"Arbeitskräfte wurden gerufen, aber Menschen sind gekommen", sang Ozan Ata Canani in seinem Song "Deutsche Freunde" schon in den frühen 1980er-Jahren, begleitet von seiner rockig gespielten Langhals-Laute Bağlama. Die Textzeile ist inspiriert von einem Satz des Schriftstellers Max Frisch: "Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es sind Menschen gekommen".
Zu finden ist das Lied auf der Compilation "Songs of Gastarbeiter", die 2014 Jahren beim Münchner Independent-Label Trikont erschien. Volume II folgte erst kürzlich und wurde im Haus der Kunst in München im Rahmen einer "Musical Lecture" vorgestellt.
Auf wie vielen Ebenen sich der Begriff "Gastarbeiter" als falsch erweisen sollte. Werden Gäste doch vom Gastgeber zuvorkommend behandelt. In Deutschland während der Rezession in den 1970er-Jahren wurde der Begriff in der Berichterstattung auf einmal negativ konnotiert. Das Anwerbeabkommen der 1950er-Jahre, das stark zum Wirtschaftswachstum beigetragen hatte, wurde zum "Problem" umdefiniert.
Das Interesse ist an verschiedenen Orten spürbar
Erst jetzt, zwei Generationen später, scheint genug Abstand zu bestehen, um sich diesen für Deutschland prägenden sozialen Prozess aus der Perspektive der Kunst anzusehen. Denn bei vielen der besagten Menschen, die gekommen waren, handelte es sich um Künstlerinnen und Künstler. Nur nahm das damals niemand wahr, zu eingeschränkt und problemfixiert war die allgemeine Sicht. Erst im Jahr 2024 ist das Interesse dafür im Ausstellungsgeschehen an mehreren Orten deutlich spürbar.
Den Anfang machte das Marta Herford im Januar 2024 mit "Annem işçi", übersetzt: Meine Mutter ist Arbeiterin. 'Wer näht die roten Fahnen?", lautet der Untertitel mit Bezug auf eine Arbeit von Gülsün Karamustafa. Die Ausstellung untersucht die Zeit der 1970er-Jahre, als Migrantinnen aus der Türkei, Jugoslawien, Spanien, Griechenland und Italien offensiv angeworben wurden, um in Branchen eingesetzt zu werden, die häufig als gesundheitsgefährdend galten. In bestimmten Lohngruppen bekamen sie bis zu 40 Prozent weniger Lohn als Männer. Der Protest dagegen äußerte sich schon damals in Kunst oder im Verbund mit Künstlerinnen und Künstlern. Aber erst heute erscheint es vollkommen logisch und notwendig, die Themen prekäre Beschäftigung, Rassismus und Gewalt aus feministischer Perspektive zusammenzudenken.
Fatma Biber-Born hat Kunst in Mannheim studiert, bezeichnet sich als "Gastarbeiterin zweiter Generation" und erforschte mit künstlerischen Mitteln das Schicksal, "Kofferkind" zu sein. So heißt ihre Ausstellung mit Zeichnungen und Aquarellen in Heidelberg. Es gebe viele von ihnen, sagt Biber-Born, viele hingen heute "in der Luft", auch mit 50 oder 60 Jahren, stellt sie fest. Auch sie lebte bis zum Teenager-Alter bei ihren Großeltern, bis sie nach Deutschland nachgeholt wurde, wo ihre Eltern arbeiteten.
Das Zurücklassen und der Neuanfang unter schweren Bedingungen war auch Thema vieler Kunstwerke in der Ausstellung "There is no There There", die 2024 im MMK Frankfurt gezeigt wurde. Susanne Pfeffer kuratierte sie gemeinsam mit Gürsoy Doğtaş, der auch die Ausstellung für das Marta Herford als Gastkurator verantwortete. Auch diese Schau gab einen breit gefächerten Überblick über die Kunst von in Westdeutschland und der DDR lebenden Künstlerinnen und Künstlern aus dem Ausland. Arbeits- und Wohnalltag in der neuen Heimat im Exil wurden thematisiert, genau wie soziale und politische Erfahrungen. Frappierend war nicht nur die Vielfalt und die vielschichtige Qualität der gezeigten Werke, sondern vor allem auch die Tatsache, dass die wenigsten von ihnen in den Kunstdiskurs ihrer Zeit Eingang gefunden hatten.
Himmel und Hölle und Akkordarbeit
Dabei hätte sich beispielsweise zu Vlassis Caniaris Installationen, die er in den frühen 1970er-Jahren als DAAD-Stipendiat in Berlin entwickelte, problemlos künstlerischer Zugang finden lassen. Lebensgroße Puppen, die er selbst anfertigte, stellte er verloren in den Raum. Ihre abgewetzten Koffer und nicht ganz passend sitzenden Jacketts, ihre defensive Körperhaltung sind Charakteristika, die bis heute Exilanten kennzeichnen können.
Der Titel "Hopscotch" bezeichnet ein Hüpf-Spiel, es ist auf dem Boden zwischen den Figuren aufgezeichnet. Doch statt mit "Himmel und Hölle" ist es beschriftet mit den Begriffen "Ausländerpolizei", "Wohnsituation", "Akkordarbeit", "Konsulat".
Akbar Behkalams Bilderzyklus "Berlin Kreuzberg" von 1981 zeigt Protest-Situationen, Menschenmengen, in denen das Individuum verschwindet. Als Reaktion auf Wohnungsnot und soziale Missstände besetzten aktivistische Gruppen damals leer stehende und baufällige Häuser. Für eingewanderte Bewohnerinnen und Bewohner West-Berlins war die Situation besonders schwierig. Die Polizei führte Räumungen durch, eine 1975 eingeführte Zuzugssperre untersagte, Wohnungen in Vierteln wie Kreuzberg, Tiergarten oder Wedding zu beziehen.
Arbeit als Klassenfrage
Protestbewegungen und politische Umbruchsituationen sind wiederkehrende Bildgegenstände in der Arbeit von Akbar Behkalam, der als Angehöriger der aserbaidschanischen Minderheit in Iran aufgewachsen war und 1976 vor der Bedrohung durch das Regime des persischen Schahs floh.
Eine andere Ausstellung im Berliner NGbK weitete den Begriff "Gastarbeiter" auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Kulturbetrieb. Die Ausstellung "Gastarbeiter 2.0 – Arbeit means Rad" (rad ist der bosnische, serbische, montenegrinische und kroatische Begriff für den Broterwerb) betrachtete die Themen Arbeit, Migration und Alltag als Klassenfrage. Die Schau vereinte die Perspektive von Künstlerinnen, Arbeitern und Migrantinnen - und stellte so heutige Produktionsbedingungen auf den Prüfstand.
Ob die Erweiterung des Begriffs "Gastarbeiter" auf die Kulturszene produktiv ist? Interessanter wird vielleicht, was aus der Beschäftigung mit diesem unterrepräsentierten Kapitel deutscher Kunstgeschichte noch werden kann. Die meisten der Künstlerinnen aus "There is no There There" im MMK, viele von ihnen waren bereits verstorben, hatten ihre Kunst noch nie in einem Museum gezeigt. Dass ihre Namen, ihre Werke in einem der renommiertesten Ausstellungshäuser gezeigt wurden, ist ein guter Anfang.
Strukturen der Marginalisierung
Was die folgenden Generationen junger Künstlerinnen und Künstler aus den kollektiven Erfahrungen und den im Einzelnen trotzdem ganz unterschiedlichen Geschichten ihrer Familien machen und wie sie die Erzählung in die Gegenwart holen, war 2024 in mehreren Ausstellungen zu sehen. "Echos der Bruderländer" im Berliner HKW beschäftigte sich mit der Migration aus sozialistischen Bruderländern, darunter Vietnam, Algerien oder Kuba, in die DDR.
Die Ausstellung erzählte von Solidarität einerseits, andererseits von Ausgrenzung und Zwängen, denen die Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter ausgesetzt waren. Von der Verpflichtung, Schwangerschaften abzubrechen, erzählt Minh Duc Pham, 1991 im Erzgebirge geboren. Auch seinen Eltern war es verboten, Kinder zu bekommen, wenn sie in der DDR bleiben wollten. Ein leise plätschernder Zimmerspringbrunnen mit der Porzellanfigur eines Babys erinnert an diesen Traum, der aufgegeben wurde, um die Existenz in Deutschland zu sichern.
In der Galerie Tanja Wagner war zum Gallery Weekend in Berlin eine Einzelausstellung von Pınar Öğrenci zu sehen, die zur Gastarbeitergeschichte des Ruhrgebiets recherchierte - und dabei feststellen musste, dass in den Archiven fast ausschließlich die Geschichte der weißen deutschen Arbeiter erzählt wird. Finanziert waren diese selektiven Erinnerungs-Bausteine häufig von den Konzernen selbst. In Filmen und Collagen ergänzte sie in ihrer Ausstellung "Glück auf in Deutschland" das Bild, gestützt von Oral History. Sie fand Strukturen der Marginalisierung in der deutschen Industriegeschichte, die bis in die Gegenwart reichen.
Die Geschichte vervollständigen
Welche Erinnerungen sind es der Gesellschaft wert, erhalten zu werden? Im Erzählen und Zeigen dazu beizutragen, die Geschichte zu vervollständigen, wurde im Jahr 2024 als Auftrag in der Kunst sehr ernst genommen. Was davon verankert wird, ist auch von Initiativen wie dieser abhängig: Anfang 2025 wird über den Entwurf für ein "Denkmal für Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter" in Dortmund entschieden.
Mit dem Kunstwerk im öffentlichen Raum sollen die kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leistungen von Menschen gewürdigt werden, die "im Zuge von Anwerbeabkommen kamen, um hier zu leben und zu arbeiten". Der Aufruf endet am 10. Januar, er richtet sich an professionelle Künstlerinnen und Künstler. In der Ausschreibung heißt es: "Örtliche Begrenzung: keine."