Nach Supreme-Court-Entscheidung

Wie Modelabels sich zum Abtreibungsurteil in den USA positionieren

Nach der jüngsten Entscheidung des Obersten US-Gerichts könnten Millionen Menschen den Zugang zu Abtreibung verlieren. Das Urteil zeigt einen Missstand auf, den auch die Modewelt bekämpfen will

Nach der Entscheidung des US Supreme Court ist das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in mindestens acht US-Bundesstaaten sofort umgesetzt worden. In 13 Staaten sind sogenannte "Trigger Law"-Gesetze in Kraft, die Abtreibungen in den nächsten 30 Tagen verbieten sollen. Die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches wird nun vielerorts zu einer Straftat, die mit langjährigen Gefängnisstrafen geahndet wird. Und nicht nur Abtreibungen: Auch Fehlgeburten dürfen in den betroffenen Staaten potenziell als Straftat untersucht werden.

Nach der Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofs vom 24. Juni, Roe gegen Wade, das bahnbrechende Urteil von 1973, das Amerikanerinnen und Amerikanern das Recht auf Abtreibung garantierte, aufzuheben, haben einige Mode- und Schönheitsunternehmen schnell reagiert. Für eine Branche, die größtenteils aus Frauen besteht und von Frauen als Zielgruppe profitiert, liegt die Herausforderung jetzt darin, Worten sinnvolle Taten folgen zu lassen. Eine Handvoll Unternehmen hat bereits Pläne angekündigt, finanzielle und andere Formen der Unterstützung für Mitarbeitende bereitzustellen, die eine Abtreibungsbehandlung wünschen, einschließlich derjenigen, die jetzt für eine Abtreibung in einen anderen Staat reisen müssen. Nike sagte zum Beispiel, dass es Reisekosten bis zu 10.000 US-Dollar übernehmen wird, Dick’s Sporting Goods erstattet Mitarbeitenden bis zu 4.000 US-Dollar und Patagonia versprach, Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung für Mitarbeitenden im Rahmen seiner Gesundheitspläne zu bezahlen und die Kaution zur Freilassung Mitarbeitender zu übernehmen, die wegen friedlichen Protests gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofs festgenommen wurden.


Während die Zahl der Unternehmen, die ihre Reaktionen auf das Urteil zum Ausdruck bringen, stetig steigt, haben die meisten Textilfirmen nicht genau klargestellt, wie sie abtreibungsbezogene Hilfe leisten wollen. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Ausarbeitung und Umsetzung dieser Richtlinien eine Vielzahl ethischer und rechtlicher Fragen aufwirft, die angegangen werden müssen.

Zwischen Beifall und "Go Woke Go Broke”

Ralph Lauren verspricht Unterstützung, vermeidet aber das Wort "Abtreibung" in seinem Statement auf Instagram. Diane von Fürstenberg zeigt sich schockiert über die Urteilsaufhebung Roe v. Wade. Ihr gleichnamiges Label positioniert sich solidarisch und spricht sich für finanzielle Unterstützung von mitarbeitenden Betroffenen aus. Donna Karan, die ihr Modeimperium in den frühen 1990er-Jahren mit "Female Empowerment" aufbaute, bleibt hingegen stumm.

Die Reaktionen der Instagram-Community auf unterstützende Social-Media-Postings von Modemarken fallen unterschiedlich aus. Sie reichen von enthusiastischem Zuspruch und Loyalitätsbekundungen zu den jeweiligen Marken bis hin zur Bagatellisierung durch Kommentare wie "stay in your lane" und sogar Aufruf zum Boykott.

Internationale Solidarität kommt von Labels wie Gucci. Auf Instagram postet das Modehaus ein Bild eines Blazers mit dem Slogan "My Body My Choice" und verweist auf das 2013 lancierte Projekt "Gucci Equilibrium". Damit will das italienische Luxuslabel für positive Veränderung für Mensch und Umwelt kämpfen. Konkret heißt das, dass Gucci globale Gipfeltreffen wie den sogenannten "Chime for Change" organisiert, bei dem Aktivistinnen und Aktivisten, Künstlerinnen und Künstler zusammenkommen, um gemeinsam Probleme in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter zu thematisieren. "Als weltweit agierendes Unternehmen ist es unserer Meinung nach unerlässlich, den Stimmen derer, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter auf der ganzen Welt einsetzen, Gehör zu verschaffen, sie zusammenzubringen und zu stärken", so Susan Chokachi, Präsidentin von Gucci America und Mitglied des Global Equity Board von Gucci.


Instagram, Facebook, TikTok und Twitter sind ein Megafon, aber sie allein können keine systemischen Veränderungen bewirken. Wenn es um Entscheidungen geht wie die Umkehrung von Roe gegen Wade, sind diese Plattformen nur bedingt hilfreich. 

Das Stigma um Abtreibungen ist weltweit spürbar. In Deutschland und Österreich ist die Regelung um die Beendigung einer Schwangerschaft immer noch im Strafgesetzbuch festgehalten. Bisher waren Schwangerschaftsabbrüche in den USA mit zahlreichen Hürden verbunden und nur unter gewissen Bedingungen straffrei. Die Gesetzesänderung des US Supreme Court verbannt sie nun komplett in die Kriminalität und entzieht somit Frauen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung.

De facto wird die Aufhebung von Roe gegen Wade nicht nur etliche Schwangere das Leben kosten, sondern könnte auch weltweit Rückschritte in Bezug auf reproduktive Rechte lostreten. Wieder sind die sozial Schwächsten im Land am stärksten betroffen. Wer Abtreibungen verbietet, hat letzten Endes ein rassistisches Motiv – ein unerträglicher Zustand. Denn reproduktive Rechte stehen immer für soziale Gerechtigkeit.

Woke washing?

Sobald man die Funktion der Mode ausklammert und ihre Symbolik analysiert, wird Mode zum Politikum. Unternehmen, die für die Abtreibungskosten ihrer Mitarbeitenden aufkommen, mögen dies aus politischem Kalkül tun. Kritische Stimmen auf Social Media sehen hier einen Fall von "woke washing": Verglichen mit der Finanzierung von Elternzeit würden Abtreibungen die Unternehmen viel weniger kosten, weshalb diese lediglich zu ihrem wirtschaftlichen Vorteil handelten.

Zudem müsse auch hier betont werden, dass die Sprache, die Marken mit ihren Statements verwenden, eine entscheidende Rolle spielt, meint eine Skeptikerin "Brands, die explizit nur Frauen ansprechen, tun uns keinen Gefallen. Es betrifft Trans-Männer und non-binäre Menschen genauso." Die US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez geht sogar noch einen Schritt weiter und warnt davor, dass die gesamte medizinische Versorgung leiden werde, weil Kliniken mit Rechtsfragen völlig überlastet sein würden.

In Deutschland ist die späte Streichung des Paragrafen 219a durch den Bundestag Ende Juni ein gutes Beispiel dafür, dass überall dort, wo rechte Parteien an der Macht sind, Frauenrechte eingeschränkt werden. "Es ist erschreckend, dass es 89 Jahre gedauert hat, um diesen Missstand abzuschaffen", sagt SPD-Abgeordnete Carmen Wegge. Beim Paragrafen 219a gehe es nicht um Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, sondern um das Recht auf Information. Die Verankerung von Abtreibung als Grundrecht in der EU ist ein weiterer wichtiger Schritt zu mehr Selbstbestimmung für Frauen und jegliche Personen mit Gebärmutter.