Zum Tod von Virgil Abloh

Er konnte einfach alles

Der US-Designer Virgil Abloh war eines der seltenen Multitalente, die scheinbar mühelos zwischen Konzeptkunst und Mainstream pendeln. Nun ist er im Alter von 41 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben 

"You are obviously in the wrong place" war das Thema der ersten Schau in Paris, an der Virgil Abloh mit seinem Label Off-White 2016 teilnahm. Sie sind hier offensichtlich falsch: Das ist der Satz, den die Boutiquenverkäuferinnen zu Julia Roberts im Film "Pretty Woman" sagen, als sie mit Overknee-Stiefeln und Trägertop von der Straße hereinspaziert. 

Als Leuchtschrift wurde dieser ablehnende Kommentar 2019 Teil der Ausstellung "Virgil Abloh: Figures of Speech" im Museum of Contemporary Art (MCA) in Chicago. Wem der Zugang zur exklusiven Mode-Design-Kunst-Blase gewährt wird und wem nicht, hat Abloh seit Beginn seiner Kariere beschäftigt. Nun ist er für die Öffentlichkeit überraschend im Alter von 41 Jahren gestorben. 2019 bekam er laut Instagram-Statement seiner Familie die Diagnose eines seltenen und besonders aggressiven Tumors. Er entschied sich, das Thema privat zu halten. 

Bei Virgil Abloh bekam man irgendwann das Gefühl, er wäre disziplinübergreifend überall dabei. Der 1980 geborene Fashiondesigner, der 2018 Kreativ-Chef von Louis Vuitton wurde, zeigte zur Biennale in Venedig Möbelobjekte und legte auf Partys auf, in den Kunsträumen der Galeries Lafayette in Paris installierte er ein rosafarbenes Sound-System als Kunstobjekt, war Kurator und DJ.

Seine Karriere begann er als enger Mitarbeiter von Kanye West (den er im ersten Jahr der Zusammenarbeit nicht einmal traf). Durch ihn lernte er die Bastion des Modebusiness kennen und enterte die Festung. Zuerst mit Street-Wear, dann bei Louis Vuitton im traditionellen europäischen Luxussegment, und in vielen anderen Bereichen.

Versierter Erzähler und Erklärer

Ablohs Eltern wanderten Ende der 70er-Jahre aus Ghana in die USA ein, er erlernte in Chicago Ingenieurswissenschaften und studierte am IIT Architektur – jener Schule, an der Mies van der Rohe das Bauhaus weiterführen wollte. Rem Koolhaas machte für die MCA-Ausstellung das Ausstellungsdesign. Im Katalog zur Ausstellung unterhielten sich Abloh und Rem Koolhaas über Architektur als Basis für kreative Grenzgänge: "Purist" oder "Tourist"? Abloh erwies sich in diesem Katalog als versierter Erklärer und eleganter Erzähler seiner eigenen Story, auch als geschickter Vermittler zwischen allen scheinbaren Unvereinbarkeiten: "Street-Credibility" im vierstelligen Bereich, das institutionalisierte Außenseitertum, die Frage nach dem Einreißen von Gattungsgrenzen.

Marcel Duchamp und das Readymade waren seine Verteidiger bei jedem Plagiats-Vorwurf. Sein IKEA-Teppich, der sein eigener Kassenbon ist, besteht auch die strengste Konzeptkunst-Prüfung. Abloh forderte die Institutionen heraus, die ihm dafür den Teppich ausrollten.

Anfangs, erzählte er, flog er bei den Pariser Schauen fast wieder von der Liste, weil er normale Leute zu seinen Shows einlud – eine Missachtung des Exklusivitätsgebots, dem Elixier der High Fashion. "Aber ich war doch kurz zuvor selbst noch das Kid, das nicht zu Balmain reingelassen wurde. Das Kid, das stattdessen durch die Stadt stromert und sich scheiße fühlt."

Virgil Abloh hatte die Erfahrung immer wieder gemacht, offensichtlich am falschen Ort zu sein, und vielleicht war das der Schlüssel zu allem was er tat, egal in welcher Disziplin. Er hat dann einfach den Ort geändert: den Laufsteg, das Luxusunternehmen, das Museum, und wenn man die vielen bestürzten Trauerbekundungen in den Sozialen Medien liest, auch die Menschen, die ihm begegneten.