Ari Benjamin Meyers

Wie stellt man Musik aus?

Der Komponist Ari Benjamin Meyers arbeitet mit Tino Sehgal, Anri Sala und anderen Künstlern zusammen. Jetzt hat er in Berlin seine erste eigene Ausstellung

„Spielen Sie ein Instrument?“– eine Frage, um gute Gespräche zu starten, um irgendwo anzufangen und ganz woanders zu landen. Plötzlich ist man in der Kindheit, bei den Eltern, bei der ersten Band, die am Kiffen zerbrach, bei einem Auftritt mit der Gitarre vor Teepflückern in den Bergen von Darjeeling. Das Interview mit Ari Benjamin Meyers ist vorbei,man steht vor dem Café, da will er unbedingt noch wissen, welches Instrument man denn spielt. Dass beim Musikmachen, -komponieren, -hören immer ein gewaltiger Kontext aufgerufen wird, dass es um gelebtes und ersehntes Leben geht, ist dem Amerikaner früh klar geworden. „Musik ist nicht allein das, was man hört“, sagt er, und diese Überzeugung hat dazu geführt, dass er nun in einer Galerie ausstellt.

Meyers ist Komponist, Dirigent und seit Neuestem eben auch Künstler, wenn Künstler diejenigen sind, die von Galerien vertreten werden; Esther Schipper hat ihn ins Programm aufgenommen. Doch wie stellt man Musik aus? Um zu dieser Frage zu kommen, hat Meyers einen langen Weg genommen, der wie in einem Entwicklungsroman von Begegnungen, Erfolgen und Ehrgeiz geprägt ist. Auch diese Geschichte fängt mit einem Instrument an.

Der in New York geborene Meyers spielt seit seinem vierten Lebensjahr Klavier. Als Kind differenziert er zwischen klassischer Musik, anhand der er das Instrument lernt, und Rock oder Improvisation, was ihm zunächst mehr Spaß macht. Erst mit zwölf Jahren, nach dem Hören der Werke von Philip Glass, versteht er, dass Klassik Kraft besitzen kann, dass die Unterscheidung zwischen ernster und unterhaltsamer Musik nicht viel taugt. Das bestätigt auch Leonard Bernstein, den er bei einem Sommerkurs kennenlernt und der meint, es gäbe keine großen Unterschiede zwischen seiner „West Side Story“ und einer Symphonie. „Die Katalogisierung in Genres kommt aus den Tagen, als es Plattenläden gab“, sagt der heute 40-jährige Meyers heute. Während er an der Juilliard School in New York, der Yale University und am Peabody Conservatory Komposition und Dirigieren studiert, spielt er auch in Punkbands. Komponieren wird für ihn der Versuch, Genres zusammenzuführen.

Durchbruch in der Kunstwelt mit „Il Tempo del Postino“

Nach Deutschland kommt er zum ersten Mal mit 19 Jahren, wo er an der Bayerischen Staatsoper München bei dem kürzlich verstorbenen Komponisten Wolfgang Sawallisch assistiert. Der Amerikaner ist begeistert davon, welch hohen Stellenwert die Opernhäuser in Deutschland haben. Später bröckelt sein Enthusiasmus, als ihn ein Fulbright-Stipendium als Operndirigent nach Berlin bringt: Ideen scheitern an der hierarchischen Struktur der Institutionen, wo Ideen verlorengehen im Zuständigkeitsgeschiebe zwischen Kapellmeister, Generalmusikdirektor, Verwaltungsleiter, Intendant und Orchester.

Ari Benjamin Meyers startet freie Projekte, 2001 wird er etwa Musikdirektor bei einer Aufführung von Glass’ „Einstein on the Beach“ im Gebäude der ehemaligen Staatsbank der DDR. Bei der „Opern-Installation“ von Berthold Schneider und Veronika Witte können sich die Zuhörer im Raum bewegen und dabei visuelle Eindrücke sammeln. Auch ein – ebenfalls in seinem Gebiet unzufriedener – junger Choreograf namens Tino Sehgal ist involviert. Hier beginnt ein Austausch, der bis heute anhält: Für den heute international bekannten Künstler hat Meyers die musikalische Leitung bei mehreren Projekten übernommen, unter anderen für den Beitrag zur letztjährigen Documenta, bei dem Akteure in einem dunklen Raum sangen und tanzten.

Meyers arbeitet mit der Band Einstürzende Neubauten, dem Technoproduzenten Ricardo Villalobos und mit den Architekten vom Raumlabor. Er wird ein gefragter Mann für Künstler, die mit Musik arbeiten. 2007 dann der endgültige Durchbruch in der Kunstwelt, als er die musikalische Leitung von „Il Tempo del Postino“ übernimmt, ein Bühnenstück von Hans-Ulrich Obrist und Philippe Parreno, das in Manchester Prämiere feiert. Ein Jahr lang erfährt Meyers, wie die mitwirkenden Künstler mit Musik umgehen. „Matthew Barney weiß genau, was er will, Trisha Donnelly ist offener, aber alle Künstler haben eine sehr musikalische Herangehensweise in ihrer Arbeit.“ Hier beginnt auch die Kooperation mit Anri Sala, mit dem er zurzeit den Beitrag für den französischen Pavillon auf der kommenden Venedig-Biennale vorbereitet.

Die Vorarbeit von Klangkünstlern ist kaum hilfreich

Bislang braucht es die Künstler, damit man Ari Benjamin Meyers‘ Arbeit im Museum, in der Galerie, auf der Documenta hören konnte. Doch die Frage beschäftigt den Komponisten weiter: Wie stellt man Musik aus? Eine Tradition gibt es nicht, auf die Meyers sich stützen könnte. Auf der Seite der Musiker wurden das Format Konzert, der Konzertsaal oder die Institutionen nie infrage gestellt, anders als in der Kunst, wo permanent über den White Cube, das Museum, die Kunsthochschule nachgedacht wird. Auch die Vorarbeit von Klangkünstlern findet Meyers für sein Anliegen kaum hilfreich: „Das Klangkunstwerk steht über der Zeit, es verhält sich wie ein diskretes Objekt oder besteht aus einem Objekt – und wenn es nur ein Lautsprecher ist. Eine Komposition hingegen ist ein Prozess, eine zeitbasierte Erfahrung. Sie entfaltet sich, man kann sie nicht anhalten und einfrieren wie einen Film. Woran ich interessiert bin, muss nicht einmal gehört werden. Es könnte auch Musik ohne Musik sein.“

In seiner ersten eigenen Ausstellung werden Aufführung und Komposition deshalb erst zum Ende an diesem Wochenende fertig sein. Ari Benjamin Meyers hat über die Galerie nachgedacht, um nicht einfach Musik von außen hineinzubringen in die Räume. „Dort arbeiten 13 Leute, schon ein kleines Orchester.“ Die Mitarbeiter sind in die Entstehung der Komposition eingespannt, und dabei geht es wieder um die Frage, ob sie ein Instrument beherrschen. Auch wenn sie völlig unmusikalisch sein sollten, spielen sie dennoch für Meyers, der weiter komponiert und am Ende ein Songbook herausgibt. Ein Objekt, ja. Aber keines, das als Teil der Schau zu besichtigen wäre.

Wie stellt man Musik aus? Ari Benjamin Meyers steht erst am Anfang. Sein Tasten und Fragen weiter zu verfolgen, könnte sehr aufregend werden.

Ari Benjamin Meyers „Songbook“, Galerie Esther Schipper, Berlin, bis 13. April. Ab Ende April wird im Eingangsbereich der Berlinischen Galerie für ein Jahr Meyers Musikinstallation „Chamber Music (Vestibule)“ zu hören sein. Eröffnung: 27. April, 17-20 Uhr