Denkt man ans Wien der 1920er-Jahre, landet man wohl zuerst bei Schiele, Kokoschka und Freud. Die Stadt ist ein Sinnbild für die kreative Energie des angehenden 20. Jahrhunderts. Das ist natürlich ein eurozentrisches, teils auch klischeebehaftetes Bild.
Doch Wiens künstlerisches Licht ist deshalb nicht erloschen. Mit mehreren bedeutenden Kunsthochschulen und international ausgerichteten Museen und Galerien ist die Stadt zentraler Anziehungspunkt für junge und zeitgenössische Kunst. Das zeigt sich dieser Tage auf der Viennacontemporary (VCT), die wie letztes Jahr fast zeitgleich mit dem Kuratorinnen-Festival Curated By eröffnet.
Die Messe findet im Kursalon Hübner statt, ein Haus im Renaissance-Stil am Stadtpark, einen Steinwurf von der Wiener Staatsoper entfernt. Von außen wirken die bronzenen Reliefstrukturen fast campy aus der Zeit gefallen. Drinnen ist auf mehreren Stockwerken und in einem eigens aufgebauten Gartenzelt Platz für 61 Ausstellungs-Kojen aus 20 Ländern, die in erster Linie zeitgenössische Arbeiten zeigen.
Bällebad zum Reinspringen
Ein Highlight der Messe: die von Francesca Gavin kuratierte "Zone 1"-Sektion im Obergeschoss, die sich Wiener Nachwuchskünstlerinnen und -künstlern widmet. Diese ermöglicht einen Messe-untypischen Eindruck kleiner, nuancierter Einzelausstellungen, mit Schwerpunkt auf skulpturellen und installativen Arbeiten.
Da ist etwa die vielleicht Instagram-tauglichste Arbeit der Messe: eine Installation von Christiane Peschek mit Bällebad (Alba Gallery) zum Reinspringen. Oder die andeutungsreichen Kugelschreiber-Zeichnungen von Assunta Abdel Azim Mohamed (Ernst Hilger), in denen sie teils surrealen, oft schmerzhaften Aspekten zwischenmenschlicher Beziehungen nachspürt. Sowie die Skulpturen der Künstlerin Brishty Alam (Wonnerth Dejaco), die sich allesamt Fisch-Motiven bedienen.
Am Eingang lädt Anthony Akinbola (Krinziger) in seiner Schließfach-Installation zum Mitmachen ein: Wer eine Wartenummer zieht, kann mit etwas Glück den einen Gegenstand finden (und auch behalten), der sich hinter einer der circa 100 Türen versteckt.
Kunst auf subtilere, intimere Weise
“Zone 1” Kuratorin Francesca Gavin gefällt dieses Spiel: “Ob Leute etwas bekommen oder nicht: Die Arbeit ist ein Sinnbild für emotionale und kommerzielle Interaktion". Konzeptuell gehe es ihr vor allem um Grauzonen. “Wir haben drei Jahre recht didaktischer Identitätspolitik hinter uns", sagt sie, "diese neue Generation Künstler:innen erzählt oft auch von Themen wie Feminismus und Rassismus, nur eben auf eine subtilere, oft auch intimere Weise."
Unten im Erdgeschoss, unter überdimensionierten Kronleuchtern, sind viele mittel- und osteuropäische Galerien vertreten, etwa aus der Ukraine, Ungarn, Serbien, Rumänien. Nach über anderthalb Jahren russischem Angriffskrieg in der Ukraine räsoniert das indirekt mit dem Schwerpunkt der Messe: Zugehörigkeit in Europa. Dieser wird auch im Programm der "VCT Statement" bearbeitet ("Political Homelessness and Contemporary Citizenship"), etwa in Form von Podiumsdiskussionen.
Auch deutsche Aussteller haben auf der VCT Kojen aufgeschlagen, etwa die Berliner Galerien KOW, Haverkampf Leistenschneider oder Persons Projects. Die Galerie Crone zeigt fantastische Kreis-Zeichnungen der Künstlerin Carola Derting, die Frankfurter Galerie Anita Beckers wartet beispielsweise durch den verstorbenen Peter Weibel auch mit historischen Positionen auf. Nächstes Jahr plant die VCT, auf das Wiener Messegelände zu ziehen und auf knapp 100 Kojen aufzustocken. Für eine Messe mit derart internationaler Ausrichtung sind das gute Aussichten. Wien selbst kann durch die Strahlkraft der Viennacontemporary nur gewinnen.