2020 war ein Jahr, das die Liebe auf die Probe stellte. Familien und Ehen zerbrachen an unausweichlichen Konfrontationen im Lockdown, Scheidungsraten schossen in die Höhen und die Menschen begriffen, dass Nächstenliebe sich nicht darin ergießt, applaudierend am Fenster zu stehen. All diesen Geschichten des Scheiterns zum Trotz bestanden zum weihnachtlichen Fest der Liebe alle darauf, wieder im Kreis ihrer Familie verbringen zu können. Liebe war, ist und bleibt das meist umschriebene und gleichzeitig am wenigsten erklärbare Phänomen der Menschheit.
Das ewige Anziehen und Abstoßen, euphorischer Auftrieb und schmerzhafter Niedergang – diese Ambivalenzen finden sich ebenso in der Kunst wieder. Besonders in einer Gegenwart, in der kaum noch Zeit für gegenseitige Aufmerksamkeit existiert, weswegen tragfähige Beziehungen, Anregungen, Bestätigung und Unterstützung nötiger denn je sind. In einem Künstlergespräch beschrieb der isländische Künstler Ragnar Kjartansson seine performative Installation "The Fall" mit den Worten "Expectation, Release, Disappointment" (deutsch: Erwartung, Befreiung, Enttäuschung) und fügte unverblümt hinzu: "It’s a little bit like love."
Für manche mag diese Sinnesverwandtschaft naheliegen, immerhin entziehen sich Liebe und Kunst gleichermaßen eines rein logischen Zugangs und erschließen sich durch nicht artikulierbare Eindrücke, Erfahrungen und Empfindungen. In welch beispielhaften Beziehungsmodellen diese Parallelen resultieren können, führt die Autorin Barbara von Bechtolsheim in "Beziehungskünstler. Wie kreative Paare die Liebe meistern" ihren Leserinnen und Lesern vor Augen.
Sinnstiftend recherchiert
Unpathetisch und gleichsam spannend erzählt sie die Geschichten prominenter Paare, die sich in und durch ihre Liebe und Kunst einander näherten und beeinflussten. Mit Rückgriff auf psychologische, philosophische und soziologische Texte von Eva Illouz, Erich Fromm und Niklas Luhmann leitet von Bechtolsheim zu diesem tendenziös kitsch-behafteten Thema hin und zu einer bekömmlichen Mischung aus Biografie, Sachliteratur und essayistischer Kunstgeschichte über.
Dabei sind die Liebes- und Lebensgeschichten von Paaren wie Anni und Josef Albers oder Lee Krasner und Jackson Pollock nicht sinnentleerend aneinandergereiht. Von Bechtolsheim hat mehr als zehn Jahre zu den deutschen und amerikanischen Künstlerfiguren recherchiert, hat ihre Texte gelesen, Geburts- und Lebensorte bereist, Konzerte gehört und Ausstellungen besucht. Diese durchdringende Auseinandersetzung wird in der literarischen Aufarbeitung sichtbar: Die nachvollziehbare Struktur des Buches ordnet die Künstlerpaare bestimmten Modellen zu, ohne sie in stigmatisierende Beziehungsschubladen zu stecken. So versammelt das Kapitel "Projekte" Paare wie Joan Baez und Bob Dylan oder Ilse Aichinger und Günter Eich, die trotz ihrer charakteristischen Unterschiede durch die Verfolgung eines gemeinsamen (höheren) Ziels voneinander lernten und miteinander wuchsen: "Günter Eich arbeitete sehr diszipliniert, gemächlich, er brauchte eine klare Tagesstruktur, während Ilse Aichinger bevorzugt in der Küche schrieb, Notizen auf Zetteln festhielt und dabei Schlager hörte."
Das Kapitel "Wir" hingegen verarbeitet Paarkonstellationen, die die gemeinsame Arbeit an der Beziehung selbst zu ihrem künstlerischen Thema machten – allen voran Marina Abramovic und Ulay, die, wie von Bechtolsheim es beschreibt, "sich selber in den Performances als Material" einsetzten. Kunstversierte Anekdotensammler werden wissend nicken, wenn sie von der performativen Trennung auf der chinesischen Mauer im Rahmen der Arbeit "The Lovers – The Great Wall Walk" aus dem Jahr 1988 oder von der schicksalhaft inszenierten Begegnung 2010 im New Yorker Museum of Modern Art während der Arbeit "The Artist is Present" lesen. Doch die Erwähnung gebührt an dieser Stelle dem Kontext. Wie unvollständig würde sich ein Buch über Künstlerpaare anfühlen, das diese Evergreens der (Liebes-)Kunstgeschichte ausließe?
Auch den sich bekanntermaßen anziehenden "Gegensätzen" widmet sich ein weiteres Kapitel: Neo Rauch und Rosa Loy, die sich durch ihre farb- und formästhetischen Unterschiede ergänzen und beratend bei der künstlerischen Praxis zur Seite stehen, sowie Lotte Lenya und Kurt Weill, die gewissermaßen ein musikalisches Pendant, gleichzeitig einen geschlechterstereotypen Gegenentwurf darstellen. Ihre Beziehungsmodelle könnten kaum lehrreicher sein.
Ein unkonventioneller Beziehungsratgeber
Die repräsentative Auswahl aus Tagebucheinträgen, Briefwechseln und öffentlichen Dokumenten gewährt kurze und gleichzeitig intime Einblicke in das Zusammenleben dieser Beziehungskünstler. Mit ihrer formklaren Sprache zeichnet von Bechtolsheim situative Bilder, in denen sich viele der in Beziehungen lebenden Leserinnen und Leser wiederfinden werden. Ob durch Musik, Lyrik, Malerei oder Film: Liebe ist eine Sprache, die international gesprochen wird und ansteckenden Wiedererkennungswert besitzt.
Wer einen konventionellen Beziehungsratgeber erwartet, wird hier jedoch enttäuscht – belehrenden Charakter nimmt von Bechtolsheim an keiner Stelle ein. Rat für Beziehungen lässt sich dennoch ableiten – nur eben mit viel subjektiver Deutungsarbeit. Ebenso enttäuscht wird, wer sich von dieser Publikation eine umfassende Anthologie von Künstlerpaarbiografien erhofft. Schmerzlich vermisst würden Paare wie Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely, Gabriele Münter und Wassily Kandinsky oder Alicja Kwade und Gregor Hildebrandt, die genug Stoff für einen zweiten Band liefern würden. Weder das eine noch das andere dürfte je von Bechtolsheims Intention gewesen sein, fragt die Publikation von Beginn an nach dem grundsätzlichen Sinn und Zweck von Liebe per se und ordnet die unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten in die bereits erwähnten Sektionen ein.
Ein kurzweiliges Vergnügen ist "Beziehungskünstler" allemal. Der deutsche Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki brachte es in einem seiner populärsten Zitate bereits auf den Punkt: Große Literatur kenne im Grunde nur zwei Themen – die Liebe und den Tod. Obschon beides dem jeweils anderen immanent ist. Nicht umsonst steht "der kleine Tod" (la petite mort) als Bezeichnung für Orgasmuserleben im Zentrum der Erforschung von Parallelitäten zwischen Libido und Todesvorstellungen. So oder so: Viele der erwähnten Paarbeziehungen sind so ruhmreich gescheitert, wie sie glanzvoll gewachsen sind. Lernen lässt sich von den erprobten Modellen trotzdem eine Menge. Denn das Interesse an Liebe stirbt nie.