Streit um Leipziger Denkmal

Der Schatten über Wagner

Was definiert einen "Nazi-Künstler"? Im Zuge der Diskussion um das Leipziger Richard-Wagner-Denkmal polarisiert diese Frage erneut die Kunstwelt. Reliefs aus der NS-Zeit des Künstlers Emil Hipp sollen nun wiederverwendet werden

In Leipzig wurden kürzlich Bestandteile eines Richard-Wagner-Denkmals angekauft, das einst von Hitler gefördert wurde. Der Künstler ist Emil Hipp (1893-1965), Käufer sind das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig und der ortsansässige Richard-Wagner-Verband. Beide behaupten, der Bildhauer Emil Hipp sei kein NS-Künstler gewesen. Dem muss widersprochen werden.

Kaum ein Komponist polarisiert heute stärker als Richard Wagner. Die einen verehren ihn als künstlerischen Avantgardisten, die anderen verurteilen ihn als Antisemiten. 1813 wurde Wagner in Leipzig geboren, 1883 starb er in Venedig. Nach seinem Tod scherzte die österreichische Satire-Zeitschrift "Kikeriki", dass nun wohl in etlichen Städten ungestüme Wagner-Monumente modelliert werden würden. Ausgerechnet in Wagners Geburtsstadt sollte es allerdings ein ganzes Jahrhundert dauern, bis es zur Einweihung eines Denkmals kam. 2013 wurde es enthüllt, entworfen hat es Stephan Balkenhol. Das Denkmal spaltet die Leipziger Wagner-Verehrer bis heute, aber dazu später mehr. Die Geschichte um ein Leipziger Richard-Wagner-Denkmal ist lang und verworren. Sie zeugt davon, dass Wagner auch innerhalb der Kreise seiner Verehrer polarisiert. Deshalb muss ein wenig ausgeholt werden.

Zu einer ersten Denkmalinitiative für Wagner kam es in Leipzig im Jahr 1904. Damals wurde Max Klinger mit der Ausführung eines Denkmals betraut. Er entwarf eine fünf Meter große Wagnerfigur aus Marmor, die auf einem drei Meter hohen Sockel in der Leipziger Innenstadt platziert werden sollte. Seine Arbeiten daran verzögerten sich, als Klinger 1920 starb, war nur der Sockel fertig. 1931 wurden die Denkmalbestrebungen wieder aufgenommen. Der parteilose Oberbürgermeister Leipzigs, Carl Friedrich Goerdeler, schrieb einen offenen Wettbewerb aus, als Standort bestimmte man ein parkähnliches Gelände am Leipziger Elsterflutbett.

Als man am 13. Februar 1933 im Leipziger Gewandhaus den 50. Todestag Richard Wagners feierte, teilte Goerdeler der Öffentlichkeit das neue Denkmalsvorhaben erstmals mit. In der ersten Reihe des Publikums saß als Ehrengast der neue Reichskanzler Adolf Hitler. Wenige Wochen später erreichten das Leipziger Denkmalkomitee über 600 Wettbewerbsbeiträge. Als Sieger ging der Stuttgarter Bildhauer Emil Hipp hervor. Sein Entwurf sah einen monumentalen Natursteinblock vor (Höhe: 4,5 Meter, Breite: 10 Meter), dessen Seiten mit Reliefs geschmückt waren. Die Motive der Reliefs bezeichnete Hipp als Schicksal, Mythos, Erlösung und Bacchanal. Es handelte sich um Darstellungen nackter, muskulöser Frauen und Männer. Sie sollten den "Stimmungsgehalt" der Wagnerschen Werke symbolisieren.

Da die Kosten des Blocks recht hoch veranschlagt wurden, wandte Goerdeler sich an die Reichsregierung, von der er sich finanzielle Unterstützung erhoffte. In Berlin stellte er Adolf Hitler den Entwurf persönlich vor. Hitler zeigte sich in solchem Maße angetan, dass er veranlasste, das Denkmal erweitern zu lassen. Von nun ab sollte in Leipzig das Richard Wagner Nationaldenkmal des Deutschen Volkes entstehen. Hipp hatte seinen Entwurf  den Wünschen Hitlers entsprechend zu verändern. Nach der Überarbeitung hoffte er "furchtbar unruhig […] auf die Grösse des Führers", so Hipp. Hitler stimmte zu.

Der zur Ausführung bestimmte Entwurf stellte nun eine Kombination aus städtebaulicher Architektur und Bildhauerei dar. Der Denkmalblock sollte in der Mitte eines mit Steinplatten ausgelegten Platzes angebracht werden, die gesamte Anlage zusätzlich von einer 430 Meter langen und 3 Meter hohen Mauer eingerahmt werden. Für diese Mauer hatte Hipp weitere Reliefs anzufertigen: Szenen aus Wagners Opern, repräsentiert vor allem durch muskulöse, männliche Figuren. Die Kosten stiegen, wurden nun aber zu großen Teilen vom Staat getragen. Auftraggeber war jetzt kein Leipziger Denkmalkomitee mehr, sondern Hitler höchstpersönlich.

Instrumentalisierung zur Nazi-Propaganda

Am 6. März 1934 legte Hitler im Rahmen einer monumental inszenierten Feier den Grundstein. Anwesend waren Ehrenstürme der SS und SA, Bannerträger der NSDAP, mehrere tausend Zuschauer. Ein mit 1600 Sängern besetzter Chor sang unter anderem den Halleluja-Chor aus Georg Friedrich Händels Oratorium "Der Messias".

Die Grundsteinlegungsfeier diente Hitler somit als ideale Plattform seiner Selbstinszenierung als "Führer". Er werde den Grundstein legen, im Namen "unzähliger bester deutscher Männer und Frauen, die in mir ihren Sprecher und Führer sehen,"  verkündete er in seiner Rede. Das Richard-Wagner-Nationaldenkmal des Deutschen Volkes war nun keine regionale Angelegenheit mehr und auch kein bloßes Komponistendenkmal. Es sollte der Beschwörung der NS-Ideologie dienen. In Hipps Entwurf sind denn auch alle typischen Charakteristika der NS-Kunst und NS-Denkmalideologie vertreten. Die großflächige Platzanlage konnte für Massenversammlungen genutzt werden. Sämtliche Figuren sind in einem vereinheitlichenden idealtypischen Stil ausgearbeitet.


Nach der Grundsteinlegung verzögerte sich Hipps Arbeitsprozess immer wieder. Erst 1944 hatte er die einzelnen Teile in seinem Atelier nahe des Mamorwerks in Kiefersfelden fertiggestellt. Zu diesem Zeitpunkt konnten sie infolge des Krieges nicht mehr nach Leipzig gebracht werden. Das Denkmal wurde also nie errichtet. 1945 lagerten die Bestandteile immer noch in Kiefersfelden. 1947 kündigte die Stadt Leipzig sämtliche noch bestehenden Verträge und verkaufte die Einzelteile. Nun sind Teile eben dieses Denkmals wieder "aufgetaucht", wie es der Vorsitzende des Leipziger Richard-Wagner-Verbands, Helmut Loos, formuliert. 

Es handelt sich um zwei Reliefs für die umgebende Mauer. Eines zeigt die Figur des Schusters Hans Sachs, das andere Siegfried und die Bezwingung der Brünnhilde, eine Szene aus der Walküre. Über den Kaufpreis wird geschwiegen, aber man freut sich offensichtlich über den Erwerb der monumentalen Reliefs, die Loos als "zeittypischen Klassizismus"  bezeichnet. Damit bedient er ein Argument, das immer wieder als Persilschein für Emil Hipp herangezogen wird: Hipp habe sein Wagner-Denkmal schon vor der NS-Übernahme entworfen, sein Denkmal könne also gar nicht der NS-Ideologie entsprechen.

Relikte der NS-Ästhetik

Dem muss zweifach widersprochen werden. Erstens hatte Hipp seinen Entwurf den Wünschen Hitlers entsprechend zu verändern, das Wagner-Denkmal wurde somit per se zu einem nationalsozialistischen Monument; Denkmäler sind immer unweigerlich an die Absichten ihrer Auftraggebers gebunden. Zweitens formten Künstler wie Hipp das NS-Kunstideal überhaupt erst mit. "Zeittypisch" waren um 1930 auch Kubismus, Surrealismus, Dadaismus, Futurismus – Stilrichtungen, die das NS-Regime zutiefst diffamierte. Die NS-Ausstellung "Entartete Kunst" kombinierte Werke dieser Richtungen mit Fotos von körperlich behinderten Menschen.

Demgegenüber galt es, das starke, heldenhafte Körperideal zu kultivieren, so wie es auch Hipp in seinen Reliefs für das Wagner-Denkmal tat. Dennoch werden sie weder vom Wagner-Verband noch von der Kuratorin des Stadtgeschichtliche Museums Kerstin Sieblist als NS-Kunst eingestuft. 2008 sprach sich der Richard-Wagner-Verband sogar noch für eine nachträgliche Errichtung des kompletten Hipp-Denkmals aus.  Auslöser war damals der 200. Geburtstag Richard Wagners im Mai 2013 und die Tatsache, dass man in seiner Geburtstadt zu diesem Zeitpunk noch immer kein Denkmal vorzuweisen hatte (bis auf eine Büste hinter der Oper).

2009 entschied der Leipziger Stadtrat also den Bau eines Denkmals, aber darüber wie dieses auszusehen hatte, entfachte ein heftiger Streit. Ins Denkmalgremium wurde nicht der Richard-Wagner-Verband, sondern der Wagner-Denkmal e.V. aufgenommen, ein Verein, der sich für eine kritische Wagner-Rezeption und ein zeitgenössisches Monument aussprach. 2013 kam es zur Enthüllung des eingangs erwähnten Balkenhol-Entwurfs.

Balkenhol nutzt in seinem Denkmal den Klinger-Sockel von 1904, auf den er eine lebensgroße Wagnerfigur positioniert. Hinter Balkenhols Wagner erhebt sich ein symbolisch aufgeladener Schatten. Diese Darstellung Wagners missfiel dem Richard-Wagner-Verband zutiefst. Noch 2010 hielt er es für "unumgänglich, sich den nicht vollendeten Denkmalsprojekten von 1913 und 1938 zuzuwenden." Diese, so behauptete der Verband, stünden "für eine Zeitspanne, in der Leipzig wirtschaftlich wie kulturell seine Blütezeit erlebte und können somit im besonderen Maße identitätsstiftend wirken." Von der höchst fragwürdigen Aussage, das Jahr 1938 (das Jahr der Reichsprogromnacht) als kulturelle Blütezeit zu bezeichnen, hat sich der Verband bis heute nicht distanziert.

Jetzt bekunden der Leipziger Richard-Wagner-Verband und das Stadtgeschichtliche Museum, eine Ausstellung über die Musikstadt Leipzig in der NS-Zeit machen zu wollen. In zwei Jahren möchte man die erworbenen Reliefs in diesem Rahmen zeigen. Im selben Atemzug relativiert man aber Emil Hipps Wirken als NS-Künstler. Für Kerstin Sieblist, Kuratorin am Stadtgeschichtlichen Museum, gelte Hipp "in dem Sinne nicht als Nazikünstler", dabei scheint sie zu wissen, dass Hipp "für Hitlers Arbeitszimmer wohl auch Sachen gefertigt hat."

"Der erste Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers"

Das täte Hipps "Werk und seinem Ruf nicht gut." Hipp wird als trauriger Verlierer seiner Zeit dargestellt, als ein Künstler der scheinbar willenlos vom NS-Regime vereinnahmt wurde. Hier vollzieht sich eine brandgefährliche Verharmlosung, die Rechtspopulisten geradewegs in die Hände spielt. 1990 veröffentlichte der rechtsnationale Publizist Alain de Benoist eine Monografie über Emil Hipps Richard-Wagner-Denkmal. Sie erschien im (mittlerweile verbotenen) rechtsextremen Grabert-Verlag. Auch Benoist spinnt darin am Narrativ eines zu Unrecht vergessenen Künstlers, der eben "den Zeitläufen zum Opfer" gefallen sei. Nach Ende des zweiten Weltkriegs schuf Hipp vor allem Kriegerdenkmäler, beispielsweise in der spanischen Enklave Melilla – ein Denkmal für die auf franquistischer Seite gefallenen Spanier.

Die Kunsthistorikerin und ehemalige Direktorin des Georg-Kolbe-Museums, Ursel Berger, legt zurecht die Vermutung nahe, dass Hipp "wohl der erste Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers [war], bevor Josef Thorak und Arno Breker in dessen Blickfeld gerieten."  Nicht ohne Grund ernannte man Hipp 1936 zum Kunstprofessor in Weimar, 1937 wurde unter anderem eines der Reliefs für das Wagner-Denkmal in Paul Schultze-Naumburgs Monografie "Nordische Schönheiten" abgebildet. Hipp wurde also künstlerischer Vorbildcharakter zugesprochen.

1941 besichtigten Arno Breker und Albert Speer sein Atelier in Kiefersfelden. Hipp schuf Reliefs für die Akademie der Jugendführung der Hitlerjugend in Braunschweig, für Hitlers Arbeitszimmer im Führerbau in München, für das Nürnberger Operhaus. Dessen Inneres ließ Hitler 1935 komplett umgestalten. Sämtliche Jugendstilelemente wurden entfernt, im Publikumsraum bekam Hitler seine eigene Loge. Von dort konnte er geradewegs auf die Bühne blicken, die nun von Reliefs eingerahmt wurde, die ebenfalls Emil Hipp geschaffen hatte.

Bis heute sind sie dort zu sehen, bis heute erklingt auf dieser Bühne auch jene Wagner-Oper, die vom NS-Regime besonders oft zu Propagandazwecken genutzt wurde - die "Meistersinger von Nürnberg". Mit Hans Sachs stellt eines der beiden erworbenen Reliefs nun ausgerechnet eine Figur aus dieser Oper dar. Es mag leicht sein, sich von der vermeintlich harmlosen Motivik der Reliefs blenden zu lassen. Bei ihrem Anblick darf jedoch nicht vergessen werden, wer der Auftraggeber war, welchem Programm sie dienten, und welches perfide Ideal sie zu verkörpern hatten. Was definiert einen "Nazi-Künstler"? Bleibt zu hoffen, dass die Käufer der Hipp-Reliefs und zukünftigen Ausstellungsmachenden sich der Beantwortung dieser Frage noch einmal genauer widmen.