Wenn man durch Berlin geht, sind auf den Plakaten am Straßenrand überwiegend junge attraktive motivierte Menschen zu sehen. Wenn es um Arbeit geht, sind alle glücklich und erledigen ihre Aufgabe mit einem Strahlen. Auch wenn sie für sehr wenig Geld und ohne Sicherheiten Pizza durch die Stadt fahren.
Anders am Berliner Moritzplatz. Dort schaut den Passanten gerade Melly Shum entgegen, und Melly Shum, so verkündet es das Plakat, hasst ihren Job. Das Billboard ist eine Arbeit des Künstlers Ken Lum von 1989 und wurde zum ersten Mal an einer Museumsfassade in Rotterdam gezeigt. Die trotz ihrer Arbeitsabneigung tapfer lächelnde junge Frau wuchs dem Publikum so sehr ans Herz, dass Melly Shum seit 1990 dauerhaft am Witte de With Center for Contemporary Art zu sehen ist.
Übermotiviert und unterbezahlt
Nun ist das Plakat anlässlich einer Ausstellung in der Galerie Klemm's auch in Berlin zu sehen. Und obwohl sich das Büroleben seit den späten 80er-Jahren fundamental verändert hat, gibt es noch immer genug Grund, seinen Job zu hassen. In der Kreativbranche sind die meisten überqualifiziert, aber unterbezahlt, die Startup-Szene bietet wenig Geld, dafür viele viele Arbeitsstunden und Familienersatz (und gratis Müsliriegel), und auf den Straßen sind die unterwegs, die unser neues flexibles App-Leben ermöglichen (Essens-Lieferanten, Paket-Ausfahrer, Elektroroller-Auflader).
In Zeiten, in denen kaum noch jemand sein Leben lang im selben Büro sitzt, bietet es sich an, noch einmal über Melly und ihren Hass nachzudenken. Und da ist der Moritzplatz mit seinen umliegenden Startup- und Kreativbüros sicher kein schlechter Ort, um anzufangen.