Jahresrückblick 2022

Wie geht es jetzt mit NFTs weiter?

2022 war ein Krisenjahr für die Kryptokunst. NFTs verloren teils drastisch an Wert. Trotzdem sehen viele Künstlerinnen und Künstler die Technik noch immer als Chance. Ein Rückblick und Ausblick

Es dauert ein bisschen, dann trudeln sie ein, die kleinen Steine. Wie ein Meteorregen am schwarzen Himmel, aber ganz langsam. Ein Klick, dann ist ein Stein ganz groß. "Dream" heißt die funkelnde Skulptur, die sich da dreht. Gaby Schulze hat sie vor ein paar Wochen fertiggestellt, nicht am Computer, sondern mit dem Meißel in ihrem Atelier. Nach einem letzten Schlag auf den Kalkstein hatte sie zu ihrem Smartphone gegriffen und ihn eingescannt. Das 3-D-Modell hat sie nachbearbeitet und auf die schwarze Homepage hochgeladen, zu den anderen Steinen. Jetzt kann es als NFT gekauft werden.

NFTs, das steht für Non-Fungible Tokens. Mit ihnen kann digitale Kunst gehandelt werden, weil sie Dateien einen klaren Eigentümer zuordnen. Klingt nach Zukunft und Fortschritt. Doch der Hype, den sie noch Anfang 2021 ausgelöst hatten, ließ in den vergangenen Monaten nach. Nun, zum Ende des Jahres, fragen sich viele in der Szene, wie es weitergehen soll.

Denn die NFTs verhalfen zwar zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern zu mehr Sichtbarkeit und machten viele Menschen reich. Gleichzeitig traten jedoch zwei entscheidende Nachteile besonders in den Vordergrund: Die Klimabilanz der NFTs ist oft verheerend. Und sie werden nicht selten als Spekulationsobjekt genutzt: Viele Kunstkäuferinnen und -käufer machten 2022 Verluste, denn NFT-Kunst kann schnell an Wert verlieren.

Was bedeutet verantwortungsvolles Handeln?

Auch Künstlerin Schulze beobachtete diese Entwicklungen über das Jahr hinweg genau. Trotzdem glaubt sie, es könne auch wieder bergauf gehen. Doch das sei mit Anstrengungen verbunden. "Wir müssen verantwortlich handeln, wenn wir die positiven Aspekte der NFTs nutzen wollen", sagt sie im Seminarraum des Berliner Bildungswerks des Berufsverbands bildender Künstler*innen (BBK). Hier hat sie gerade einen Workshop gegeben. In der Hauptstadt gilt sie als NFT-Vorreiterin, mit ihrer Kunst und als Expertin. So arbeitet sie als Dozentin auch an der Universität der Künste und der Freien Universität.

Verantwortlich handeln, ist das in der NFT-Szene überhaupt möglich? Allein schon aus den genannten Klimagründen? Die Blockchain-Registrierung eines NFTs soll einer Studie des NFT Clubs zufolge rund 83 Kilogramm CO2 verbrauchen. Um diese Emissionen wieder zu binden, bräuchte es demnach 1,38 Bäume. Hinzu kommt das CO2 aus möglichen Geboten, Verkäufen, Transfers – und dem Einsatz von Kryptowährungen.

Diese Frage wurde im Jahr 2022 immer wieder hitzig diskutiert – in den Medien, sozialen Netzwerken und in Künstlerkreisen. Fortschritte gibt es jedoch durchaus: Etwa einer Umstellung in der Etherum-Blockchain werden große Auswirkungen auf die NFT-Welt nachgesagt. Mit einem Wechsel auf den sogenannten "Proof of Stake"-Algorithmus will sie ihre Emissionen um bis zu 95,95 Prozent gesenkt haben. Doch Klimaneutralität, davon ist die NFT-Welt noch weit entfernt.

Als Ausgleich pflanzt sie Bäume in der Uckermark

Schulze gibt noch nicht auf: Sie will das Emissionsproblem zumindest in ihrer Arbeit zu großen Teilen gelöst haben. Ihre NFTs bietet sie auf der kleineren Plattform Teia an, die angibt, den Energieverbrauch enorm zu senken. Als Ausgleich für die NFTs, die sie einstellt, pflanzt sie Bäume in der Uckermark. "Außerdem fängt ökologische Verantwortung für mich bei den Botschaften an, die meine Kunstwerke übermitteln", sagt sie. Im Zentrum fast all ihrer Arbeiten stehen deshalb Naturmaterialien. "Das mache ich auch, um die Menschen mit meiner Kunst daran zu erinnern: Ohne Umwelt und Natur sind wir nichts."

NFTs nutzen, um gegen die Auswirkungen der NFT-Technik anzukämpfen – auch andere hatten schon diese Idee. Etwa der Medienkünstler Kyle McDonald: Er verkaufte im Sommer 2022 drei virtuelle Skulpturen, deren Erlös alle bisherigen Emissionen von drei großen Marktplätzen kompensieren sollen. Sie stellen drei durchsichtige Kästen dar, die mit Olivin, Erde und geschredderten Kältezylindern gefüllt sind.

Es gibt sogar eine Klimainitiative mit den Vereinten Nationen namens "DigitalArt4Climate", die offenbar Künstlerinnen und Künstler dazu animieren soll, mit ihrer NFT-Kunst auf die Klimakatastrophe aufmerksam zu machen. Sie hatte im Vorjahr den philippinischen Künstler Bricx Martillo Dumas für sein Kunstwerk "Nexus" ausgezeichnet. Auf diesem ist eine grau gefärbte Hand zu sehen, die eine Plastiktüte mit Strohhalm hält – und eine Zigarette, deren Rauch zu kleinen Blättern wird. Machen es sich die Künstlerinnen und Künstler damit zu einfach? Schließlich bleibt unklar, ob mit solchen Vorhaben wirklich CO2 eingespart wird – oder ob es beim Symbol bleibt.

Glauben an Veränderung

Schulze jedenfalls glaubt, die NFT-Welt sei eines der Systeme, die sich noch von innen verbessern lassen. "Wir Künstlerinnen und Künstler treten Pfade ein", sagt sie. "Wir sind früh bei einer Technik dabei, die uns später vielleicht überall, auch jenseits der Kunst, begegnen wird und heute schon begegnet." Noch könnten die Künstlerinnen und Künstler das System deshalb klimafreundlicher gestalten. Sie könnten etwa mitentscheiden, welche Plattformen und Verfahren sich durchsetzen. "Deshalb kann es nur gut sein, wenn nicht nur Finanzleute die Plattformen nutzen, sondern auch kritische Kreative."

Ein weiterer Nachteil der NFTs: Man weiß nie, wie sich die Preise entwickeln werden, nachdem man sie gekauft hat. Und der Wert ist eng mit dem Schicksal von Kryptowährungen verbunden. Diese sind extrem volatil. Nachdem es lange Zeit gut ausgesehen hatte für die neuen dezentralen Währungen, kam es Ende 2021 zur Katastrophe für viele Anlegerinnen und Anleger: Der Preis von Bitcoins stürzte ab. In den vergangenen zwölf Monaten fiel er um über 67 Prozent (Stand: Anfang Dezember 2022).

Ein aktuelles Beispiel: Nachdem eine der größten Kryptowährungsbörsen, FTX, Anfang November Konkurs angemeldet hatte, war auch der Wert vieler NFTs gesunken. Zuletzt sind selbst die Preise für eine der bekanntesten Reihen, die "Bored Apes", zu großen Teilen stark gefallen. Die günstigsten von ihnen waren Ende April etwa 429.000 US-Dollar wert. Jetzt sind sie ab 69.000 US-Dollar zu haben. Auch Sänger Justin Bieber bekam das zu zu spüren: Er hatte offenbar einen "Bored Ape" für 1,3 Millionen US-Dollar gekauft, der zwischenzeitlich auf 69.000 Dollar gesunken war. Immer wieder kommt es im NFT-Kontext außerdem zu Betrugsfällen, bei denen Pyramiden-Systeme angewandt werden. Nach einer sicheren Geldanlage klingt all das eher nicht.

Negativer Effekt für Künstlerinnen und Künstler

Dass 2022 in der Branche insgesamt nicht alles gut lief, ist messbar. Das Handelsvolumen von digitaler Kunst und Sammlerstücken auf mehreren Blockchains – Opensea, NFTX, Larvalabs, Looksrare, Superrare, Rarible und Foundation – soll zwischen Januar und Ende September um 97 Prozent gesunken sein. Statt 17 Milliarden US-Dollar wären es demnach nur noch 466 Millionen US-Dollar. Das zeigen Daten auf der Analyseplattform Dune, die zuvor von dem US-Medium "Bloomberg" zitiert worden waren.

Diese Entwicklungen wirken sich auch negativ auf Künstlerinnen und Künstler aus – auch wenn Investoren zögerlich werden und sie ihre Kunst nicht mehr so leicht oder nur zu niedrigeren Preisen verkaufen können. Und nun könnte das Geldverdienen noch schwieriger werden. Denn offenbar lassen immer weniger Marktplätze Urheberinnen und Urheber am Weiterverkauf ihrer NFTs mitverdienen, wie das US-Portal Axios berichtet. Zur Erklärung: Bislang zahlen viele Plattformen bei Sekundärverkäufen automatisch Lizenzgebühren an die Künstlerinnen und Künstler. Diese hoffen, sich so ein passives Einkommen zu erarbeiten.

Konkret geht es um folgende Plattformen: Sudoswap und X2Y2 verzichten dem Bericht zufolge gänzlich auf Lizenzgebühren, bei Magic Eden sind sie seit Oktober optional; die Organisation DAO verzichtet ebenfalls seit kurzem auf die Gebühren. Mit Schritten wie diesem könnte sich die NFT-Branche selbst enorm schaden. Denn Künstlerinnen und Künstler schaffen die Inhalte, die den Hype rund um Sammlerstücke erst möglich machen. Würden sie nun aus Geldgründen aufhören, spannende Projekte umzusetzen, wäre das wohl ein großes Problem in der Branche. Insbesondere das große öffentliche Interesse an NFTs, das den Markt beflügelt, wäre dann in Gefahr.

Murakamis Entschuldigung für den Wertverlust

Was dieses Szenario etwas weniger wahrscheinlich macht: Es geht auch in der NFT-Welt nicht allen nur um Geld. Schulze jedenfalls will sich von solchen Entwicklungen nicht beeinflussen lassen. Mit der Finanzwelt rund um die NFTs wolle sie nämlich ohnehin nicht viel zu tun haben, sagt sie. Der monetäre Wert und der künstlerische Wert seien erstmal getrennt voneinander zu betrachten: "Wegen des Geldes lohnt sich der Verkauf von NFTs für mich überhaupt nicht. Mir geht es aber auch nicht darum, sie teuer zu verkaufen." Die Technik biete neue Möglichkeiten des künstlerischen Schaffens. Allein das sei Wert genug.

NFTs seien mehr als nur die Geld-Komponente. So hätten sie interessante Künstler-Communities geschaffen, sagt Schulze. Sie treffe sich regelmäßig mit anderen Berliner NFT-Künstlerinnen und -Künstlern, habe Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt. "In der Community spielt etwa mein Alter keine Rolle. Es ist ein Austausch auf Augenhöhe: in der Kunstwelt etwas wirklich besonderes." Und einen großen Vorteil bringt ihr der Austausch in der Folge dann doch: "Sichtbarkeit, Kontakte – und so zuletzt auch Einkünfte in der realen Welt."

Andere Künstlerinnen und Künstler wollen derweil sehr wohl Geld aus ihren NFT-Verkäufen mitnehmen. Und wer ein digitales Kunstwerk kauft, möchte natürlich nicht zusehen müssen, wie der Wert des Objekts plötzlich abstürzt. So fühlte sich der Künstler Takashi Murakami im Juni zu einer Entschuldigung gezwungen, nachdem der Wert seiner "Murakami Flowers" gesunken war: "I am very sorry", schrieb er auf Twitter.


Der nächste Boom kommt bestimmt?

Wie wird es also mit den NFTs weitergehen? Diese Frage hat sich auch Damien Hirst gestelllt, einer der bestverdienenden Künstler der Welt. Sein Team fertigte für das Projekt "The Currency" 10.000 Blätter mit bunten Punkten an und verkauft sie als Bilddateien auf einer NFT-Plattform. Die Käuferinnen und Käufer durften sich entscheiden, ob sie lieber die Bilddatei behalten oder das physische Kunstwerk zugeschickt bekommen. Tausende der Blätter, deren Besitzer lieber die Datei behalten hatten, hat Hirst im Herbst publikumswirksam verbrannt.

In dieser dramatischen Geste fand der Künstler eine erste Antwort: Immerhin glauben viele Menschen offenbar daran, dass NFTs auch in Zukunft einen Wert haben werden. Sonst hätten sie sich für die Papierversionen der Kunstwerke entschieden. Und auch so einige Experten sind sich sicher: Der nächste NFT-Boom könnte bereits Gestalt annehmen.

Das wird jedoch wohl nicht für alle gelten. Über die vielen Erfolgsgeschichten rund um NFTs sagt Gauthier Zuppinger von der Analyseplattform Nonfungible: "Das ist wirklich nur ein winziger Teil der Community: ein paar Leute, die extrem viel Glück haben und extrem gut informiert sind." Darüber berichtete "Bloomberg". "Vielleicht 90 Prozent der heute geprägten Sammlungen sind völlig nutzlos und bedeutungslos." In anderen Worten: tot.

"Die Kunst lebt weiter"

"Die gute Nachricht ist aber: Selbst wenn NFTs irgendwann sterben, die Kunst lebt weiter", sagt Künstlerin Schulze. "Wenn ein neues Medium hinzukommt, ist das schön. Und wenn es wieder an Bedeutung für die Kunst verliert, kann das auch gut sein." Sie selbst hat sich schon mit digitaler Kunst beschäftigt, als das Internet noch neu war. An der Kunsthochschule Berlin-Weißensee hatte sie in den 1990-Jahren Malerei und Bildhauerei studiert, mit den Schwerpunkten Steinbildhauerei und Neue Medien. Diesen Werkzeugen – Stein, Text, Klang und Video – ist sie seither treu geblieben. Und je nach Technikstand hat sie diese erweitert: durch 3-D-Animationen, Games – und mittlerweile eben NFTs.

Aktuell arbeitet sie an dem Projekt "Sinneswandel". Sie scannt Objekte ein und will sie interaktiv erlebbar machen: als App mit VR-Brille, als Computerspiel. Entstanden ist eine Art immersives Metaversum, durch das sich Betrachter wie durch ein traumhaft pixeliges Atlantis bewegen. Einzelne Objekte daraus landen auch auf einer NFT-Plattform.

Letzteres braucht sie jedoch nicht zwingend für ihre Arbeit: "Am besten nehmen die Betrachterinnen und Betrachter meine Arbeiten ohnehin dann auf, wenn ich sie am klassischsten aller Orte platziere: im Museum." Dort finden dann auch die Ursprünge ihrer Digitalkunst Platz: Die funkelnden Steinskulpturen aus ihrem Atelier.