Schönheits-OP oder Kunst?

Was will The Weeknd mit seinem neuen Gesicht?

Ergebnis einer extremen OP oder künstlerische Inszenierung? Das Gesicht von The Weeknd erscheint plötzlich stark verändert. Der Sänger scheint damit auch auf Widersprüche in der Verehrung (schwarzer) Popstars aufmerksam zu machen

Wie oft schon wurde The Weeknd mit Michael Jackson verglichen: diese hohe, klare Stimme, die Geschmeidigkeit der Bewegungen, die ganze Haltung des einsamen, an romantischer Sehnsucht leidenden Starboys. Jetzt hat der Musiker noch eine markante Parallele zu seinem Idol hinzugefügt: Auch der Kanadier hat – scheinbar – sein Gesicht durch operative Eingriffe drastisch verändert. 

Am Dienstag präsentierte The Weeknd das neue Video zur Single "Save Your Tears" – und sieht darin seltsam aus: hohe, bizarr hervorstehende Wangenknochen, offenbar geliftete Lider, das ganze Gesicht ins Fratzenhafte gestrafft, die Lippen aufgepumpt. Am Mittwoch dann postete der Sänger ein Selfie bei Instagram. Die Reaktionen darauf: Entsetzen und Spott.


Der englische Autor Jason Cowley bezeichnete Michael Jacksons sich nach und nach verändernde Gesichtszüge einmal als "den längsten Abschiedsbrief, den je ein Selbstmörder geschrieben hat". Schlägt der 30-jährige Abel Makkonen Tesfaye, wie The Weeknd mit bürgerlichem Namen heißt, den gleichen Weg ein? 

Doch The Weeknds neues Gesicht ist nicht – wie mutmaßlich bei Michael Jackson – Ausdruck eines fortlaufenden Dramas der Entfremdung, sondern Teil einer ausdauernden Inszenierung. Eine Karikatur. Schon auf dem Cover des jüngsten Albums "After Hours", das er vergangenen Frühjahr veröffentlichte, ist der Sänger mit blutendem Gesicht zu sehen: eine Platzwunde über der Nase, eine an der Schläfe, rote Flüssigkeit läuft aus dem Mund. 

Von da an zeigt sich The Weeknd über das Jahr hinweg in verschiedenen Zuständen fröhlicher Derangiertheit im Angesicht von Exzess und Glamour: Im Video zu seinem Megahit "Blinding Lights" (Platz eins der deutschen Jahrescharts 2020! 330 Millionen Aufrufe bei Youtube!) blutet er ungehemmt aus denselben Wunden an Schläfe, Nase und Mund, bei einem Auftritt in der Late-Night-Show "Jimmy Kimmel Live" sehen wir ihn wieder mit der Schläfenwunde und Nasenbandage, ebenso bei seiner Performance im August bei den MTV Video Music Awards. Zu Halloween geht er als als Eddie Murphy in der Rolle des "verrückten Professors".


Den vorläufigen Höhepunkt erreicht diese Inszenierung Ende November, als The Weeknd mit komplett bandagiertem Kopf den Preis für das beliebteste Soul/R&B-Album bei den American Music Awards im Microsoft Theater in Los Angeles entgegennimmt und dort auch "Save Your Tears" aufführt. Von seinem Gesicht sind außer dem Mund jetzt nur noch seine Augen zu sehen, blutunterlaufen und von Veilchen gerahmt. Eine Mumie trällert ihren Hit, ein Wiedergänger nicht allein mehr von Michael Jackson (der sich ja selbst schon im berühmten Thriller-Video als Zombie inszenierte), sondern allerhand anderer Figuren der Pop- und Filmgeschichte: von Humphrey Bogart etwa in "Dark Passage", H.G Wells' "Invisible Man" oder eben "The Mummy". 

Blut, Schwellungen, Verletzungen: The Weeknd hat jetzt, zum Start des neuen Jahres, die Bandagen entfernt, und sein unheimliches Gesicht wirkt wie das Ergebnis der Verwundungen des letzten Jahres: wie zur Faust geballt, mit Dellen und Verformungen. Zugleich ist es die ultimative Maske: In "Save Your Tears" ist sein Publikum ebenfalls maskiert, regungslos wartet es auf das Scheitern des Künstlers. The Weeknd steigt auf Tische und versucht, etwas Leben in diese kalte Gesellschaft zu bringen. Am Ende hält er sich auf der Bühne eine Pistole an die Schläfe – peng! Jetzt geht doch ein unterdrückter Aufschrei durch die Menge – aber es kommt nur Konfetti aus der Waffe. 

So ähnlich muss man sich die Vorgehensweise des Pranksters The Weeknd vorstellen. Am Ende sind es dann doch nur ein Haufen Make-up und Gesichtsprothesen und kein chirurgischer Eingriff, der sein Gesicht so unheimlich veränderte. Die Firma Prosthetic Renaissance, die auch für einige von Heidi Klums spektakulären Halloween-Kostümen zuständig war, hat am Mittwoch die Maske bei Instagram gepostet: 


In diesem Finale der Langzeitperformance und ihrer engen Verknüpfung von fiktiver Figur und Performer schwingt eine deutliche Anlehnung an die Konzeptkunst mit. Die französische Künstlerin Orlan, geboren 1947, machte (real ausgeführte) Schönheits-OPs und Implantante zu ihrem Stilmittel und verwandelte sich nach und nach in eine Skulptur. Damit thematisierte sie das absurde Verlangen nach physischer Perfektion in der modernen Medienwelt und unterlief diese Erwartung gleichzeitig durch ihre immer extremeren Modellierungen. Wer sich operieren lässt, kann die Natur nicht akzeptieren, heißt ein gängiges Vorurteil. Orlan führt Krieg gegen diese sogenannte Natur und empfindet die Annäherung ans Maschinenhafte als Befreiung. Inzwischen spielt diese Verbindung zwischen Chirurgie und dem Transhumanen auch bei jüngeren Künstlerinnen und Künstlern eine Rolle.

Bei The Weeknd fehlt nun die letzte physische Konsequenz, denn die Maske kann abgenommen werden. Jedoch lassen sich ebenfalls Verweise auf die gegenwärtige Mensch-Maschine-Verschmelzung erkennen. Er nutzt nicht nur das abgedroschene Klischee von der Einsamkeit des Entertainers, sondern auch den Diskurs zum Fremdsein des Schwarzen Körpers in einer Gesellschaft. Die Verachtung, die das selbstbestimmte Spiel mit race und gender auf sich zieht, ließ sich bei Michael Jackson bis zum bitteren Ende verfolgen: Dessen Leben wurde am Ende nur noch als bittere Freakshow wahrgenommen.

Das Starsystem fordert zwar Glamour, aber eben auch Authentizität. Während bei Instagram alle ihre digitalen Filter über ihr Gesicht ziehen, bleiben allzu markante Schönheitsoperationen verpönt. Um auf all diese Widersprüche aufmerksam zu machen, hat sich das neue Gesicht von The Weeknd doch gelohnt.