Die besprayten Postautos sah man dieses Jahr überall. Auf den meisten standen die Graffiti-Namen Moses und Taps. Das "Hamburger Abendblatt" zitierte den DHL-Sprecher Stefan Laetsch, dass insgesamt 450 Fahrzeuge ihrer Flotte in der Metropolregion Hamburg beschmiert wurden. Aber auch in Berlin fuhren sie durch die Straßen. Etwas später erscheint ein 320-seitiger Bildband: "Post Graffiti – simply delivered". Erhältlich auch im Internetshop von Moses und Taps. Mit Fotografien der besprayten Transporter und der DHL-Depots, in denen bei Nacht illegal eingestiegen und gemalt wurde. Was hat es damit auf sich? Wie soll man das Post-Graffiti deuten?
Der Begriff "Postmoderne" wurde in der Kunstgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts diskutiert. In ihr steckt vor allem eine Kritik an der Moderne, die als elitär und totalitär reflektiert wurde. Statt einem linearen Fortschrittsglauben, Zukunftsutopie und der ästhetischen und politischen Hoheit bestimmter moderner Bewegungen zu gehorchen, definiert sich die Postmoderne durch Pluralität. Diversität sollte den Fortschrittszwang ersetzen. So ermöglichte die Postmoderne auch, dass breitere Einflüsse einbezogen und Kunstgattungen sowie Werkbegriffe immer fluider und offener wurden. Auch Graffiti und die vandalischen Zeichen der Straße verarbeiteten die bildenden Künstler neugierig und produktiv. Zu ihnen zählen Keith Haring, Jean-Michel Basquiat, Christopher Wool, aktuell Anne Imhof oder Takashi Murakimi.
Graffiti gab der offiziellen und etablierten Kunstwelt viel, bekam aber kaum etwas zurück. Zeit für die Sprayer diese einseitige Lieferkette zu brechen und für sich selbst eine Nach-Ära, also ein Post-Graffiti auszurufen? Bedient Graffiti jetzt nur noch sich selbst? Oder lieber die Menschen, die keine Künstler sind, sondern nur auf ihre Pakete warten? Ist das Post-Graffiti also eine Kritik an der vorherigen Misslage zwischen der Graffiti-Subkultur und einer elitären, hochpreisigen Kunstblase?
Eine effiziente Graffiti-Großproduktion
Oder ist Post-Graffiti eine Satire auf die methodische Kunstgeschichtsschreibung? Denn die "Post-Theorien" stehen nicht still. So wurden immer weitere Post-Bewegungen ins Leben gerufen, wie auch das Post-Graffiti oder der Post-Vandalismus. Vielen geht das zu weit – oder zu schnell. Sie unterstellen diesen Begriffen, dass ihre Anhänger sich durch einen neuen Namen wichtig machen wollen, aber tatsächlichen wenig Mehrwert und keinen Umbruch markieren. Der Soziologe Niklas Luhmann sprach in diesem Zusammenhang von "intellektuellen Schrotthandel", der "seine Bedarfsartikel nur noch durch die Firmennamen 'Neo' und 'Post' unterscheidet. Man kann in dieser Form zum Beispiel über die 'postindustrielle' Gesellschaft reden, obwohl ganz offensichtlich industrielle Produktion nach wie vor existiert und sogar mehr als zuvor unentbehrlich ist."
Moses und Taps Post-Graffiti ist natürlich auch eine ironische Antwort auf all diese Termini und die Diskussionen um sie. Gerade, weil ihre Post-Graffiti im klassischen Stil gemalt wurden und absichtlich keine Innovation darstellen. Wendete sich die Postmoderne gerne von der abstrakten Malerei ab, ja stellte sogar ein (vorläufiges) Ende des abstrakten Expressionismus dar, schreiben auch Moses und Taps wieder leserlich und klar ihre Namen auf die Oberflächen. Ganz ohne Abstraktion.
Wortwörtlich handelt es sich um Graffiti der Post, also um illegale Buchstabenmalerei auf ihren Fahrzeugen. Beeindruckend sind die Fotografien aus den Fuhrparks, also dort wo regional immer eine große Anzahl der Transporter abgestellt werden. Praktisch für Moses und Taps. Es scheint gar so, als ständen sie alle dort in Reih und Glied, um den Malern ihre Arbeit zu erleichtern. Ja, um eine effiziente Großproduktion zu ermöglichen.
Guerilla-Marketing – aber für wen?
Die Boulevard-Presse bezeichnete das ganze, was für eine Überraschung, als Angriff und Attacke. "Gegenstände werden vermenschlicht", stellt das Buch "Post Graffiti" in der Einleitung fest. Dabei spiele es für die Lieferung und den Kunden überhaupt keine Rolle, ob ein Paket von einem gelb lackierten oder einem bunt besprühten Fahrzeug ausgeliefert würde. "Es ist fast schon erschreckend, in was für einen harmlosen, nicht mystifizierenden, nicht zerstörenden Kontext Graffiti gerät, fast zu freundlich", steht im Buch.
Ist Post-Graffiti also zu nett? In Anbetracht all den Fotos, die auf Social Media von den Postautos kursierten, vielleicht sogar zu nah dran an einem Guerilla-Marketing für DHL? Schließlich zeichnete sich auch die Post-Moderne dadurch aus, dass Grenzen zwischen Kunst und Werbung verwischten.
Die Pressesprecher der DHL Group gab folgende Antwort: "Das Einzige, was wir dazu sagen, ist, dass das Besprühen unserer Fahrzeuge mit Graffiti Sachbeschädigung ist und die Entfernung aufwändig und teuer. Wir bringen jeden Vorfall zur Anzeige und arbeiten eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Auch wenn diese 'Aktion' ein großer Hit auf Social Media war, ändert das an unserer Haltung nichts."
Oder handelt es sich umgekehrt um ein originelles Guerilla-Marketing für Moses und Taps?
Straßen-Laufsteg-Fame für die Arbeiterklasse
Für die Fahrer dürfte es eine gelungene Abwechslung gewesen sein, ein hoffentlich positives Erlebnis, wie ihre Fahrzeuge zum beliebten Fotomodell wurden. Wird hier also weniger der Marke DHL, sondern der Arbeiterklasse, die an der Tür ihrer Kunden nicht nur mit Freundlichkeit empfangen wird, ein bisschen Straßen-Laufsteg-Fame geschenkt? Verdient hätten sie es. Geht es in der Intervention von Moses und Taps also weniger um die einzelnen Bilder, sondern um eine Veränderung im realen Leben, genauer gesagt um das Aufeinandertreffen von Fahrern und Fotografen und Fans?
Post-Graffiti könnte vieles sein. Viele Fragen aufwerfen. Aber vielleicht sind es auch nur illegal gesprühte Namen auf gelben Fahrzeugen. Graffiti eben, wie es schon immer war. Als in den 1970er-Jahren die Züge in New York mit den bunten Graffiti fuhren, war ihre Interpretation ebenfalls mehrdeutig, kreativ, hoch divers, umstritten, beflügelnd. Viele verschiedene Perspektiven, von den Kunsthistorikern, den Fotografen, der Musikszene, der Mode, der bildenden Künstler, der Dokumentarfilmer, der Polizei, der Bürgermeister, der Bürger, der Armen, der Verspielten. Jeder sah etwas anderes im Graffiti, in den illegal gemalten Buchstabenbildern.
Wahrscheinlich wird das auch immer so bleiben. Egal, wie viele "Post" man noch vor das Wort Graffiti stellt. Oder in Moses und Taps Bildersprache: Egal, wie viele Postautos damit noch herumfahren.