Richard Artschwager verwirrte Wahrheitssucher und Kunstgeschichtler mit skeptischen Werken. Jetzt ist der Amerikaner mit 89 Jahren gestorben.
Einfach war es nie, ihn einzusortieren in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts: Ist das nun Pop-, Minimal oder gar Concept-Art? Richard Artschwager hat seine Skulpturen mit gemaserten Schichtstoffplatten verkleidet, und überhaupt ist das Verkleiden seine künstlerische Strategie. „Was ist Identität und Persönlichkeit, und wie funktioniert ihre bildnerische Repräsentation?“ fragt er mit seinen Arbeiten.
Auch sonst ist der Bildhauer, Zeichner, Maler, der schon als Soldat, Spion, Tischler, Wissenschaftler, Elektriker und Babyfotograf gearbeitet hat, strengen Festlegungen aus dem Weg gegangen. So gut es eben ging.
Der Künstler wurde 1923 als Sohn deutsch-russischer Einwanderer in Washington geboren, mit acht Jahren ging er ein Jahr lang in München zur Schule. In New Mexico verbrachte er die meiste Zeit seiner Kindheit.
Mit guten Deutschkenntnissen meldete er sich 1942 freiwillig zum Einsatz in Europa, betätigte sich erst als Artillerist, dann arbeitete er für den Militärnachrichtendienst. Nach dem Krieg lebte er in Wien, dort lernte er auch seine spätere Frau Elfriede kennen, die ihn überzeugte, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen.
Zu Beginn arbeitete Artschwager nebenher als Künstler, während er sein Geld seit 1953 als Tischler im eigenen Betrieb verdiente. 1958 brannte die Werkstatt ab. Das sei wie ein zweiter Hinweis gewesen, es mit der Kunst ernst zu nehmen, sagte er später. 1959 hatte er seine erste, kleine Galerieausstellung, sechs Jahre später präsentierte ihn der immer neugierige Leo Castelli, der schon Jasper Johns und Robert Rauschenberg groß herausgebracht hatte.
Das Verhältnis von Bild und Bildträger
Anfang der sechziger Jahre zeichnete Artschwager aus dem Immobilienteil der Zeitung Häuser ab. Diese Zeichnungen übertrug er mit Acryl auf „Celotex“, das ist der Markenname für eine Spanplatte aus Zuckerrohrfasern. Die raue Struktur des „Celotex“ entsprach in einem anderen Maßstab derjenigen des Papiers. Das Resultat verblüfft: Der Verfremdungseffekt gibt den Häusern etwas Unheimliches, etwas Surreales.
„Celotex“ wurde neben „Formica“ der wichtigste Rohstoff für Richard Artschwager. Er malte darauf Mörder, Terroristen, Präsidenten, es ist, als hätte Artschwager ihre Persönlichkeiten noch einmal in ein anderes, völlig unbekanntes Medium gebracht, in dem sie ihr „wahres“ Wesen endgültig dem Betrachter verschließen.
Das Verhältnis von Bild und Bildträger, von Vorstellung und dem materiellen Auslöser der Vorstellung, von Zwei- und Dreidimensionalität: Das interessierte Richard Artschwager. Deshalb bewegt sich seine Kunst zwischen Malerei und Skulptur: Malerei auf dem haptischen „Celotex“, Möbel, mit Maserung bemalt, Malerei, die mit „Formica“ beklebt ist, ein Werkstoff, der in Deutschland unter dem Markennamen "Resopal" bekannt ist.
Berühmt wurden auch seine „Blps“: Der Künstler wollte Schrift in den Raum holen und fing bei ihrem kleinsten Element an, dem Punkt - vergrößert auf die Wand gemalt oder als Holzstück aufgehängt, in die Länge gezogen und in den Raum geholt, verwandelte sich Schriftbild zum Bild.
Die frühe Arbeit „Portrait I“ (1962), die sich in der Sammlung Kasper Königs, Direktor des Kölner Museum Ludwig befindet, stößt den Betrachter mit der Nase auf das Grunddilemma Artschwagers: Da steht ein Männerporträt, gemalt auf „Celotex“, auf einer Kommode, die wiederum mit Pseudomaserung verziert ist. Das Bild wird als Objekt erkennbar, das Möbel als Bild. Kasper König, der Richard Artschwager kennenlernte, als dieser noch als Tischler arbeitete, entdeckte in dieser Arbeit den Witz des Künstlers: „Es ist dieses Kombinieren und Verschränken von unterschiedlichen Materialien, Techniken und künstlerischen Mitteln, das ist etwas, das als Momentum in den unterschiedlichsten Werkgruppen von Artschwager immer wieder aufkommt. Sagen wir mal, es ist so wie bei großen Komikern – vielleicht wie bei dem Größten für mich, Buster Keaton. Es gibt immer wieder ein Momentum, das könnte nur Buster Keaton bringen, und dennoch ist es absolut allgemeingültig.“
Häufig waren seine Arbeiten in Deutschland zu sehen
Im selben Jahr, in dem auch „Portrait I“ entstand, baute Richard Artschwager „Handle“: ein Griff, ein zu einem Rechteck gebogenes Rohr, das an der Wand befestigt ist, aber von ihr absteht. Ein Rätsel. Die Arbeit zitiert sich selbst als reine Repräsentation, denn sie ist zugleich ein Bild, ein Rahmen und ein funktionaler Gegenstand. „Widersprüche sind kein Problem“, sagte Richard Artschwager einmal bei einem Hausbesuch von Monopol, „denn wir haben es mit bildender Kunst zu tun und nicht mit Sprache.“ Das sei das Schöne an Kunst: Anstatt sich gegenseitig auszulöschen, fütterten sich die Widersprüche.
In Deutschland, dem Land seines Vaters, war Artschwagers Arbeit häufig zu sehen, darunter drei Mal auf der Documenta (1968, 1982 und 1992), 2005 erhielt er den Wolfgang-Hahn-Preis von der Gesellschaft für Moderne Kunst am Kölner Museum Ludwig. Erst vor einer Woche ging eine umfassende Retrospektive im New Yorker Whitney Museum zu Ende (unsere Review von Jerry Saltz). Am Samstag ist Richard Artschwager im Alter von 89 Jahren gestorben.