Besucher des Museums Folkwang in Essen sehen beim Betreten des Foyers als allererstes - sich selbst: Die Video-Arbeit "City of Abstracts" von William Forsythe richtet eine Kamera auf den Eingang und projiziert das Bild zeitverzögert, verzerrt und in Fragmente zerlegt auf eine Videowand - eine elegant verfremdete Begrüßung jedes einzelnen Besuchers in der Welt der Fantasie und zugleich ein Aufmerksamkeitsfänger und Spaßgarant nicht nur für Schulklassen und Kindergartenkinder. "Ich hab' schon Menschen 70 plus tanzen gesehen mit ihrem Regenschirm", sagt Museumsleiter Peter Gorschlüter.
Die Installation passt perfekt zum Konzept des international renommierten Essener Museums, das in dieser Woche mit der Impressionistenschau "Renoir, Monet, Gauguin" (6. Februar - 15. Mai) und voraussichtlich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Festakt (5.Februar) sein 100-jähriges Bestehen feiert.
Das Museum Folkwang bietet Spitzenkunst etwa von Auguste Renoir, Paul Cézanne und Vincent van Gogh - Malerei und Skulpturen des 19. Jahrhunderts, der klassischen Moderne und Kunst nach 1945, dazu eine riesige Fotosammlung und Plakate. Und es will zugleich nach dem Konzept seines Gründers Karl Ernst Osthaus (1874-1921) Gattungsgrenzen in der Kunst überspringen und Besucher auch jenseits der klassischen Museumsklientel ansprechen.
Museum erlangt immer mehr Beliebtheit
"Ohne die Mitwirkung der Kunst sind die wichtigsten Fragen des sozialen Lebens unlösbar": Diesem Ausspruch von Osthaus folgend verlangte das Folkwang als erstes großes Kunstmuseum in Deutschland bereits seit 2015 keinen Eintritt mehr für seine Dauerausstellung - ein Angebot, das in der Museumsszene für Furore sorgte. Die Besucherzahl in der Dauerausstellung habe sich nach der Einführung des freien Eintritts im Vergleich von 2014 bis 2019 - vor Corona - auf knapp 116 000 mehr als verdreifacht, sagt Museumsleiter Peter Gorschlüter. Bei Kindern und Jugendlichen gab es eine Verfünffachung.
Der Begriff "Folkwang" ("Folkwangar" - Volkshalle) stammt aus dem altnordischen Versepos Edda. Mit seinem neuen Museum wollte der Gründer am ersten Standort in Hagen eine umfassende Volkshalle für die Kunst schaffen, in der auch Naturkunde und Kunstgewerbe ihren Platz hatten. Nach Osthaus' Tod erwarben kunstbegeisterte Essener Bürger mit Unterstützung von Sponsoren vor allem aus dem Bergbau die Sammlung und eröffneten 1922 das Museum 50 Kilometer entfernt in Essen neu. Zu diesem Zeitpunkt gehörten schon bedeutende Gemälde wie Renoirs "Lise mit dem Sonnenschirm" dazu - bis heute eine Hauptattraktion und "unsere Mona Lisa", wie Essener Besucher gerne sagen.
In der Nazi-Zeit verlor das Museum rund 1400 Werke, darunter fast alle seine Expressionisten, die als "entartet" entfernt und verkauft wurden. Nach dem Krieg sei die Sammlung durch Zukäufe wieder erfolgreich ausgebaut worden, sagt Gorschlüter. Seit 2015/16 habe das Museum mit einer systematischen Untersuchung begonnen, ob unter den zurückgekauften Werken auch Nazi-Raubgut war.
2019 war es "Museum des Jahres"
Aktuell seien keine Bilder oder Skulpturen mit "Entzugskontext" bekannt, sagt der Museumsleiter. Den Stand der Untersuchungen und mögliche Unsicherheiten bei der Provenienz kann der Besucher bei vielen Bildern mit farbig markierten Informationstafeln mitverfolgen - keineswegs selbstverständlich in der deutschen Museenlandschaft, lobte die deutsche Sektion des Kunstkritikerverbandes Aica, die das Haus 2019 als "Museum des Jahres" auszeichnete.
Das äußere Erscheinungsbild des Museums wird durch den zum Kulturhauptstadtjahr 2010 von der Krupp-Stiftung finanzierten Um- und Neubau für 55 Millionen Euro bestimmt: sechs Würfel unterschiedlicher Größe, Stahl, Glas, viel Tageslicht und eine große einladende Freitreppe am Eingang nach dem Entwurf des Star-Architekten David Chipperfield.
Dieses einladende Haus will Museumsleiter Gorschlüter im Jubiläumsjahr auch mit einer großen Expressionistenschau bespielen (Expressionisten - Entdeckt, verfemt, gefeiert - 20. August - 8. Januar 2023). Im Sommer ist außerdem die Kunstaktion "Folkwang und die Stadt" (21. Mai - 7. August) geplant. Dafür laufen bereits zahlreiche Gespräche und Vorbereitungen mit gesellschaftlichen Gruppen von Flüchtlingsvertretern über Ordensfrauen bis zu einem Nachhaltigkeits-Start-up, wie Gorschlüter erzählt. Alle zusammen wollen einen der größten Innenstadtplätze Essens, der von mehrspurigen Straßen eingeschnürt bisher ein leerer und kaum begehbarer Ort ist, zum Kunstschauplatz umgestalten.