Stipendien in Pandemie-Zeiten

"Erobert das Nutzlose!"

Die Pandemie hat auch das Stipendiensystem für Künstlerinnen und Künstler durcheinandergebracht. Hier erzählen die Rompreisträgerinnen und -preisträger der Villa Massimo vom Arbeiten im Ausnahmezustand

Die Villa Massimo, gelegen in einem schönen Wohnviertel abseits vom Zentrum Roms, hat ohnehin etwas von einem Refugium, das sich außerhalb der normalen Welt befindet: Dicke Mauern schotten das deutsche Institut vom Rest der Stadt ab, ein Tor geht wie von Geisterhand auf und führ auf eine verwunschene Kiesauffahrt durch einen parkähnlichen Garten mit uraltem Baumbestand. Für das historische Hauptgebäude ist der Begriff "Villa" eigentlich untertrieben, und die neuer angelegten Ateliers sind jeweils so geräumig und hell wie ein idealer Galerie- oder Ausstellungsraum.

Jedes Jahr werden aus den Sparten Musik, Architektur, Literatur und Kunst deutsche Rompreisträgerinnen und -preisträger ernannt, die hier ein Jahr zu besonderen Bedingungen arbeiten können: Sie wohnen in den Atelierhäusern, in die sie mit ihren Familien ziehen können, das Stipendium umfasst finanzielle und praktisch-technische Ausstattung, die eine absolute Konzentration auf die eigene Arbeit zulässt, es gibt Ausstellungsmöglichkeiten und die Gelegenheit, die eigene Arbeit zu zeigen und mit Gästen zu diskutieren.

Dies ist nun schon der zweite Jahrgang zu Zeiten der Pandemie. Und während man denken könnte, ein Ausnahmezustand wie dieser könnte sich schwierig auf ein Stipendium auswirken, ist genau das Gegenteil der Fall.

"Ich hatte ein sehr gutes Jahr hier in der Villa Massimo", sagt der Künstler Benedikt Hipp. "Die meisten Veranstaltungen und Einladungen waren abgesagt, und ich konnte ungestört arbeiten, lesen und meinem quasi-mönchischen Tagesrhythmus folgen. Wir waren alle sehr konzentriert und hatten eine unglaublich produktive Zeit. Dadurch entstand eine besondere Energie, die mich enorm weitergebracht hat. Natürlich lebt man hier fast sorgenfrei und paradiesisch, und bis auf den Gang zum Wochenmarkt habe ich die Mauern selten verlassen. Warum auch? Rom wartet."

Rom wartete, und zugleich war Rom einmal ganz neu und unerwartet leer, geschlosssen, und doch voller Möglichkeiten. "Wir haben Rom in seiner kompletten Inaktivität, in ausgesetzter Vermarktung und ohne Spektakel erlebt", berichtet das Duo Bankleer begeistert. "Eine Stadt, die dabei nicht in eine Depression verfällt, sondern einem schweigend zuruft erobert das Nutzlose! Die Innenstadt stand in seinem ganzen historischen Spektrum den BewohnerInnen zur Verfügung. Alle Türen zu einer anderen Zukunft schienen weit geöffnet. Auch wir haben die Chance genutzt und ein choreographisches Setting aus Skulpturen, gesprochenem Text, Sound und Körpern entwickelt, dass sich mit dem städtischen Raum verwickelt. Entstanden ist ein Filmessay in dem zwei Protagonistinnen durch ein ausgeräumtes Rom streifen und dabei sich und den städtischen Raum nach der Möglichkeit einer helleren Zukunftsperspektive befragen."

Heike Baranowsky hatte sich für das Jahr viele Reisen vorgenommen, sie wollte nach Palermo, Mailand, Neapel und dort Kirchen besuchen. Doch es kam eben anders, es gab nicht nur wenig Termine und Deadlines, sondern auch einen eingeschränkten Radius. Dafür viel freie Zeit ohne Taktung. Zeit für Kontemplation und Konzentration. "Es war großartig sich durch die Stadt treiben zu lassen, die Museen geschlossen, nur die Kirchen waren offen. Das Erlaufen der Stadt war wirklich motivierend für meine Arbeit. Bei Sonnenschein besuchte ich sehr oft die Basilika Santa Maria degli Angeli, die in die Thermen von Diokletian gesetzt ist und eine der bedeutendsten Meridianlinien enthält. Diese riesige Kirche, entworfen von Michelangelo, erbaut über dem Kaltwasserbecken der noch größeren Thermen wurde zu meinem zweiten Atelier. Es gab kaum Besucher*innen und manchmal schloss mich der Küster sogar ein, sobald alle anderen draußen waren."


Dass ihre Preisträgerinnen und Preisträger all das so positiv erleben konnten, das lag an der Organisation von Julia Draganoviç, der immer noch neuen Leiterin der Villa Massimo, die ihr Funktion nun schon die meiste Zeit im Ausnahmezustand ausübt. Sie ist verantwortlich für die bis zu dreizehn Haushalte – ein Außenposten in Olevano zählt dazu. Dazu kommt, dass die meisten Sitpendiatinnen und Stipendiaten mit Partnerinnen, Partnern, Kindern anreisen, die die Landessprache nicht sprechen und deren Aufenthalt mit organisiert werden muss.

Auch unter normalen Bedingungen eine wichtige Aufgabe, aber unter COVID 19 auch ein diplomatischer Akt. Denn die italienischen Bestimmungen wichen von den deutschen ab und widersprachen teilweise sogar in den Auflagen. "Zu meinen interkulturellen Vermittlungsaufgaben gehört auch, die deutschen Behörden mit den vom deutschen System abweichenden italienischen Regelungen zu versöhnen – und umgekehrt. Schizophrenen Anfällen entgeht man da nur haarscharf", erzählt Julia Draganović. Die eigentliche Aufgabe, die der Kulturvermittlung, trat dennoch nicht in den Hintergrund.


"Der Herausforderung, dass die Kultur während der Pandemie fast unsichtbar wurde, sind die RompreisträgerInnen und StipendiatInnen in Olevano Romano gemeinsam mit dem Team der Villa Massimo allerdings sehr kreativ begegnet: Gemeinsam haben wir viele unterschiedliche Wege und Weisen gefunden, Kultur erlebbar zu erhalten. Es war und ist schon eine Freude, in Gemeinschaft mit den Preisträgern denken und schaffen zu dürfen. In der Improvisation haben wir in diesen Monaten – finde ich - eine gewisse Meisterschaft entwickelt."