Es ist ein atemberaubender heist, wie man im Englischen sagen würde: Der wohl spektakulärste Kunstdiebstahl dieses Jahres. Dresdens Grünes Gewölbe wurde in den frühen Morgenstunden beraubt. Nach Meinung der Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen, Marion Ackermann, lässt sich der Wert des Diebesguts nicht beziffern. Auch über die Frage, ob es einen Zusammenhang mit dem Brand in einem Stromverteilerkasten am Terrassenufer gibt, unweit des Grünen Gewölbes also, kann bisher nur spekuliert werden. Und doch befeuert der aufsehenerregende Einbruch jetzt schon das Vorstellungsvermögen der Öffentlichkeit.
Das Grüne Gewölbe ist eine wahre Schatz- und Wunderkammer. Die 2006 rekonstruierten Räume erlauben einen Einblick in das, was die kurfürstlichen Fantasien August des Starken im frühen 18. Jahrhundert anregte. Präsentiert werden die eindrucksvollen Kleinodien – was ihnen nun womöglich zum Verhängnis wurde – auf Konsolen und Tischen statt hinter Vitrinen. Ganz so, wie es eben zu der Zeit August des Starken üblich war.
Zu den spektakulärsten Einzelstücken des Grünen Gewölbes gehört, neben dem Kirschkern mit über einhundert eingeschnitzten Gesichtern, ein 41-karätiger grüner Diamant, der zum Glück zur Zeit im New Yorker Metropolitan Museum zu sehen ist. Und allein das Hauptwerk Johann Melchior Dinglingers, das den Geburtstag von Großmogul Aureng-Zeb darstellt, besteht aus über 5000 Diamanten sowie hunderten Rubinen und Smaragden. Wer auch immer sich Zugang zu diesen Objekten verschaffte, hat womöglich Kostbarkeiten im Wert mehrerer Millionen erbeutet.
Ins Herz der Dresdner
Das macht wütend – zumal der Raub der kurfürstlichen Schätze, inzwischen Teil der Staatlichen Kunstsammlungen, sozusagen ins Herz der Dresdner trifft. Ministerpräsident Michael Kretschmer beklagte gar, das gesamte sächsische Volk sei um über Jahrhunderte hinweg geschaffene Güter betrogen worden.
Die abenteuerliche Vorgehensweise der Diebe erinnert durchaus an den Kunstraub im Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris, bei dem die Diebe kurzerhand durchs Fenster einstiegen und fünf Gemälde, darunter einen Picasso, erbeuteten. Oder an den Goldmünzen-Diebstahl im Berliner Bode-Museum. Fälle wie diese lösen regelmäßig Debatten über zu laxe und überholte Sicherheitsvorkehrungen in Museen aus.
Sollte der Brand am Stromverteilerkasten die Alarmanlage im Grünen Gewölbe betroffen haben, wäre wohl auch hier von einer fahrlässig-schlechten Sicherung der Millionenschätze auszugehen. So sollte die Empörung des sächsischen Ministerpräsidenten nicht zuletzt den Sicherheitsvorkehrungen der staatlichen Museen gelten.
Dem Auge der Öffentlichkeit entzogen
Die wohl wichtigste, im Zusammenhang mit Kunstdiebstählen dieser Größenordnung zu stellende Frage lautet wohl aber: Wer ist der Auftraggeber dieses Diebstahls? Handelte eine Diebesbande sozusagen "auf eigene Rechnung", womöglich in der Absicht, gestohlene Gegenstände aus Gold und Diamant einzuschmelzen oder zu zerschlagen, um sie unauffällig weiterverkaufen zu können? Oder leckte sich ein gieriger Kunstsammler die Finger nach (jedenfalls ideell) unbezahlbaren Kunstschätzen? Wird jemand wohl dereinst heimlich atemberaubende Vasen und kostbarste Schmuckstücke für immer in einem Tresor verschwinden lassen? Handelt es sich gar um die zynischste Art reicher Gier, die Kunstschätze der öffentlichen Hand in privaten Besitz überführt?
So betrifft der eigentliche Diebstahl nicht nur den Wert, der den Versicherern wohl einen schwarzen Tag und allerhand graue Haare bescheren dürfte. Sondern vor allem das Auge der Öffentlichkeit, dem Kostbarkeiten womöglich auf ewig entzogen wurden. Was für ein Coup, was für eine Schande!