieden Regionen der Welt.
Fünf Werkgruppen zeigen den urbanen Raum: "Alltagsgeschichten", "Der geteilte Blick", "Die Magie der Straße", "Geometrie der Stadt", "Linien und Zeichen". Die Fotografien zeigen Straßen der Stadt als Orte der Öffentlichkeit voller Alltagsgeschichten, spontanen Situationen und Flüchtigkeit. Die Ausstellung zeigt historische Abrisse, in denen eine ab den 1970er-Jahren schnellere, dynamische Art der Fotografie erkennbar ist: neue Motive, direkter, distanzloser, oft auch kurios oder merkwürdig. Mit einem stark grafisch geprägtem Blick auf die Umwelt zeigt Leica neue Perspektiven und Dynamiken des öffentlichen Raums, Linien- und Zeichensysteme, übersehene Milieus oder marginalisiert wahrgenommene Zeitgenossinnen und -genossen.
"Die Magie der Straße: Meisterwerke der Street Photography aus dem Leica Archiv", Ernst Leitz Museum, Wetzlar, bis 9. Juni

Joel Meyerowitz "Gold Corner", New York, USA 1974, in der Ausstellung "Die Magie der Straße. Meisterwerke der Street Photography aus dem Leica Archiv", Ernst Leitz Museum Wetzlar 2025