Püree auf Monet

Warum die Barberini-Aktion der "Letzten Generation" populistischer Blödsinn ist

Die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" geben sich mit ihrer Püree-Attacke auf den Monet im Museum Barberini progressiv – dabei steckt dahinter ein zutiefst reaktionäres Denken

Mein Redakteur hat gesagt, ich soll mal kürzere Texte schreiben, auch in einer Stunde könne man einen Kolumnenbeitrag hinkriegen. Also stelle ich die Uhr tick, tock, tick, tock, die Uhr läuft, für mich, für den Planeten, es ist fünf vor zwölf. Und da ist kein Platz mehr für Feinheiten oder endlose, wirre Diskurse. Also los!

Weil angeblich keine andere Form von Protest gegen die Klima-Katastrophe Wirkung zeigt, die Regierenden auf ihren Ärschen sitzen und die Bevölkerung pennt, haben Mirjam und Benjamin von der "Letzten Generation" im Museum Barberini in Potsdam mal richtig Nägel mit Köpfen gemacht. Und einen Monet, "Getreideschober" (1890), mit Kartoffelbrei bespritzt und sich davor auf dem Boden festgeklebt. Eigentlich war das ein Remix einer Aktion, bei der eine Woche vorher zwei Leute in der Londoner National Gallery Vincent van Goghs "Sonnenblumen" (1888) mit Tomatensuppe vollsuppten. In Potsdam rief also die Miri, mit getragener Stimme, als hätte sie einen Monolog auf der Bühne des Berliner Ensembles: "Menschen hungern, Menschen frieren, Menschen sterben! Wir sind in einer Klimakatastrophe! Und alles wovor ihr Angst habt, sind Tomatensuppe oder Kartoffelbrei an einem Gemälde! Wisst ihr wovor ich Angst habe? Davor, dass die Wissenschaft sagt, dass wir 2050 unsere Familien nicht mehr werden ernähren können! Braucht es Kartoffelbrei auf einem Gemälde, damit ihr zuhört? Dieses Gemälde wird nichts mehr wert sein, wenn wir uns um Essen streiten müssen!"

Das war so gegen 15 Uhr. Das Ganze wurde flott mit dem Handy gefilmt, hinten noch ein kleiner "Wir sind in der Resistance-Independence-Day-Letzte-Generation, Join-Us"-Bildstörungsabspann daran gepappt und um 17.02 Uhr stand die Performance auf Twitter. Dazu ein kurzer Kommentar: Was ist mehr wert #Füralle – Kunst oder Leben?

Totschlagargument der Alt-Linken und der Rechten

Ich hätte gerne nochmal drüber gekotzt, über Miri und Bennys verlogene Püree-Performance, über diesen progressiv tuenden, aber im Grunde völlig reaktionären Blödsinn, der in dieser Frage kulminierte: Kunst oder Leben. Ich hätte genauso gerne gekotzt bei dem Lesen der Kommentare, die schon kamen, bevor der Kartoffelbrei getrocknet war: "Ja, festgeklebt lassen, bis sie kacken müssen", "Terrorismus", "Bilderschändung", "Barbarei" und so weiter. Und die immer wieder gleichen Antworten aus dem "Letzte Generation"-Umfeld: Ja, ist doch eine Glasscheibe vor dem Bild, du Pussy, aber das schnallst du ja nicht. Was ist denn schon ein bisschen Kartoffelbrei gegen die Zerstörung unseres einzigen, wunderbaren Heimatplaneten?

Was so unerträglich ist, ist nicht der Kartoffelbrei auf dem 111 Millionen teuren Bild, nicht, dass die Aktion so wirr war und niemanden wirklich aktiviert oder inspiriert, nicht, dass sie den eigentlich unbedingt notwendigen zivilen Ungehorsam in Misskredit gebracht hat. Das Schlimme daran ist der Vorwurf der Dekadenz, der hier der Kunst generell entgegen geschleudert wird, der Eindruck, der hier populistisch erzeugt werden soll, dass Kunst entbehrlich sei, weil nicht #füralle, weil man sie nicht essen kann. Nur was für die Elite und Bildungsbürger, solange keine Klimagerechtigkeit herrscht.

Dieser Dekadenzvorwurf kommt – spätestens seitdem sich Sahra Wagenknecht Didier Eribons "Rückkehr nach Reims" gekrallt hat – ständig von rechts und links. Alles was komplexer, nicht nützlich oder unpraktisch, etwas irre, nicht-binär, unklar, schwierig ist, ist dekadent, Ausdruck einer elitären Kultur, Zeichen für den Untergang von Zivilisation und Vaterland. So wie gerade von der "Letzten Generation" gefragt wird "Kunst oder Leben?", fragt man auch: "Identität oder Klasse?" Oder sagt: "Normale Leute haben andere Sorgen!" Dass die Schornsteine rauchen müssen, die arbeitende Bevölkerung Königsberger Klops auf den Tisch und Gas im Tank braucht und gar keine Zeit und kein Geld hat, sich über Klimawandel, Migranten oder Transgender-Rechte Gedanken zu machen, ist ein Totschlagargument der Alt-Linken und der Rechten.

Diese Bilderstürmerei erinnert in seiner Stumpfsinnigkeit an Google

Paradoxerweise ist das ja auch der Hauptvorwurf gegen die "Letzte Generation", dass es weiße, privilegierte Teens, Snow Flakes sind, die sich da an Straßen, Bilderrahmen oder Schreibtische in Christian Lindners Ministerium kleben. Um so erstaunlicher, dass ausgerechnet diese Gruppe es gerade jetzt mit solch einer populistischen Bilderstürmerei versucht, die als Kunstaktion deklariert wird, aber eigentlich Kunst angesichts der Krise als entbehrlichen, elitären Luxus abkanzelt.

Besonders blödsinnig ist dabei dieser PR-Gedanke, dass wir uns an den Bildern einer Natur erfreuen, die bald wegen fehlender Tatkraft nicht mehr da ist, deswegen müsse man das Bild selbst attackieren, um den Blick auf das Eigentliche, Wahre zu lenken. Blödsinn ist auch zu suggerieren, Maler wie Monet hätten Bilder gemacht, weil sie die "fragile Schönheit der Natur" festhalten wollten, wie Fotografen oder Dokumentaristen. Das spricht von einem völlig veraltetem Kunst- und Naturbegriff.  "Oh ja, dieses Wäldchen, dieser Heuhaufen, das muss ich jetzt mal für die Nachwelt bannen." Als ginge es lediglich um den "Inhalt", um das, was da auf dem Bild zu sehen ist, und nicht um die Wahrnehmung, die Form, das Denken, die moderne Art und Weise, wie es gemalt ist, nicht um Malerei.

Jemand von der "Titanic" schrieb ganz treffend auf Twitter: "Mich persönlich wühlt das nicht auf, wenn Suppe über ein Gemälde gekippt wird, es gibt wie gesagt von vielen Kunstwerken gute Fotos." Das Denken hinter dieser Bilderstürmerei erinnert in seiner Stumpfsinnigkeit an Google, wenn man gefragt wird, ob man ein Roboter oder ein Mensch ist und alle Felder markieren muss, in denen Boote oder Ampeln zu sehen sind: Siehst du Bild mit Landschaft, kipp Suppe drauf.

Narzisstisch und selbstgerecht

Ich als Ober-Snow Flake dusche warm, gehe gerne in Museen und liebe Monet. Und ich verstehe zivilen Ungehorsam. Ich glaube, wäre ich heute 20, und hätte keine Arthrose, würde ich mich wahrscheinlich mit auf die Straße kleben. Man kann natürlich auch gegen rigide Kunstinstitutionen demonstrieren, gegen globale Messen, die durch Transporte und Besucher unglaubliche Emissionen produzieren. Man kann sich dem britischen Klimaaktivisten George Monbiot anschließen, der eine Einkommensgrenze und viel härtere Besteuerung für Superreiche fordert, das reichste ein Prozent der Weltbevölkerung das 15 Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen produziert, und damit doppelt so viel wie die ärmsten 50 Prozent der Weltbevölkerung zusammen. Man kann sich über die symbolischen Lippenbekenntnisse des Kunstbetriebs aufregen, über Aktionen wie vom Hamburger Bahnhof, der eine Lichtskulptur von Dan Flavin im Außenbereich ausschaltet, um Energie zu sparen.

Ähnlich ritualisiert und effektlos ist diese Kartoffelbreiaktion, die dabei auch noch hirnrissig ist. Sie tut so, als würde sie im Namen der Vernunft handeln. Aber tatsächlich ist sie genauso narzisstisch und selbstgerecht wie die Öl-Anschläge von Querdenkern und Verschwörungstheoretikern auf die antiken Skulpturen 2020 auf der Berliner Museumsinsel.