Im Netz aus Partikularinteressen

Warum ist Anselm Kiefer gerade überall?

Bonn, Paris, Hongkong: In diesem Jahr ist Anselm Kiefer allgegenwärtig. Wer steckt hinter all den Ausstellungen? Wer profitiert, wer verliert?

Was treibt Anselm Kiefer an? In dem Filmporträt "Over Your Cities Grass Will Grow", das im vergangenen Herbst in deutschen Kinos lief, antwortet er: die Schönheit. Sie sei für ihn "der Popanz, der vor mir her getragen wird. Deshalb laufe ich immer weiter." Und er läuft und läuft und läuft: Noch nie war der in Frankreich lebende Künstler im deutschsprachigen Raum so präsent wie in diesem Jahr. Bis zum Februar waren im Museum Frieder Burda in Baden-Baden Arbeiten aus der Sammlung Hans Grothe zu sehen. Am Anfang dieses Monats eröffnete das Sammlerpaar Essl in seinem Privatmuseum in Klosterneuburg bei Wien eine Schau mit Werken aus dem eigenen Bestand. Das Duisburger Museum Küppersmühle versucht eine Gegenüberstellung und zeigt seit Ende Juni "Zeichnungen, Gouachen, Bücher" von Kiefer und Joseph Beuys (bis 30. September). Arbeiten aus dem Privatbesitz von Hans Grothe wanderten nach Bonn, in die Bundeskunsthalle – was zu einer heftigen Diskussion über das Verhältnis von öffentlicher Einrichtung und Sammlern führte. Kurz darauf wurde bekannt, dass der Vertrag des Bundeskunsthallen-Intendanten Robert Fleck nicht verlängert wird. Im Oktober wird er aus dem Amt scheiden.

Auch der Markt wird derzeit geradezu überschwemmt mit Werken. Die neue Filiale der britischen White-Cube-Galerie in Hongkong eröffnete während der Kunstmesse ART HK mit der Schau "Let a Thousand Flowers Bloom", in der der Künstler monumentale Bilder von vertrauten Landschaften zeigte, hier allerdings mit regionalem  Bezug: In die Blumenfelder hat Kiefer einen winkenden Mao gemalt. Eine Besucherin meinte sogar zu wissen, Kiefer verzichte bewusst darauf, das von ihm häufig benutzte Stroh auf die ausgestellten Gemälde zu kleben, da es in Hongkonger Wohnungen oft anzutreffendes Ungeziefer anziehe.

Dann steht da noch die Schlacht um Paris bevor: Im Herbst eröffnen die Galeristenriesen Thaddaeus Ropac und Larry Gagosian gleichzeitig Dependancen mit neuen Kiefer-Arbeiten. Es ist schwer nachvollziehbar, warum der Künstler eine Situation fördern sollte, die das Marktgleichgewicht gefährdet.

Immer wieder die gleichen Namen: Smerling und Grothe

Wer sich öffentlich dermaßen exponiert, muss auch mit öffentlichen Nachfragen rechnen. So fallen bei der Häufung von Ausstellungen in Privatmuseen und in mit privaten Leihgaben bestückten Institutionen sich wiederholende Namen auf: Namen von Personen mit – in der Kunstwelt zumindest – zweifelhaftem Ruf. Der Unternehmer und Kiefer-Sammler Hans Grothe etwa hatte einst zahlreichen Künstlern zugesagt, ihre Werke würden an ein Museum gehen, und dafür erhebliche Preisnachlässe erhalten. Tatsächlich zog er 45 Arbeiten aus dem Kunstmuseum Bonn wieder ab und verkaufte sie. Thomas Demand, Andreas Gursky, Thomas Ruff und Thomas Struth  protestierten dagegen in einem offenen Brief. Nach den Angriffen auf Fleck wurde Grothe auch nach seinen Plänen für die ausgestellten Kiefers gefragt: Er möchte ein Anselm-Kiefer-Museum in seiner Heimatstadt Duisburg eröffnen, sagte er der "Welt am Sonntag". Und: "Ich würde meine Werke dann ins Museum geben und mich verpflichten, sie 20 oder 30 Jahre lang nicht zu verkaufen, zu belasten oder zu beleihen." Und danach?

In Duisburg hatte sich Grothe schon einmal entsprechend engagiert. Aus dem Museum Küppersmühle zog sich der Unternehmer allerdings nach einigen Jahren wieder zurück, als er seine Sammlung an die Kosmetikunternehmer Ulrich und Sylvia Ströher verkaufte. Für sie betreibt nun ein vom Bonner Journalisten Walter Smerling geleiteter Verein, der sich "Stiftung" nennt, das Haus. Er selbst steht als Direktor dem Museum vor, dessen Erweiterung – auf bis zu 70 Millionen Euro geschätzt – wegen Baumängeln und der Insolvenz der verantwortlichen Bauunternehmen Presseberichten zufolge inzwischen auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gebag in finanzielle Schieflage gebracht hat. Das gewünschte Duisburger Kiefer-Museum soll ebenfalls Grothes in der Politik gut vernetzter Verbündeter Smerling verantworten – mithilfe von Sponsorengeldern.

Walter Smerling steht auch hinter der Kiefer-Ausstellung in der Bundeskunsthalle. Auch er hat eine Bonner Vorgeschichte: Mit seinem Verein veranstaltete er 1999 im Kunstmuseum die Ausstellung "Zeitenwenden", die ein Minus von fast zwei Millionen Mark hinterließ. Der heutige Kunstmuseum-Direktor Stephan Berg hatte sich als Mitglied des Programmbeirats der Bundeskunsthalle deshalb vehement gegen das Kiefer-Projekt ausgesprochen, wie er in einem Gespräch mit dem Bonner "General-Anzeiger" sagte. Berg hielt und hält die Ausstellung für "höchst bedenklich", da bei Grothe "Partikularinteressen bestehen". Fleck allerdings kann sich an diese Einwände offenbar nicht mehr erinnern und behauptete in einem Interview der "Welt", niemand habe Vorbehalte gegen die Ausstellung gehabt.

Unübersichtliche Partikularinteressen

Was "Partikularinteressen" angeht, wird es im Zusammenhang mit Anselm Kiefer leicht unübersichtlich. So sagte Robert Fleck im selben Interview, er könne "nicht genau übersehen", wie Kiefer und Smerling zusammenarbeiten, aber "wahrscheinlich handelt es sich um eine Vermittlungstätigkeit". Auf Nachfrage von Monopol antwortet Walter Smerling: "Meine Vermittlung konzentriert sich auf das Zeigen von Ausstellungen und das Produzieren von Filmen. Andere Vermittlungen hat es nicht gegeben."

Fest steht, dass Smerling zur Kiefer-Offensive der vergangenen Monate einen großen Beitrag leistete: Neben der Bonner Ausstellung kuratierte er auch die Schauen im Museum Frieder Burda und im Museum Küppersmühle. Er arbeitete als künstlerischer Leiter der vom Axel-Springer-Verlag stark unterstützten Gruppenausstellung "ARTandPRESS", die im Frühjahr im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen war und zu der Kiefer die Installation "Die Buchstaben" (2012) beisteuerte, deren Ausmaße alle anderen Arbeiten übertraf: Sie nahm den gesamten Lichthof des Hauses ein.

Smerling richtete 2010 auch in der Villa Schöningen, die dem Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner gehört, eine Kiefer-Ausstellung aus, und das Springer-Projekt "60 Jahre – 60 Bilder" im Martin-Gropius-Bau fädelte er ebenfalls ein, eine Schau, die vielen Kritikern nur ein müdes Achselzucken abnötigte. Kritikern der Bonner Ausstellung versuchte er in einer hochmütigen Presseerklärung das Wort zu verbieten: "Eine wünschenswerte, kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten der Werke Anselm Kiefers in der Bundeskunsthalle hat leider bislang nur sehr limitiert stattgefunden, sollte nach unserer Auffassung aber in der Berichterstattung das Wesentliche sein."

Was aber treibt Anselm Kiefer an, all dies aktiv zu unterstützen? Allein der "Popanz" Schönheit, wie er es formuliert? Kann es sein, dass Anselm Kiefer so sehr das Rampenlicht liebt, dass er solche Partner in Kauf nimmt und seine Galeristen verprellt? Er läuft und läuft – und läuft sich langsam heiß.