Der französische Maler Paul Gauguin zählt zu den Wegbereitern der Moderne. Auf der Südseeinsel Tahiti entstanden zwischen 1891 und 1901 seine berühmtesten Gemälde. Wer sie heute ausstellt, kommt um das Thema Kolonialismus kaum herum. Die von der Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen konzipierte Ausstellung "Paul Gauguin – Why Are You Angry?" ist jetzt in der Alten Nationalgalerie Berlin zu sehen. Gauguins Südseeträume werden mit Werken zeitgenössischer Künstlerinnen aus dem Pazifik konfrontiert.
Mit dem quasi-ethnografischen Film "Why Are You Angry?" (2017) von Rosalind Nashashibi und Lucy Skaer sind aber auch zwei britische Künstlerinnen vertreten. Für ihren Film reisten Nashashibi und Skaer 2015 nach Tahiti und ließen indigene Frauen bestimmte Posen auf Gauguin-Gemälden einnehmen. Für Momente opponieren die Modelle gegen die Choreografie, wenn etwa eine Darstellerin trotzig in die Kamera zurückblickt. Das Gespräch mit den Künstlerinnen über ihren Film, seine Halbwertszeit und das Machtgefälle zwischen den Kulturen wurde via E-Mail geführt.
Rosalind Nashashibi und Lucy Skaer, was hat Sie auf das Filmprojekt "Why Are You Angry?" gebracht?
2010 haben wir die Ausstellung "Gauguin: Maker of Myth" in der Tate Modern in London gesehen, das war ein wichtiger Impuls. Im Vordergrund der Ausstellung stand die Frage, wie Gauguin seine Identität und seinen Blickwinkel konstruierte. Es war sicherlich ein kolonialer Blick, aber Gauguin hat durchaus vorherrschende Annahmen und Hierarchien in Frage gestellt. Seine Bilder zeigen eine unruhige Beziehung zwischen Künstler und Subjekt. Die von ihm gemalten Frauen wirken ambivalent, man muss sich im Kontrast dazu einmal die Tahiti-Bilder von Henri Matisse anschauen. Später, als wir die Idee hatten, einen Film zu diesem Thema zu machen, haben wir uns dann auf bestimmte Bilder konzentriert. Besonders interessierte uns die Zweideutigkeit im Titel von "Why Are You Angry?". Wer spricht da eigentlich?
Das von Gauguin während seines zweiten Tahiti-Aufenthalts gemalte Bild zeigt eine dörfliche Szene. Um eine Schar Hühner sind sieben Frauen gruppiert, die aber nicht ärgerlich wirken, eher apathisch. Wie so oft bei Gauguin ist der Originaltitel tahitianisch: "No te aha oe riri". Dabei beherrschte er die Sprache gar nicht so gut.
Genau diese Fremdheit interessierte uns. Wir hatten das Gefühl, dass Gauguin die Frauen fragen könnte: "Warum bist du böse?" Er kann sich mit ihnen nicht wirklich verständigen.
Wie lange haben Sie auf Tahiti gedreht? Wie kamen die Kontakte zu den Akteurinnen zustande?
Die Dreharbeiten dauerten insgesamt neun Tage. Wir wären zwar gerne länger geblieben, aber unser Budget war klein und wir hatten auch andere Verpflichtungen. Wir arbeiteten mit dem Museum von Tahiti zusammen, und durch die Mitarbeiter dort lernten wir eine Familie kennen, die in einem der Tableaus zu sehen ist. Wir haben auch Frauen unterwegs kennengelernt. Vieles im Film war nicht genau geplant, hat sich einfach so ergeben.
Es gibt einen auffälligen Wechsel zwischen Farbfilm und körnigem Schwarz-Weiß-Material. Was waren die Überlegungen dahinter?
Mit diesem Materialwechsel deuten wir die möglichen Versionen der Darstellung und die ihnen innewohnenden Lesarten an. Wir wollten den konstruierten Charakter des Films betonen, anstatt ihn als Fenster zur Welt zu definieren. Es sind sind immer unterschiedliche Darstellungsweisen möglich, die jeweils einen bestimmten Kontext mit sich führen.
Warum hören wir die Stimmen der Stimmen der Tahitianierinnen nicht?
Wir haben überhaupt keinen Synchronton verwendet. Das ist auf 16-mm-Film gedreht, da wird der Ton immer separat aufgenommen. Aber unsere Bolex-Kamera war so laut, dass wir den Originalton lieber separat aufgenommen haben. Das sind aber nur Geräusche. Für uns ist die Stimme hier ohnehin kein wichtiger Teil der Handlung. Es geht um die Bilder. Das haben wir noch dadurch unterstrichen, dass während der Rekonstruktionen von Gauguins Bildkompositionen auf der Tonspur völlige Stille herrscht.
Die von den Philippinen stammende Wissenschaftlerin Thea Quiray Tagle schreibt im Katalog über Ihren Film, dass er "das unangenehme Machtgefälle zwischen den Künstlerinnen (weiße europäische Frauen) und ihren Subjekten, den Ma’ohi-Frauen aus Tahiti, verstärkt". Einspruch?
Nein, sie hat recht. Die entsprechenden Tableaus im Film verstärken das Unbehagen an der Darstellung von Frauen. Die Betrachtenden werden gezwungen, sich der Realität zu stellen. In der Zeit, in der unser Film entstand, haben wir darüber diskutiert, wie wir die Bilder so kontextualisieren könnten, dass die Machtdynamik entschärft würde. Aber wir fanden es dann falsch, auf diese Weise koloniale Machtverhältnisse zu entschuldigen oder zu verstecken. Es gab natürlich auch die Option, den Film gar nicht zu machen. Wir fanden allerdings nicht, dass unsere Bilder ausbeuterisch waren, waren vielmehr der Ansicht, dass wir mit Einfühlungsvermögen in die Situationen gegangen waren. Wir wollten, dass der Film die Ausbeutung der Frauen, die Gauguin gemalt und wir gefilmt haben, aufdeckt und ihr entgegentritt. Wir wollten, dass der Film unbequem ist und von den Zuschauern beurteilt werden muss. Doch wir können uns nicht dem Vorwurf entziehen, dass wir gar nicht erst hätten filmen sollen.
Die letzte Einstellung zeigt spielende Kinder am Meer. Ein Bild, das fast zu schön ist, um wahr zu sein. Eine Apotheose der Unschuld. Die ausgesprochen malerischen Farbtöne, das Türkis, Hellgrün, Rosa und Orange, wirken übersättigt, manipuliert.
Die Bilder im ganzen Film sind manipuliert, jede Szene, jedes Bild darin ist farblich abgestuft. Das letzte Filmbild zeigt ein Kind, das einen Pfeil auf die Kamera richtet. Wir fanden: ein passendes Bild für den Schluss, da es die Anwesenheit unserer Kamera signalisiert.
"Why are you angry?" wurde ja 2017 auf der Documenta gezeigt. Damals in Athen verpuffte die Wirkung ziemlich, würde ich retrospektiv sagen. Jetzt, zusammen mit Gauguin-Gemälden – oder auch im Kontext einer intensiveren Beschäftigung mit dem Künstler und dem Kolonialismus – wirkt der Film viel intensiver, auch unangenehmer. Wie sehen Sie ihren Film heute?
Unsere Arbeit bewegt sich auf einem schmalen Grat. Sie geht bewusst auf das Problem der Repräsentation und auf das umfassendere Problem der kolonialen Beziehungen zu – und beharrt auf Aktualität. Damit sind wir ausdrücklich in diese Dynamik verwickelt, wir sind ein Teil davon. Wir glauben nicht, dass wir das Werk so heute machen würden. Insofern ist es bereits jetzt aus der Zeit gefallen. Die Frage ist heute schwer zu beantworten: Können wir oder können wir nicht – eine Machtdynamik darstellen, die unbequem ist.
Sie haben vorhin angedeutet, dass Gauguins Bilder sich nicht völlig absetzen von der (kolonialen) Wirklichkeit des damaligen Tahiti, Stichwort: Ambivalenz der Figuren. Gibt es überhaupt Aspekte, die sie an Gauguin als Maler schätzen können.
Wir sind nicht daran interessiert, Gauguin als Person zu entschuldigen, der in missbräuchlichen Beziehungen zu einigen der Frauen und Familien stand, denen er begegnete. Die Gemälde sind Objekte, die man in vielerlei Hinsicht lesen kann, als Beweis für seine Verbrechen oder als Manifestation seines Ringens um eine Darstellung, seiner Obsessionen, seiner Isolation, seiner Machtstellung. Wir sind sehr an den Gemälden interessiert, was formale Aspekte und ihre Konstruktion angeht. Und wir finden spannend, was die Bilder – sei es bewusst oder unbeabsichtigt – festhalten.
Um Gauguin und die Spuren des Kolonialismus in seinem Werk geht es auch in der aktuellen Folge des Monopol-Podcasts "Kunst und Leben" mit Detektor FM, hier zum Nachhören: