Kunst und Literatur

Was macht die Kunst, Jonathan Lethem?

Eigentlich wollte er Maler werden, heute ist er einer der profiliertesten Schriftsteller Amerikas. Die Liebe zur bildenden Kunst hat ihn dennoch nie verlassen

Herr Lethem, haben Sie vom deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg gehört, der zurücktreten musste, weil Teile seiner Dissertation abgeschrieben waren?
Nein, ist mir wohl entgangen. 

Sie sind ein leidenschaftlicher Befürworter des Plagiats – auch in der Wissenschaft?
Wissenschaftler und auch Journalisten müssen sich natürlich an das Urheberrecht halten. In der Kunst aber gibt es so wenig Neues, und es ist auch überhaupt nicht wichtig, ob etwas neu ist. Wenn Leute das Wort „originell“ benutzen, dann meinen sie lediglich, dass etwas aufregend ist. Von Bedeutung ist eben allein, wie es wirkt, und es wirkt nur in einem kulturellen Raum, niemals isoliert davon. Was zählt, sind überraschende Verbindungen zwischen existierenden Stimmungen, Gesten, Statements, ist die Wiederbelebung von Energie und Kontext … 

… der in Ihren Büchern allerdings sehr abseitig sein kann. Perkus Tooth, eine Figur aus Ihrem neuen Roman „Chronic City“, beschreiben Sie als jemand, der „die Alltagsrealität anhand eines Koordinatensystems kultureller Marginalien auf den Prüfstand stellt“. Das gilt auch für Ihre Arbeit!
Ja, ich interessiere mich für die Außenränder der Kultur. Mit Popkultur hat das nur bedingt etwas zu tun, denn vieles, was ich mag, ist überhaupt nicht populär, sondern fremdartig, exzentrisch, hermetisch. Kunst, die nie ein Publikum gefunden oder es verloren hat. Da wird es für mich interessant. 

Ihr Vater ist Maler, Sie sind früh auch mit bildender Kunst in Berührung gekommen. Welchen Eindruck hat die hinterlassen?
Das Atelier meines Vaters war ein Labor für mein eigenes Bewusstsein. Ich wollte selbst Maler oder Bildhauer werden. Ich habe Cartoons gezeichnet und Skulpturen hergestellt. Kindliches Zeug, denn ich war ja ein Kind (lacht). Auch die komplette Highschool-Zeit habe ich durchgemalt. Und ja, ich habe ein paar Sachen hingekriegt. Aber selbst wenn ich die Fähigkeiten meines Vaters gehabt hätte – ich hatte doch nie das Gefühl, mit Kunst das sagen zu können, was ich zu sagen hatte. Ich habe mich mehr für Narration, Zeit und Sprache interessiert, Dinge, denen Kunst, die an der Wand hängt, widersteht. Ich bin der Narration verfallen, bis zur Trance, und als mir das bewusst wurde, musste ich selbst Geschichten schreiben. 

Ihnen ging es demnach nicht wie der Hauptfigur Dean aus Ihrem Opus magnum „Festung der Einsamkeit“: Er bringt kaum Verständnis für die Arbeit seines Vaters Abraham auf, ein Avantgardekünstler.
Nein, Abraham macht ja auch ganz andere Kunst. Er ist ein sehr strenger Maler, arbeitet allein und langsam und mit zurückhaltenden Farben und Formen. Die Malerei meines Vaters hingegen ist überschwänglich, sehr farbenprächtig, und er hatte immer Besuch im Atelier. 

Ihr Bruder Blake ist Künstler geworden …
Ein Graffitikünstler, ein sehr bedeutender. 

Welche Kunst mögen Sie?
Da gibt es eine Menge, und ich schreibe häufig über Arbeiten befreundeter Künstler, über Fred Tomaselli etwa oder Larry Sultan, bevor er gestorben ist. Raymond Pettibon habe ich ein Skript angeboten, ein Storyboard für Zeichnungen. Ich habe ihn mir wie einen Comicbuchzeichner vorgestellt und Panels geschrieben, die er zum Leben erwecken soll. Mal sehen, was das wird. 

Auch auf Ihrer Website stellen Sie Künstlern, Musikern und Filmemachern kostenfrei einen großen Teil Ihrer Kurzgeschichten zur Verfügung. Sie meinen es ernst mit der Idee von Open Source!
Keine große Sache: Einmal aus der Hand gegeben, spielen die Leute damit. Ich bin ja auch nicht der erste Schriftsteller, der unentgeltlich Material hergibt an unabhängige Künstler und Filmemacher – auch wenn unsere Agenten uns das auszureden versuchen. Ich mache es nur deshalb auf meiner Website öffentlich und habe dem Ganzen einen Namen geben – „Promiscuous Materials Project“ –, damit diese Praxis diskutiert wird. Als Signal, dass ich auf diesen Akt des Schenkens insistiere. Ich gebe meine Sachen her, bevor jemand überhaupt danach fragt (lacht).

Ein sehr generöser Ansatz. In „Chronic City“ scheint Kunst indes am besten zur Unterhaltung vermögender Leute zu taugen. 
Das Leben in Manhattan, wie ich es im Buch beschreibe, ist geprägt von Machtspielen und Prestige. Aber die Reichen sind interessiert an dem Leben der Subkultur. Kunst wird in diesem Buch sehr ambivalent beschrieben. Da gibt es etwa den Künstler Laird Noteless, er zerstört die Stadt, er reißt ihren Grund auf, wertvolles Bauland. Noteless, der von den Wohlhabenden geliebt wird, existiert als eine Art Sinnbild des Reichtums, aber auch als dessen ultimativer Gegner. Ein Zerstörer, dem sie Zugang zum Königreich gewährt haben. Der Wurm in der Rose. 

Jonathan Lethem: „Chronic City“. Aus dem Amerikanischen von Johann Christoph Maass und Michael Zöllner, Tropen Verlag. 490 Seiten, 24,95 Euro