Walter Chandohas Fotografien beweisen, warum Katzen sich online großer Beliebtheit erfreuen: Kaum ein Tier ist so vielseitig, bewegt sich so expressiv und macht derart unmögliche Gesichtsausdrücke. Die Katzenliebe des US-Fotografen entflammte 1949 ein streunendes Kätzchen, dem er auf einer verschneiten Straße New Yorks begegnete und das er kurzerhand mit nach Hause nahm.
Das Tierchen, dem Chandoha und seine Frau aufgrund seiner Lebhaftigkeit wenig später den Namen Loco gaben, führte zur Katzenfotografie. Seit den ersten Sprungfotos von Loco blieben Katzen in Bewegung seine Spezialität. Chandoha fotografierte tausende vierbeinige Modelle für unzählige Werbekampagnen, Bücher und Zeitschriften. Am berühmtesten wurden jedoch seine Momentaufnahmen, die aus einer Menge Empathie und Geduld heraus entstanden. Viele von ihnen hat er auf dem Bauernhof in New Jersey fotografiert, auf dem er bis zu seinem Tod im Alter von 98 Jahren mit seiner Familie und zahlreichen Hauskatzen lebte.
Derrida schämte sich vor einer Katze
Katzen, die im Gegensatz zu Hunden durch Selbstdomestikation zum Menschen fanden, sind die unabhängigsten aller Haustiere. Chandoha war ein Meister darin, sie in eigenlebigen Momenten einzufangen, bei der Fellpflege oder beim gemeinsamen Umherstreunen.
In seinen Bildern tritt immer wieder jene wilde Unergründlichkeit hervor, mit der Katzen seit Jahrhunderten Faszination auslösen und philosophische Kontemplation anregen. Derrida beschreibt in seinem Vortrag "Das Tier, das ich also bin“ eine unbekleidete Begegnung mit seiner Katze, deren unergründlicher Blick in ihm Scham auslöst – dafür, nackt zu sein, aber auch dafür, dieses Gefühl gegenüber einem Tier zu empfinden, dem das Konzept der Nacktheit fremd ist.
Katzenblick als Schlüsselmoment
Angestoßen von jener Begegnung denkt er nach über das Mensch- und Tiersein und über Begegnungsweisen mit dem wesensmäßig Anderen. Auch beim großen Anthropologen Claude Lévi-Strauss ist der Blickaustausch mit einer Katze ein Schlüsselmoment. Sein eher pessimistisches Hauptwerk "Traurige Tropen" beendet er mit einem hoffnungsvollen und wunderschönen Bandwurmsatz über die Chance für die korrumpierte Menschheit, ihr ursprüngliches Wesen zu erkennen - nämlich "in dem Blick – schwer von Geduld, Heiterkeit und gegenseitigem Verzeihen – den ein unwillkürliches Einverständnis zuweilen auszutauschen gestattet mit einer Katze.”
Ob Cat Content demnach bewusstseinserweiternd wirken kann, sei dahingestellt. Daran, dass Chandoha jenen ganz besonderen Katzenblick meisterhaft einzufangen wusste, besteht hingegen kein Zweifel.