Angesichts lautstarker Proteste gegen die Gastprofessur zweier Mitglieder des wegen Antisemitismusvorwürfen umstrittenen Documenta-Kuratoriums ist die Semestereröffnung an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg abgebrochen worden. Etwa zehn der mehr als 300 Anwesenden in der voll besetzten Aula skandierten am Mittwochabend "Antisemitismus ist keine Meinung" und "schmeißen Sie die Nazis raus". Die Fahne Israels und eine Fahne mit dem Gesicht des ehemaligen israelischen Premiers David Ben-Gurion wurden hochgehalten.
"Ich bin Ihrer Meinung", versuchte HFBK-Präsident Martin Köttering die Protestierenden zu beschwichtigen. Antisemitismus habe keinen Platz an der Hochschule. "Diese beiden Kuratoren sind keine Antisemiten", sagte er über Reza Afisina und Iswanto Hartono. Als er das Mikrofon nach etwa 40 Minuten den Protestierenden überließ, löste sich die Versammlung schnell auf. Die Vorstellung eines weiteren neuen Lehrenden konnte nicht mehr stattfinden.
Afisina und Hartono sind Mitglieder des indonesischen Documenta-Kuratorenkollektivs Ruangrupa. Die 15. Ausgabe der Documenta hatte im Schatten immer neuer Antisemitismus-Vorwürfe gestanden. Schon zu Jahresbeginn waren erste Stimmen laut geworden, die Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS vorwarfen.
An der Gastprofessur hatte im Vorfeld auch Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) Kritik geübt. "Die Antisemitismusvorwürfe bei der Documenta Fifteen wiegen schwer", erklärte Fegebank. Sie beträfen auch das Kollektiv Ruangrupa, dem Reza Afisina und Iswanto Hartono angehörten, "und sie stehen in der Verantwortung, diese Vorwürfe aufzuklären". Es dürften keine offenen Fragen im Raum stehen, wenn Mitglieder des Kollektivs in Hamburg lehren sollen.
"Wir stehen zu dieser Entscheidung"
Die Wissenschaftsbehörde führe bereits Gespräche mit der HFBK. "Die Hamburger Hochschulen sind autonom in der Berufung ihrer Gastprofessuren, dies ist von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt", sagte Fegebank. Hochschulen müssten Orte der kritischen Diskussion sein. "Aber die Wissenschaftsfreiheit kann und darf niemals Freibrief für antisemitisches Gedankengut sein."
Auch die Jüdische Gemeinde in Hamburg kritisierte die Entscheidung. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Michael Fürst, sagte im NDR-"Hamburg Journal": "Ich habe dafür absolut kein Verständnis. Wer nach mehrmonatiger Dauer auf der Documenta gezeigt hat, dass er von antisemitischen Gedanken überhaupt nicht ablassen will, der hat an einer öffentlichen Hochschule in Deutschland nichts zu suchen."
Der Forderung, die Gastprofessoren auszuladen, will die Hochschule für bildende Künste nicht nachkommen. "Wir stehen zu dieser Entscheidung und wollen diese DAAD-Professur umsetzen, besonders um die künstlerischen Fragestellungen der Documenta Fifteen in einem anderen Format und in einem anderen Rahmen aufzugreifen und fortzuführen, und zwar mit Studierenden und Lehrenden - und mit den beiden Documenta-Kuratoren", sagte Präsident Martin Köttering in einem auf der Homepage der Hochschule veröffentlichten Interview.
"Wir wollen mit ihnen sprechen, nicht über sie. Und wir wollen den von ihnen aufgeworfenen künstlerischen Fragen mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen. Natürlich werden wir die Zeit nutzen, um die Documenta aufzuarbeiten. Dafür ist der zeitliche und räumliche Abstand, das Eingebundensein der Kuratoren in das künstlerisch und theoretisch diverse Netzwerk der Hochschule sicherlich hilfreich", sagte Köttering.