Das Jahr 2020 begann für die traditionsreiche Modezeitschrift "Vogue" mit einer Zäsur. Weil immer mehr ins öffentliche Bewusstsein rückte, wie emissionsintensiv und unnachhaltig die Modebranche mit ihren ständig reisenden Protagonistinnen und der Wegwerfmentalität der "Fast Fashion" ist, verzichtete die "Vogue Italia" im Januar dieses Jahres auf ein aufwendiges Cover-Shooting an einem exotischen Ort und gab sieben verschiedene illustrierte Titelmotive bei Künstlerinnen und Künstlern in Auftrag. Seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie ist an Mode-Jetset sowieso nicht zu denken, und so erschien die "Vogue" im April aus Solidarität mit den medizinischen Einsatzkräften und den Corona-Opfern mit einem völlig weißen Cover.
Auch die renommierte "September Issue" aus den USA, die traditionell das neue Modejahr einläutet, ist 2020 eine Besonderheit. Das Magazin erscheint mit zwei verschiedenen gemalten Künstlertiteln, ein Motiv von Kerry James Marshall und eines von Jordan Casteel. Die Ausgabe, die unter dem Schlagwort "Hope" zusammengestellt ist, reagiert auch auf die weltweiten Anti-Rassismus-Proteste der vergangenen Monate und die immer lauter werdenden Vorwürfe an eine überwiegend von Weißen geprägten Kultur-, Mode- und Medienwelt.
Mit Kerry James Marshall und Jordan Casteel gestalten nun erstmals zwei afroamerikanische Maler einen "Vogue"-Umschlag mit Schwarzen Modellen in Kleidung von Schwarzen Designern. Bei der Auswahl ihrer Titelheldinnen wurde Marshall und Casteel nach Angaben des Magazins freie Hand gelassen, ihnen wurde lediglich ein Repertoire von Designs der aktuellen Saison angeboten, aus denen sie ein Outfit für ihre Figuren auswählen sollten.
Eine Aktivistin als Titelheldin
Kerry James Marshall lässt die Frau auf seinem Cover (laut seiner Aussage eine Allegorie auf die Schönheit aller Schwarzen Frauen) ein weißes Abendkleid der Marke Off-White von Designer Virgil Abloh tragen. Die Malerin Jordan Casteel hat sich für die Designerin und Aktivistin Aurora James als Model in einem blauen Kleid des Labels Pyer Moss von Kerby Jean-Raymond entschieden. Aurora James kämpft mit ihrer Initiative "15 Percent Pledge" dafür, dass große Einzelhändler 15 Prozent ihrer Ladenfläche für Marken reservieren, die von Afroamerikanern geführt werden. Auch die "Vogue" hat angekündigt, künftig darauf zu achten, dass mindestens 15 Prozent der freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Schwarz sind - das entspräche in etwa dem Anteil von Afroamerikanern an der Gesamtbevölkerung der USA.
Diese Verbindung von Lifestyle, Aktivismus und Kunst lässt sich auch beim Magazin "Vanity Fair" erkennen, das in dieser Woche die von Polizisten erschossene Sanitäterin Breonna Taylor auf ihrem Cover zeigte, gemalt von der Künstlerin Amy Sherald. Auch die Talkmasterin Oprah Winfrey zeigte Anfang August ein Breonna-Taylor-Porträt der Künstlerin Alexis Franklin auf ihrem Magazin "O" - und verzichtete erstmals darauf, selbst auf dem Cover zu sein.
Übertünchen die schönen Bilder die Gewalt?
Diese Art der Sichtbarkeit wurde in den sozialen Medien vielfach als Würdigung einer Person bewertet, die ohne die "Black Lives Matter"-Bewegung eine Randnotiz in den Nachrichten geblieben wäre. Doch nicht alle sind mit der Art der Darstellung einverstanden. So wurde kritisiert, dass eine solche ästhetisierte Inszenierung die staatliche Gewalt und die Wut der im Fall Breonna Taylor übertünche und in keiner Weise zu Veränderung oder Gerechtigkeit führe. Die Würde und Aufmerksamkeit, die einem Opfer von Polizeigewalt zuteil würde, müsse Schwarzen Menschen zu Lebzeiten gewährt werden.
Auch die "Vogue"-Cover haben bereits die Frage aufgeworfen, ob die aktuellen Kunstcover ein Zeichen für einen echten kulturellen Wandel sind, oder ob sich die kommerzielle Mainstream-Kultur die Kritik an sich selbst und den Aktivismus als Verkaufsstrategie einverleibt. Den Künstlerinnen und Künstlern kann man diesen Vorwurf jedoch nicht machen. Sowohl Kerry James Marshall als auch Jordan Casteel und Amy Sherald prägen seit Jahren neue Bildwelten aus der "Black Community" - egal, ob große Magazine sie auf dem Cover wollen, oder nicht.